Editorial

Der Gnomen-Klüngel

Auf vielfachen Wunsch ist der Artikel über Anthroposophen an der Uni Kassel (siehe Laborjournal 12/2006) nun auch online verfügbar.

Es gibt gute Forschung, es gibt schlechte Forschung, und es gibt die Forschung an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät zu Kassel. Dort wurden in den letzten Jahren zwei Stiftungsprofessuren eingerichtet. Die erste im Jahre 2001 für Angelika Ploeger, die zweite im Jahre 2005 für Ton Baars.

Angetrieben von dem Verdacht, dass diese Professuren akademische Außenposten einer quasireligiösen Sekte, der Anthroposophen, sind, recherierten wir, wer diese beiden Professuren besetzt und was dort getrieben wird. Informationen zur Anthroposophie finden Sie im Kasten auf Seite 16.


Stiftungsprofessorin Ploeger

Die C3-Professur von Frau Ploeger für "Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur" wurde mit einer Million Mark von einem Dutzend Stiftungen und Unternehmen finanziert: Eden-Stiftung, Schweisfurth Stiftung, Gregor Louisoder Stiftung, Alnatura, Hipp, tegut und andere. Die Eden-Stiftung fördert "Naturheilkunde" und "Ganzheitsmedizin" also esoterisches Gedankengut, der Geschäftsführer von Alnatura ist Anthroposoph und auch der Vorstandsvorsitzende von tegut hat anthroposophische Sympathien.

Frau Ploeger hat in Gießen Ökotrophologie studiert und 1978 über "Der Einfluß von Lignin und Kleie auf den Lipidstoffwechsel und andere Stoffwechselparameter der Ratte" promoviert. Danach war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Ernährungswissenschaftler und Vollwert-Verfechter Claus Leitzmann. Von 1981 bis 1984 leitete Frau Ploeger eine Abteilung eines privaten hauswirtschaftlichen Instituts, danach wurde sie als C2-Professorin an die FH Niederrhein berufen. In diesem Amt saß sie bis 1986, um dann an die FH Fulda zu wechseln. 2001 wurde sie auf die Kasseler Stiftungsprofessur berufen. Ihre Anstellung war unbefristet. Seit 1. Oktober 2006 wird Frau Ploeger aus Universitätsmitteln bezahlt.


Mit welchen Leistungen berufen?

Für Berufungen sollten die Publikationen der Kandidaten maßgebend sein. Frau Ploeger hatte, nach ihren eigenen Angaben, bis 2001, also bis zu ihrer Berufung, 107 Publikationen vorzuweisen. Des weiteren habe sie Forschungsprojekte mit der Ernährungsindustrie durchgeführt, die Ergebnisse jedoch nur teilweise veröffentlichen können, da sie Firmeninformationen beinhalteten. Was diese Industrieergebnisse wert sind, wissen wir nicht und wir wissen auch nicht, ob es die Berufungskommission wußte.

Unter den 107 Publikationen sind, wiederum nach Frau Ploegers eigenen Angaben, 13 "Originalarbeiten in einem Journal mit Refereesystem" (siehe Hauptsächlich Reviews und Buchbeiträge).

Drei dieser Arbeiten (Nr. 7, 9 und 10) waren in deutschen Universitätsbibliotheken nicht erhältlich. Sechs der 13 Artikel sind Buchbeiträge. Wir haben sie nicht gelesen, teils weil sie nicht erhältlich waren, teils weil wissenschaftliche Sensationen üblicherweise nicht als Buchbeiträge veröffentlicht werden, teils weil schon aus dem Titel hervorging, daß es sich um Übersichts- bzw. Meinungsartikel handelte (z.B. "Kann die Qualität von Lebensmitteln durch haushaltübliche Zubereitung verbessert werden?").

