Editorial

Keine Doktorarbeit über "Germanische Neue Medizin" in Göttingen.

Aribert Deckers streitet auf seiner Netzseite schon seit Jahren gegen Scharlatane aller Art. Sein Liebling ist Ryke Geerd Hamer, Erfinder der "Germanischen Neuen Medizin".

(10.10.2006) Aribert Deckers streitet auf seiner Netzseite (siehe hier) schon seit Jahren gegen Scharlatane aller Art. Sein Liebling ist Ryke Geerd Hamer, Erfinder der "Neuen Germanischen Medizin". Auf Deckers' Webseite finden sich ganze Romane über Hamer. Und in der Tat, Hamers Leben ist ein Roman, wenn auch ein trauriger.

Hamer, geboren 1935, hat in Tübingen Medizin und evangelische Theologie studiert. 1956 heiratete er Sigrid Oldenburg, die ihm vier Kinder schenkte, darunter den Sohn Dirk. 1959 legte Hamer das medizinische Staatsexamen ab, 1963 promovierte er mit "Untersuchungen über den Einfluss des Adaptinols auf die Dunkeladaption des gesunden Auges". Danach betrieb er in verschiedenen Städten nacheinander Praxen und erwarb 1972 den Facharzt für Innere Medizin.

Die tragische Wendung nahm das Leben Hamers im August 1978: Sein Sohn Dirk wurde, auf einer Yacht schlafend, vom Sohn des letzten italienischen Königs angeschossen. Dirk starb einige Wochen später in der Universitätsklinik Heidelberg, der Täter wurde freigesprochen. Nach Hamer (Telefoninterview mit Laborjournal vom 04.10.2006) habe der Richter nicht zweifelsfrei feststellen können, ob der Schuss wirklich von dem Prinzen abgegeben worden sei. Der Richter sei Rabbiner gewesen.

1981 wurde bei Ryke Geerd Hamer Hodenkrebs diagnostiziert und erfolgreich operiert. In dieser Zeit entwickelte er - angeblich im Traume geleitet von dem toten Sohn - eine Krebstheorie, die Hamer zuerst unter der Bezeichnung "Neue Medizin", später "Germanische Neue Medizin" verbreitete. Im Wesentlichen behauptet Hamer, dass jeder Erkrankung ein psychischer Konflikt zugrunde liege. Löse man diesen Konflikt, werde die Krankheit geheilt. Diese Theorie ist genauso gut belegt wie die Wirksamkeit homöopathischer Mittel, die Qualität biodynamischer Lebensmittel oder die Jungfräuliche Empfängnis Marias.

Da die Homöopathie vor einigen Jahren von der Universität Leipzig untersucht wurde, die Anthroposophen in Kassel Professuren haben und für die Jungfräuliche Empfängnis ganze Fakultäten zuständig sind, kann man es verstehen, dass auch Hamer für seine Theorie um den Segen der Wissenschaft ersuchte. Schon im Oktober 1981, nach etwa drei Monaten "Forschung" zu seiner Theorie, versuchte er mit der Schrift "Das Hamer-Syndrom und die Eiserne Regel des Krebses" an der Universität Tübingen zu habilitieren. Die lehnte das Habilitationsgesuch im Mai 1982 ab. 1986 wurde Hamer dank eines psychiatrischen Gutachtens, das ihm "wahnähnliche Gewissheit, eingeengtes Gesichtsfeld und rigide Wahrnehmungsperspektive" bescheinigte, die Approbation entzogen. Hamer jedoch verrannte sich weiter in seine Ideen.

