Editorial

Inkontinenz am Inn: Von Blinden, Standhaften und Süppchenkochern (9)

Was bisher geschah: Eine publizierte Phase III Studie war der EK nicht zur Stellungnahme vorgelegt worden. Hrabcik blamiert sich aus unbekannten Gründen mit einem juristisch unhaltbaren Brief. An der Phase III Studie stimmt einiges nicht.

Als Glossmann versucht, sich Klarheit über die Phase II Studie zu verschaffen, erstatten Strasser und Bartsch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und legen Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Polizei und AGES ermitteln. Es kommt zu einer Klagewelle. Glossmann wird Befangenheit und Industriespionage unterstellt. Der Abschlußbericht der Polizei entlastet ihn. Strasser steht zunehmend allein da.

Folge 9 (Juli - Oktober 2008): Sorg wird entlassen, Lancet zieht die Publikation zurück.

Anfang Juli 2008 überstürzten sich die Ereignisse in Innsbruck. Am 7. Juli 2008 leitete der Universitätsrat, das Aufsichtsorgan der MUI, gegen Rektor Sorg ein Verfahren zur Amtsenthebung ein.

Am 11.Juli 2008 fällte das Bezirksgericht Innsbruck sein Urteil im Fall Bollmann. Die Bollmann vorgelegte Patienteninformation sei nicht ausreichend gewesen. Es sei nicht darauf hingewiesen worden, dass Strassers Behandlungsmethode noch nicht gesichert sei. Nutzen und Risiko seien nicht korrekt wiedergegeben worden. Die TILAK muß 2979 Euro zzgl 4% Zinsen zahlen und dazu die Kosten des Verfahrens in Höhe von 3281 Euro. Zudem haftet die TILAK für alle Folgeschäden, die Bollmann aus dem operativen Eingriff Strassers entstehen. Wiederum rauscht der Blätterwald. (Beide Parteien gehen in Berufung. Am 10. Dezember 2008 fiel dann das endgültige Urteil: Bollmann erhielt 5934 Euro zugesprochen statt 2979 Euro. Die Begründung des Gerichts nach Tiroler Tageszeitung: "Da die Aufklärung über das Wesen der Behandlung insoweit unzutreffend war, als suggeriert wurde, dass eine Methode im Rahmen einer von der Ethikkommission genehmigten Studie zur Anwendung gelangt, ist die Konsequenz der fehlerhaften Aufklärung, dass die vom Patienten erteilte Einwilligung in die Behandlung als unwirksam und der Eingriff als rechtswidrig anzusehen ist" . Die TILAK muß nun mit einer Klagewelle der anderen Patienten rechnen. Auch Bartsch muß mit Problemen rechnen, denn Buchberger hatte ihm ja schon im Dezember 2006 verboten Patienten zu behandeln. Eventuell kann daher die TILAK die Ansprüche der 2007 und 2008 behandelten Patienten an Bartsch weiterleiten.

Am 5. August 2008 gab die AGES ihren 117-seitigen Inspektions-Bericht ab. Der Bericht stellt Strasser und seiner Phase III Studie ein vernichtendes Zeugnis aus: Die Studie sei nicht nur illegal sondern auch virtuell, und wahrscheinlich seien Dokumente gefälscht worden. Bartsch wird bescheinigt, mit der Studie nichts zu tun gehabt zu haben. Er zieht daraufhin seine Autorschaft des Lancet Artikels zurück.

Am 14. August zog die TILAK Strasser von der Krankenversorgung ab. Kurz darauf wurde er von Rektor Sorg vorläufig suspendiert. Kurz bevor Sorg das Gleiche mit Georg Bartsch machen konnte, wurde er am 21. August 2008, nach knapp dreijähriger Amtszeit, als Rektor der MUI fristlos entlassen. Die Entlassung verfügte der siebenköpfige Universitätsrat. Die vom Rat angegebenen Gründe sind dünn, die wirklichen Gründe unklar. In Innsbruck wird eine Racheaktion der Bartsch-Fraktion vermutet: Eigentlich habe man Glossmann eins auswischen wollen, doch der sei als beamteter Professor unangreifbar gewesen, daher habe man auf Sorg zurückgegriffen. Andere spekulieren, Sorg sei gefeuert worden, weil er den Plänen einiger mit dem Universitätsrat verbündeter Gründer einer Privatklinik im Wege gestanden sei.

Interims-Rektor wurde der Hygieniker Manfred Dierich.

Die Entlassung Sorgs heizte die Affäre erst recht an. Das spürte auch der Universitätsrat: Er bestellte am 8. September 2008 ein Komitee von externen Experten (Suter, Mannhalter, Schick), das Regeln über den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der MUI entwickeln und über ihre Einhaltung wachen soll. Die Vorfälle an der Urologie sollen die Experten jedoch nicht untersuchen. Eingeweihte meinen jedoch, dass der ehemalige Schweizer Mirage Pilot Suter der Mann wäre, die Affären aufzuklären.

Kurz zuvor, am 5. September, leitete die Staatsanwaltschaft Innsbruck ein Ermittlungsverfahren gegen Hannes Strasser wegen des Verdachts auf Körperverletzung und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit ein.