Von den sieben Journal-Artikeln sind drei Übersichts-/Meinungsartikel (zum Beispiel "Ernährungsökologie. Ein Fachgebiet etabliert sich an deutschen Hochschulen") und vier experimenteller Natur. Die Journale besitzen durchweg einen niedrigen Impaktfaktor - was eine geringe Beachtung des Journals in der Fachwelt widerspiegelt - oder gar keinen Impaktfaktor (beispielsweise die Fachzeitschrift Brauwelt). Zudem scheint Frau Ploeger eine eigene Auffassung von "Referee-System" zu haben. Wir verstehen darunter ein externes Peer-Review-System, d.h. die Artikel werden von externen Referees begutachtet. Zumindest bei der Brauwelt gibt es ein solches System nicht.

Rein experimentelle, peer-reviewte Originalforschungsarbeiten in Journalen scheint Frau Ploeger vor ihrer Berufung also nur drei (Nr. 4, 6, und 11, siehe Hauptsächlich Reviews und Buchbeiträge) veröffentlicht zu haben. Die Nr. 11 halten wir für wertlos.


Was hat die Professorin geleistet?

Seit 2001, also nach Antritt ihrer Professur, hat Frau Ploeger, wie ihrer Netzseite zu entnehmen war, 55 Artikel veröffentlicht. Leider hat sie nicht angegeben, welche der Artikel ihrer Ansicht nach peer-reviewed wurden.

Eine Analyse ergab jedoch folgendes: Die Publikationen der Stiftungsprofessorin Ploeger und ihrer Mitarbeiter sind überwiegend Symposiumsberichte, Wissenschaftspolitisches, Buchbeiträge, Artikel in Verbandszeitschriften oder in anthroposophischen Postillen wie "Elemente der Naturwissenschaft" (EdN). Güte und Bekanntheitsgrad der von Frau Ploeger und ihren Mitarbeitern bevorzugten Publikationsorganen sind, vorsichtig ausgedrückt, mäßig. So war EdN auf Nachfrage von Laborjournal bei den Mitarbeitern fachkundiger Universitätsbibliotheken wie der von Regensburg oder der TU München unbekannt. Kein Wunder: EdN publiziert Artikel wie "Blicke auf das Astralische - Ein neues Bild des Stickstoffs im Naturgeschehen" (EdN 80) oder "Mistelbeerenform und Tierkreis" (EdN 79).

Wir konnten nur einen Ploeger-Artikel entdecken, der zweifelsfrei in einem nicht esoterisch orientierten Peer-review-Journal veröffentlicht worden war. Es handelt sich um einen Artikel im Journal of Dairy Science, angeblich the highest ranked general dairy research journal in the world. Sein Impactfactor ist 2,2. Bei einigen Artikeln waren wir allerdings nicht sicher, und Nachforschungen sind schwierig: So hat Frau Ploeger zwei Publikationen in Annals of Agrarian Science, die von der Georgischen und Armenischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben werden.

Auf die Frage " Was halten sie für ihre wissenschaftlich bedeutsamste Publikation?" antwortete Frau Ploeger: "z.Z. der Gesamtbericht des EU-QLIF-Projektes, darin u.a. A. Roeger, M. (2004) Comparison of consumer perseptions of organic food quality in europe etc. in Schmid, O., Beck, A. Kretzschmar, U. (Hg.) Research Institute of organic agriculture (FIBL)."

Es handelt sich um einen Übersichtsartikel in einem Buch, das nicht peer-reviewed wurde. Wir haben den Artikel auf www.laborjournal.de gestellt (Titel: "Die bedeutsamste Publikation der Angelika Ploeger"). Dort finden Sie auch Frau Ploegers Publikationsliste seit 2001 und können selbst beurteilen, ob wir über- oder gar untertrieben haben. Übrigens: Vorstandsmitglied des FIBL ist der Dekan des Kasseler Fachbereichs, Jürgen Heß.


Weitere Anliegen der Stiftungsprofessur Ploeger

Neben dem Vergleich von consumer perceptions wird in Frau Ploegers "Lehrstuhl" (sie nennt es so, obwohl diese Bezeichnung nur C4-Professuren zusteht) mit einem CuCl2-Test gearbeitet, der dem Test des Anthroposophen Ehrenfried Pfeiffer (siehe Ein okkultes Denksystem) ähnelt wie ein Ei dem anderen. Sie und ihre Mitarbeiter wollen damit nach Norm ISO 17025 zwischen Lebensmitteln unterscheiden können, die mit ökologischen bzw. konventionellen Methoden angebaut wurden.

