Editorial

Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2008 geht an Virenforscher

Wenn das mal nicht eine fette Überraschung ist: Harald zur Hausen und die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier teilen sich den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

(6. Oktober 2008 und 8. Oktober 2008) Knallen in Heidelberg schon die Sektkorken? Den Mediziner Harald zur Hausen hatten bestimmt nicht viele auf der Liste der Kandidaten für den diesjährigen Nobelpreis. Er entdeckte, dass das Humane Papilloma-Virus (HPV) Gebärmutterhalskrebs auslöst. Dafür wurde er mit dem halben Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bedacht. Die andere Hälfte des mit zehn Millionen Kronen (rund eine Million Euro) dotierten Nobelpreises teilen sich die Pariser Forscher Francoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung des Humanen Immundefizienz-Virus HIV-1. Barré-Sinoussi ist Direktorin der Abteilung "Regulierung retroviraler Infektionen" am Institut Pasteur, Montagnier ist Präsident der World Foundation for AIDS Research and Prevention. Der US-Amerikaner Robert Gallo, ewiger Konkurrent der beiden, ging leer aus.

HPV und Gebärmutterhalskrebs

Zur Hausen begann sich in den 60er Jahren während eines Forschungsaufenthaltes in den USA für die Rolle von Viren bei der Tumorentstehung zu interessieren. Seine Laufbahn als Virusforscher führte ihn 1972 von der Universität Würzburg an die Universität Erlangen-Nürnberg auf eine Position als Professor für Klinische Virologie. 1977 folgte ein Ruf auf den Lehrstuhl für Virologie und Hygiene der Universität Freiburg. Von 1983 bis 2003 leitete zur Hausen das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Er ist inzwischen emeritiert, aber noch immer täglich am DKFZ anzutreffen.

1976 publizierte der Krebsforscher eine Arbeit, in der er den Hautwarzen-Viren (Humanen Papilloma-Viren, HPV) die entscheidende Rolle bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs zuwies. Damals schüttelten viele den Kopf, man hielt – wenn überhaupt – Herpesviren für die Verursacher dieser Krebsform. "Ich galt als exzentrisch", kommentiert er. Anfang der 80er Jahre konnten zur Hausen und sein Team dann die Virusstämme HPV16 und 18 aus Tumormaterial isolieren und nachweisen, dass diese Viren tatsächlich Krebs auslösen.

80 bis 85 Prozent der Frauen werden mindestens einmal in ihrem Leben von Papillomviren infiziert. HPV befällt Zellen des Gebärmutterhalsepithels. Über 90 Prozent der Infektionen bilden sich von selbst zurück. Bei einer chronischen Infektion kann es allerdings zu Gebärmutterhalskrebs kommen. Dabei ist eine Integration des HPV-Genoms in die DNA der Wirtszellen, Verlust oder Zerstörung viraler Gene und eine verstärkte Expression der Onkogene E6 und E7 zu beobachten. Gebärmutterhalskrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen.

Basierend auf den Arbeiten von zur Hausen und seinem Team wurden Impfstoffe gegen die Viren entwickelt, in Deutschland sind Gerdasil und Cervarix zugelassen. Sie enthalten das Hauptkapsidprotein L1 verschiedener Papillomvirustypen. Beide Impfstoffe schützen vor Ansteckung mit HPV 16 und HPV 18. Gardasil verhindert zudem die Infektion mit HPV 6 und HPV 11 und schützt dadurch vor Genitalwarzen. Seit 2007 wird die Impfung für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren offiziell empfohlen und von der Krankenkasse bezahlt. Zur Hausen tritt dafür ein, Mädchen schon ab neun Jahren und auch Jungen zu impfen.

Bereits in den 80er Jahren versuchte zur Hausen die Pharmakonzerne davon zu überzeugen, einen Impfstoff herzustellen. "Nachdem meine Arbeitsgruppe 1983 den Zusammenhang zwischen Gebärmutterhalskrebs und Humanen Papilloma-Viren gezeigt hatte, waren die Grundlagen doch geschaffen." Doch die Industrie lehnte ab, ein Impfstoff würde sich finanziell nicht lohnen. Es seien viele Jahre im Kampf gegen diesen Krebs verschenkt worden, so zur Hausen.

HIV und AIDS

Auch in der AIDS-Forschung wurden viele Jahre Forscherarbeit verschenkt und die Entwicklung von Tests und Medikamenten verzögerte sich. In diesem Fall aber nicht wegen Desinteresses auf Seiten der Industrie, sondern weil sich zwei Forscher um den Anspruch als erster Entdecker des Virus und um die Ansprüch um Patente stritten.

Sowohl Luc Montagnier als auch Robert Gallo, Institute of Human Virology des University of Maryland Biotechnology Institute, hatten in einer Veröffentlichung in Science am 20. Mai 1983 ein Virus aus AIDS-Patienten beschrieben. Beide beanspruchten die Erstentdeckung für sich. Der Streit darüber und um das Patent für den ersten diagnostischen AIDS-Test beschäftigte jahrelang die Gerichte. Montagnier argumentiert, für die Entwicklung dieses Tests soll Gallo Viren benutzt haben, die Montagniers Labor ihm zugeschickt hätte. Gallo indes behauptete, Montagniers Material hätte nicht zur Entwicklung des Tests beigetragen. Obwohl Montagnier das US-Patent mehrere Monate vor Gallo beantragt hatte, sprach das US-Patentamt dieses Gallo zu. Der Streit eskalierte derart, dass sowohl der französische Staatspräsident Jacques Chirac als auch der US-Präsident Ronald Reagan eingriffen. Er endete mit einem Vergleich und der Sprachregelung, dass Montagnier der Erstentdecker des Virus sei und Gallo den ersten Test entwickelt habe. Die Einnahmen aus dem Patent sollten zu gleichen Teilen Frankreich, den USA und der World Foundation for AIDS Research and Prevention in Paris zugute kommen.

Spätere Untersuchungen zeigten indes, dass Gallos Ergebnisse wohl tatsächlich auf die Proben aus dem Montagnier-Labor zurückzuführen sind. Die Genome der Viren aus beiden Labors waren auffällig ähnlich – zu ähnlich, als dass diese mit hoher Frequenz mutierenden Viren aus zwei verschiedenen Quellen hätten stammen können.

Das Nobelpreiskomitee zementierte mit seiner Entscheidung nachdrücklich, dass es Montagnier und seine Mitarbeiter, allen voran Francoise Barré-Sinoussi, waren, die das Virus entdeckt haben. Die sonst so forschen Zeitungen Science und Nature haben sich indes mit der Beurteilung und Kommentierung des Streits auffällig zurückgehalten.

Seit HIV 1981 entdeckt wurde, sind schätzungsweise 25 Millionen Menschen an AIDS gestorben. 33 Millionen, so die WHO, waren im letzten Jahr mit HIV infiziert.



Bettina Dupont und Karin Hollricher

Quellen: Ärzteblatt, DKFZ, Nobelpreis-Komitee, New Scientist

Bild Luc Montagnier: Wikimedia-Commons User Túrelio, Creative Commons BY-SA 2.0-de



Letzte Änderungen: 08.10.2008