Im September 2008 stellte der auf Plagiate spezialisierte Medienwissenschaftler Stefan Weber fest, dass mindestens zwei Paper Strassers eigenplagiatorischen Charakter haben. Strasser habe den Textkorpus seines Lancet-Papers von 2007 genommen und daraus durch Umformulierung einzelner Wörter oder kurzer Sätze und durch Anhängsel oder Weglassungen ein Paper in World Journal of Urology (erschienen August 2007) produziert. Auch manche Abbildungen tauchen seitenverkehrt oder gedreht in beiden Papers auf. Auch Strassers 1999er Lancet Paper habe Strasser textlich "überarbeitet" im World Journal of Urology 2000 republiziert. Weber stellte zudem Widersprüche in der Charakterisierung der Patienten zwischen dem Lancet (1999) und dem World Journal of Urology Paper (2000) fest. Zudem wird im Urology Paper wiederum auf den FWF Grant von Steffen Hering verwiesen (Laufzeit von 1999-2003). Herings Grant hat mit dem Thema des Papers nichts zu tun und Hering ist auch nicht Coautor. Das Lancet Paper 1999 erschien mit den Coautoren Bartsch und dem Betriebratsvorsitzenden der MUI Martin Tiefenthaler. Laborjournal hätte interessiert, was Herr Tiefenthaler zu dem Lancet-Paper beigetragen hat, doch er war nicht zu sprechen.

Ja, der September 2008 ist ein schwarzer Monat für den ehrgeizigen Hannes Strasser: Nachdem Lancet im Mai schon einen "expression of concern" veröffentlicht hatte, zog die Zeitschrift im September das Phase III Paper Strassers zurück. In einem Begleiteditorial wird Bartsch mit den Worten gerügt: "Honorary or gift authorship is unacceptable. Using gift authorship as an excuse for not taking responsibility for research when serious flaws are uncovered, goes a step further, and should not be tolerated. With credit comes responsibilityÑalways." Darauf, dass Sorg es schon ein Jahr zuvor auf Probleme mit dem Paper aufmerksam gemacht hat, geht Lancet nicht ein. Das World Journal of Urology reagiert überhaupt nicht.

Am 11. September 2008 schlugen sich Dietmar Czernich und Georg Bartsch auf die Seite der EK. Nach einem Gespräch zwischen Czernich und Scheil teilten Czernich und Bartsch der EK mit, dass sie "zu einer völlig neuen Sicht der Dinge gekommen" seien. Ihr Vorgehen sei übermäßig aggressiv gewesen. Insbesondere seien die Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft und die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Glossmann und Scheil unangebracht gewesen: "Nach heutigem Erkenntnisstand besteht aus unserer Sicht nicht der geringste Anhaltspunkt für ein inkorrektes Verhalten der Ethikkommission" . Czernich und Bartsch distanzierten sich auch von den anonymen Briefen ("Gozzi"-Briefe, Briefe der "Freunde und Helfer").

Es war jedoch zuviel Porzellan zerschlagen. Glossmann und Scheil nahmen die Entschuldigung nicht an.

Am 17. September 2008 tauchte ein anonymes Fax auf, abgeschickt von der Postfiliale Aldrans (einem Vorort von Innsbruck) und gerichtet an Staatsanwaltschaft Innsbruck und AGES. Darin ist die Rede von sechs Studien, die ohne Votum der EK durchgeführt worden wären. Wiederum wird darauf aufmerksam gemacht, dass in der Urologie seit 2004 ein nicht zugelassenes Medizinprodukt der Firma AMS verwendet worden sei. Es habe bei allen Studien massive Komplikationen gegeben (Infektionen, Nachoperationen). Die EK wisse von den Studien und wolle alles vertuschen. So seien Unterlagen zur Studie 6 in der EK verschwunden.

In der Tat waren der AGES Hinweise zugegangen, dass in der Innsbrucker Kinderurologischen Abteilung ohne Stellungnahme der EK, und vermutlich ohne deren Wissen, in sechs Studien hunderte von Kindern behandelt wurden. In einer Studie waren die Kinder wegen einer fehlgebildeten Harnröhre operiert und mit einem nicht zugelassenen Testosteron-Gel behandelt worden. Die Erhebungen der AGES waren am 9. September 2008 abgeschlossen worden. Anscheinend wurden Unregelmäßigkeiten festgestellt, denn es wurde von einer "weiteren Verfolgung aufgrund der Verjährung abgesehen" . Die Verjährungsfrist für die mit Geldstrafe bedrohte Verwaltungsübertretung "Durchführung einer klinischen Arzneimittel- oder Medizinprodukte-Studie ohne Stellungnahme der Ethikkommission" beträgt in Österreich ein halbes Jahr.

Am 13. Oktober 2008 erreichte die Medien, die AGES und das Rektorat ein Email von einem "Aktionskomitee rettet die Klinik Innsbruck". Darin werden Unterlagen angekündigt, die Bartsch, Glossmann, AMS, die EK und die AGES belasten sollen. Das Email endet mit: "Deshalb haben wir beschlossen, den Kampf gegen diesen Filz aus Arroganz, Gier, Korruption, Skrupellosigkeit, Freunderlwirtschaft und Dummheit entschlossen aufzunehmen. Sie werden alle von uns noch sehr viel hören!"



Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 30.12.2008