Als Ideengeber und Referenz zum Test gab uns Frau Ploeger nicht den Anthroposophen Pfeiffer an, sondern einen Jens Otto Andersen und die Publikationen eines Daniel Morris von 1938 und 1941. Andersen ist Kontaktperson der Biodynamischen Forschungsorganisation Dänemark und Anhänger Rudolf Steiners. Auf Anfrage hat er das mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht:

The spiritual science introduced by R. Steiner represents an attempt to perform in a fully scientific manner to investigate about these levels of reality. Ultimately, these levels can not be prooved by physical methods, however they are accessible to non-physical observation by trained persons, on the basis of a 'hellseherisch Fähigkeit'.

In der von Frau Ploeger angegebenen Publikation des Daniel Morris von 1938 wiederum verweist dieser auf eine Publikation des SS (Ahnenerbe)-Forschers Sigmund Rascher (siehe Ein okkultes Denksystem).


Steuergelder für "Biokristallisation"

In die "Biokristallisation" sind über das Bundesprogramm "Ökologischer Landbau" Steuergelder geflossen.

Der Schwerpunkt von Frau Ploegers Arbeit scheint in der Politik zu liegen. Sie ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat Verbraucher- und Ernährungspolitik des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Sie ist im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Ernährungsverhalten. Sie ist Vorsitzende der International Organic Food Quality and Health Research Association, einem (unserem Eindruck nach) anthroposophisch orientierten Verein. Nach ihrer Netzseite ist Frau Ploeger auch im wissenschaftlichen Beirat der Anthroposophie. Auf Nachfrage bestritt sie das zuerst, um dann mitzuteilen, sie sei nur für zwei Monate Mitglied gewesen und dann ausgetreten. Inzwischen wurde dieser Eintrag auf ihrer Netzseite gelöscht. Sie ist Mitglied in weiteren zehn Verbänden, Bünden, Beiräten, Kuratorien, Stiftungen etc.

Ihr Lebenspartner ist Hartmut Vogtmann, der bis 1997 den Lehrstuhl des jetzigen Dekans Heß inne hatte. Vogtmann wurde am 17.1.2000 vom damaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin in das Amt des Präsidenten des Bundesamtes für Naturschutz eingeführt.

"Sind Sie Anthroposophin bzw. Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft?", fragte Siegfried Bär Frau Ploeger.

Antwort: "Ich bin und war nie Mitglied der anthroposophischen Gesellschaft. Ich bin auch nicht in Anthroposophie ausgebildet. Ich bin konventionelle Ernährungswissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Vollwert Ernährung und Ökolandbau."

Frau Ploeger des weiteren: "Ich war über die Art und Weise des Gesprächs sehr befremdet, da es mich stark an inquisitorische Diskriminierung erinnert."

Herr Bär wiederum nahm mit Befremden zur Kenntnis, dass Frau Ploeger ihm vorwarf "Stimmung machen zu wollen" und ankündigte, sich in der Sache an die Presseabteilung der Universität Kassel zu wenden.


Der Stiftungsprofessor Baars

Die Kasseler C3-Stiftungsprofessur für biodynamische Landwirtschaft wurde von folgenden Stiftern mit 1,1 Millionen Euro ausgestattet: Alnatura (zur Erinnerung: der Geschäftsführer ist Anthroposoph), der Forschungsring für biologisch-dynamische Wirtschaftweise (eine anthroposophische Vereinigung), die Zukunftsstiftung Landwirtschaft (gehört zur Öko-Bewegung, keine uns bekannte direkte Verbindung mit den Anthroposophen) und die Software AG-Stiftung (zumindest teilweise anthroposophisch orientiert).

Als Stiftungsprofessor wurde der Holländer Ton Baars berufen. Er macht aus seiner anthroposophischen Einstellung keinen Hehl. So führt die Homepage seiner Stiftungsprofessur (eingebettet in die des Fachbereiches 11 und somit von offiziellem Charakter) in "Leitbild, Ziele und Tätigkeiten des Fachgebietes" mit Sprüchen des Anthroposophie-Begründers Rudolf Steiner ein. Die Ziele seien:

Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit der biologisch-dynamischen Praxis durchführen, die innere Qualität von biologisch-dynamischen Lebensmitteln besser verstehen und verbessern, etc. Zudem scheint die Professur dem privatwirtschaftlichen Demeterverband als Forschungs- und Marketingabteilung zu dienen. So ist das Ziel des "Projekt Milchqualität": (1) die Qualität der Demetermilch besser zu verstehen und die potentiellen Qualitätsunterschiede zu kommunizieren, (2) die Verbesserung der Gesundheit für den Menschen zu erfassen und (3) den dadurch gesteigerten Wert der Milch zu berechnen und zu vermarkten.

Nach dem Hessischen Hochschulgesetz (HHG) gehört die Vermarktung privatwirtschaftlicher Produkte nicht zu den Aufgaben einer Hochschule (siehe HHG ¤3 und 35 unter www.hmwk.hessen.de).


Baars wissenschaftliche Errungenschaften

Herr Baars hat in Utrecht Biologie studiert und sich auf Ökologie spezialisiert. 2002 promovierte er in Wageningen über "Philosophie der Forschungsmethoden, die sich für biodynamische Landwirtschaft eignen". Mit Anthroposophie und biodynamischer Landwirtschaft scheint er schon 1980 in Berührung gekommen und dabei geblieben zu sein. So nahm Baars 1980 an einem Kurs für biodynamische Landwirtschaft teil, war von 1981 bis 1983 Lehrer für "Goetheanische Wissenschaft" und von 1986-2005 "Forscher" am Louis Bolk Institut. Daß letzteres den Anthroposophen nahe steht, drängt sich beim Studium der Veröffentlichungen des Instituts auf.


Hat Ton Baars wissenschaftlich etwas vorzuweisen?

Seine auf der Homepage des Fachbereichs veröffentlichte Publikationsliste listet - wenn wir uns nicht verzählt haben - 131 Publikationen auf. Darunter sind nach Baars Angaben 14 peer-reviewte Publikationen. Fünf davon erschienen in Zeitschriften. Beim Rest handelt es sich um Konferenzberichte oder Buchbeiträge, und ein guter Teil davon ist anthroposophischer Natur. Die fünf Zeitschriftenartikel erschienen in Ganzheitliche Tiermedizin, Journal of Agricultural and Environmental Ethics, Elemente der Naturwissenschaft (eine anthroposophische Zeitschrift s.o.), Journal of Agricultural Science und Tijdschrift voor Diergeneeskunde. Drei dieser Zeitschriften sind nicht esoterisch (z.B. das Journal of Agricultural Science).

Sind Herrn Baars' nicht peer-reviewte Publikationen uninteressant? Keineswegs. Noch im Louis Bolk Institut und unter dem Logo dieses Instituts veröffentlichte er folgenden Fachartikel: Baars, T. (2003) Bestaan kabouters en elfen toch? Vlugschriften Biologische melkveehoudenij nr. 98, 144 (Gnomes and elfes really do exist). Sie prangt im offiziellen Publikationsverzeichnis von Herrn Baars auf der Homepage des Fachbereichs 11.

Siegfried Bär glaubte, dass es sich dabei um einen Scherz handele und prüfte, ob Baars Publikation sich für die Laborjournal-Serie "Beiträge zur Biochemie seltsamer Lebewesen" eigne: Er ließ sie von dem niederländischen Biologen Martijn Kos (Universität Regensburg) übersetzen (siehe Gibt es Elfen und Klabautermänner doch?). Das Ergebnis wollen wir nicht kommentieren, nur soviel: Wir hoffen, das Bär zusammen mit Baars für den Nobelpreis vorgeschlagen wird. Bär für den Nachweis der Existenz des Osterhasen (Laborjournal 12/2005), Baars für den der Gnomen und Elfen.


Die Verantwortlichen

Berufen wurden Ploeger und Baars unter der Ägide der Dekane Rainer Jörgensen (Ploeger) bzw. Jürgen Heß (Baars). Es habe jeweils ordentliche Berufungsverfahren gegeben, versicherte uns Jürgen Heß telefonisch. Auch sei die Professur von Frau Ploeger keine anthroposophische Professur. Mehrfache schriftliche Anfragen von Laborjournal bei Dekan Heß, wie es denn bei der Berufung von Frau Ploeger und Herrn Baars zugegangen sei, wie viele und welche Bewerber es gegeben habe, wer in der Berufungskommission gesessen habe, wurden nicht beantwortet.

Auskünfte gab der Planungsreferent beim Kasseler Universitäts-Präsidium, Wilhelm Ruwe. Danach gelten in Hessen bei der Berufung von Stiftungsprofessoren keine Sonderregeln. Seit Dezember 2004 würden erstmals berufene Professoren zeitlich befristet eingestellt (auf sechs Jahre). Auf diese befristete Ersteinstellung habe das Hessische Wissenschaftsministerium keinen Einfluß, es sei allein Sache der Universität. Erst bei einer eventuell anschließenden Dauerbesetzung spräche das Ministerium mit. Für die Berufungen von Frau Ploeger (2001) und Herr Baars (2005) galten diese Regelungen jedoch (noch) nicht. Hier hatte das Ministerium noch mitzusprechen und in der Tat läge für beide Stiftungsprofessuren ein Berufungserlass des Ministeriums vor. Auf deutsch: das Ministerium war einverstanden.

Die Berufungskommissionen bestehen in Hessen in der Regel aus fünf Professoren, zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern und zwei Studenten. Die Berufungskommission Ploe-ger bestand aus den Professoren Bernd Wirthgen, Albert Sundrum, Maria Finckh, Jürgen Heß, Claus Leitzmann (auswärtiger, Gießen), aus den Wissenschaftlichen Mitarbeitern Sylvia Zenner und Pera Haumann sowie aus den Studenten Holger Daub und Hanna Stolz. Die Berufungskommission Baars umfasste die Professoren Jürgen Heß, Maria Finckh, Angelika Ploeger, Franz Lieber, Kurt-Jürgen Hülsbergen (auswärtiger, TU-München/Weihenstephan), die Wissenschaftlichen Mitarbeiter Michael Fleck und Thorsten Müller sowie die Studenten Dagmar Werren und Marcus Lein. Die von den Kommissionen vorgeschlagenen Dreierlisten dürfen aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht werden.

Dekan Jürgen Heß, der beiden Berufungskommissionen angehörte, war vor seiner Berufung nach Kassel (1997 als Nachfolger von Hartmut Vogtmann) Ordinarius am Institut für ökologischen Landbau in Wien. Dieses Institut ist, nach seiner Netzseite zu urteilen, anthroposophisch orientiert. Heß hat seit 1997 mindestens drei anthroposophisch orientierte Artikel veröffentlicht und führt sie unter seinen wissenschaftlichen Publikationen auf. Auf unsere Frage, was er von den Theorien Rudolf Steiners und insbesondere von der biodynamischen Landwirtschaft halte, schwieg sich Herr Heß aus.


"Vorreiterrolle" der Uni Kassel?

Jörgensen teilt in einer Pressemitteilung der Universität Kassel mit, dass die Initiative für die Stiftungsprofessur Baars von den Studenten ausgegangen sei: Die Studenten hätten häufig Praktika in Demeter-Betrieben absolviert und die daraus entstandenen Fragestellungen in ihr Studium einbringen wollen. Auch der Präsident der Universität Kassel, Rolf-Dieter Postlep ein Politologe, steht hinter den beiden Stiftungsprofessuren. Gemäß einer Pressemitteilung der Universität sagte er 2003: "Die Integration der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise in Forschung und Lehre ist ein wichtiger Baustein zur Stärkung der Vorreiterrolle des Universitätsstandortes Witzenhausen und des Studienganges Ökologische Landwirtschaft".


Kommentar

Es geht um Wissenschaft

Worin Präsident Postlep die Vorreiterrolle des Universitätsstandorts Witzenhausen sieht, wissen wir nicht. Nach unserem Eindruck besteht sie darin, dem Okkultismus ein Einfallstor zur Universität zu öffnen.

Die Stiftungsprofessur Ton Baars ist anthroposophisch orientiert. Ihr Ziel scheint es nicht zu sein, anthroposophische Behauptungen kritisch zu prüfen, sondern dem anthroposophischen Weltbild und anthroposophischen Betrieben akademische Weihe und profitablen Schwung zu geben.

Die Stiftungsprofessorin Angelika Ploeger bestreitet, Anthroposophin zu sein - und das macht sie uns besonders verdächtig. Wo immer man bei ihr den Teppich aufhebt, winken einem Rudolf Steiner und seine Apostel zu. Auch hilft sie, die Anthroposophie mit akademischer Tünche zu bepinseln. So mit dem in ihrer Abteilung weiterentwickelten CuCl2-Test, der auf anthroposophisch-okkulten Theorien beruht.

Zwar behauptet Frau Ploeger nicht, der Test könne "Qualitätsunterschiede" beziehungsweise "Lebenskraft" bestimmen. Auch könnte Gemüse, das unterschiedlich angebaut wurde, sich durchaus in der Stoffzusammensetzung unterscheiden - so soll ökologisch angebautes Gemüse niedrigere Nitratkonzentrationen aufweisen als konventionell gezogenes. Um das zu zeigen, muss man aber nicht auf "Biokristallisation" zurückgreifen, eine Methode, die - sofern sie überhaupt funktioniert - so empfindlich und schwer reproduzierbar ist, dass es den Anthroposophen siebzig Jahre lang nicht gelang, die Wissenschaft davon zu überzeugen. Herkömmliche Protein- und Nitrattests oder ein Massenspektrometer leisten das auch und geben ungleich mehr exakte Information als das Kristallisieren von Kupferkristallen.


Warum also kapriziert sich Frau Ploeger auf "Biokristallisation"?

Wir haben den Eindruck, dass es Frau Ploeger darum geht, Boden für die biodynamische Ideologie zu ebnen.

Im übrigen glauben wir nicht, dass der CuCl2-Test zwischen ökologisch und konventionell angebautem Gemüse unterscheiden kann. Uns stört die schlechte Dokumentation der Ergebnisse. Bei Literaturrecherchen wird man auf einen "Statusbericht 2003" verwiesen. Dabei handelt es sich um eine Postille des Senats der Bundesforschungsanstalten, die jedoch die Ploegersche Behauptung nicht mit Daten unterstützt. Frägt man Frau Ploeger, wo die Ergebnisse zur Biokristallisation wissenschaftlich publiziert seien, ist die Antwort: "Die Publikation in einer wissenschaftlichen Zeitschrift wird vorbereitet. Statusberichte mit den Daten finden sich in Organic Eprints, der wissenschaftlichen Datenbank aller Forschungsdaten zum Ökolandbau. Zudem schreibt Herr Kahl [ein Angestellter Ploegers] dazu eine Habilitationsarbeit."

Also: Ebenfalls (noch) nicht in einer peer-reviewten Zeitschrift publiziert, geschweige denn von nicht-anthroposophischen Forschern bestätigt. Und überhaupt: Einer Wissenschaftlerin, deren Gruppe Publikationslisten vorlegt wie die der Frau Ploeger, würden wir nicht einmal die Bestimmung des Stärkegehalts von Knäckebrot abnehmen.


Es geht nicht nur um schlechte Forschung

Es geht hier nicht nur um schlechte Forschung. Es geht um die wissenschaftliche Forschung überhaupt. Wenn das okkulte Gewäsch eines Rudolf Steiner an einer Universität gelehrt werden darf (und das gleich doppelt), dann können mit gleichem Recht die Scientologen, die Bachblüten-Therapeuten, die Kaffeesatzleser und "Germanische Neue Mediziner" a la Hamer Professuren fordern. In der Tat: Sie tun es schon! Wir schlagen vor, dazu die Lehrstühle der Herren Postleb und Heß zu verwenden und die beiden anderweitig einzusetzen. Sie könnten im Kuhstall des nächstgelegenen Demeter-Betriebs mit einem Schmetterlingsnetz Elfen fangen und sich so weitere Verdienste um die Gedankenwelt Rudolf Steiners erwerben.


Warum tut die Uni Kassel das?

Was hat eine Universität dazu gebracht, einer esoterischen Bewegung akademische Weihen zu geben? Wie konnte ein Berufungskomittee Bewerber auswählen, die weniger peer-reviewte Artikel in wissenschaftlich anerkannten Journalen vorzuweisen haben als ein durchschnittlicher Doktorand? Wie konnte es Leute auswählen, die Thesen oder Methoden okkulten Ursprungs vertreten und sich, wie Baars, offen dazu bekennen?

Was hat die Universität Kassel dazu gebracht, die Verehrer Steiners und ihre Geschäfte aufzuwerten? Die paar Euro Stiftungsgelder? Unwahrscheinlich. Der Druck beziehungsweise Wunsch einiger Studenten? Wenn ja, wäre das ein weiterer Skandal: Es ist die Aufgabe einer Universität, ihren Studenten den Unterschied zwischen wissenschaftlichem Arbeiten und Esoterik beizubringen, und nicht umgekehrt. Die Universität hat nicht die versponnenen Ansichten einiger Studenten zu übernehmen. Wenn sie das doch tut, verspielt sie ihre Existenzberechtigung. Wir glauben allerdings nicht, dass die Studenten eine Rolle bei der Einrichtung der beiden Stiftungsprofessuren gespielt haben. Wir glauben, dass dieses Argument vorgeschoben wurde.


Wer ist die treibende Kraft?


Gab es eine politische Einflussnahme? Die treibende anthroposophische Kraft in Kassel scheint Dekan Jürgen Heß zu sein. Heß wurde 1997, unter einer rotgrünen Regierung, nach Kassel berufen. Die Anthroposophen zählen zur Klientel der Grünen (siehe Gibt es Elfen und Klabautermänner doch?). Doch Wissenschaftsministerin war damals Christine Hohmann-Dennhardt, eine Juristin von der SPD.

Eine politische Einflussnahme wäre allerdings selbst dann nicht bewiesen, wenn Frau Hohmann von den Grünen gewesen wäre. Dazu müsste man die Details der Berufung von Herrn Heß kennen, die aber sind uns vorläufig noch unbekannt.

Zur Klärung der Frage schlagen wir folgendes Experiment vor: Die Kaffeesatzleser sollten sich vereinigen und, der Farbe wegen, der CDU andienen. Eine literarisch begabte Kaffeesatzleserin sollte dann einige Dutzend zweckdienliche Publikationen im Tchibo-Heftchen (kein Peer-Review!) veröffentlichen, Tchibo spendiert einige Stiftungsgelder, der Lehrstuhl wird so eng ausgeschrieben, dass nur unsere Kaffeesatzliteratin darauf passt - und dann schauen wir, ob nicht am Fachbereich 11 der Universität Kassel demnächst eine weitere Stiftungsprofessur eingerichtet wird.

Siegfried Bär

unter Mitarbeit von Winfried Koeppelle; Photo: iStockphoto.com/Mamie Etherington


Die Autoren danken Sebastian Fettig von der Universität Erlangen-Nürnberg sowie einer unausgegorenen Focus-Titelgeschichte vom 12. Juni 2006 über "Bio-Lebensmittel", dass sie uns auf die Vorgänge in Witzenhausen aufmerksam gemacht haben.



Letzte Änderungen: 23.01.2007