1993 wurde er zu vier Monaten Bewährung verurteilt, weil er ein Kind mit Knochenkrebs falsch behandelt hatte, und 1995 wurde Hamer berühmt. Er hatte den Eltern der siebenjährigen Olivia Pilhar geraten, eine "schulmedizinische" Behandlung ihres Nierentumors abzulehnen. Dem Rat kamen die Eltern nach, sie flüchteten mit dem Kind sogar ins Ausland. Erst nach einem Gerichtsbeschluss konnte Olivia operiert werden. 1997 wurde Hamer wegen unterlassener Hilfeleistung zu 19 Monaten Haft verurteilt. Er floh nach Spanien und setzte dort seine Missionsarbeit für die "Neue Medizin" fort. 2000 wurde Hamer wiederum zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, diesmal in Frankreich und wegen illegaler medizinischer Tätigkeit. 2004 wurde er in Spanien verhaftet und nach Frankreich ausgeliefert. Dort saß Hamer bis zum Februar 2006 in Haft.

Nach Deckers hat Hamer bis zu sechzig Krebspatienten auf dem Gewissen: Er habe ihnen abgeraten, sich "schulmedizinisch" behandeln zu lassen und sie damit einem qualvollen Tod ausgeliefert. Zudem seien bei Hamer antisemitische Züge erkennbar. In der Tat behauptet Hamer, dass seine "Germanische Neue Medizin" seit 22 Jahren für alle praktizierenden Juden im Talmud vorgeschrieben sei. In dem Telefongespräch mit Laborjournal am 04.10.2006 kam Hamer - ohne danach gefragt worden zu sein - immer wieder auf jüdische Verbindungen und Hintergründe zurück. So sei der Richter, dem er den Gefängnisaufenthalt zu danken hatte, der Oberrabbiner von Savoyen, das Gefängnis habe als Grundriss den Davidstern gehabt und auch der Richter, der den Prinzen freigesprochen habe, sei ein Rabbiner gewesen. Auf die Nachfrage, wo denn im Talmud die "Neue Medizin" stehe, musste Hamer allerdings zugeben, dies nur gehört zu haben. Des weiteren verstrickte er sich in Widersprüche, als er dem LJ-Reporter weismachen wollte, sein Sohn (1978 gestorben) sei wegen der "Neuen Medizin" (1981 erfunden) erschossen worden. Der 71-jährige Hamer sprach in ruhigem Ton mit der Stimme eines 40-Jährigen, er wirkte sympathisch, und nur seine Fixierung auf Jüdisches ließ ahnen, dass mit dem Mann etwas nicht stimmt.

Hamer hat sich eine verschworene und argumentationsresistente Gemeinde ermissioniert, die Seminare und Kongresse organisiert, seine Schriften vertreibt und ihn als Märtyrer verehrt. Apostel dieser Gemeinde ist der Vater der Olivia, Helmut Pilhar.

Dies aber scheint Hamer nicht zu genügen. Sein Ziel ist nach wie vor die Anerkennung durch Universitäten und "Schulmedizin". Nach der gescheiterten Habilitation, nach einer dubiosen "Verifikation" seiner "Neuen Medizin" durch eine slowakische Universität, nachdem er bereits einen leibhaftigen Professor der Universität Düsseldorf zumindest teilweise bekehren konnte (was dieser bestreitet), machte Hamer nach seiner Freilassung im Februar 2006 einen neuen Anlauf. Diesmal an der Universität Göttingen. Schon im Juni dieses Jahres hatte er Cornelius Frömmel, den Dekan der Göttinger Medizinischen Fakultät, auf einen "Wissenschafts-Thing" eingeladen, was Frömmel ignorierte.

Einige Wochen später rief Hamer den Göttinger Radiologen Grabbe an und bat ihn um die Betreuung der Dissertation eines Volker Engelhardt, einem Braunschweiger Heilpraktiker, der sich "Arzt mit naturheilkundlicher Ausbildung" nennt (nach Deckers). Engelhardt wolle im Rahmen dieser Dissertation an 120 Patienten mit Bronchialkarzinom die Wirksamkeit der "Germanischen Neuen Medizin" erproben. Im Interview mit Laborjournal erzählte Hamer, die Universität Göttingen hätten er und Engelhardt gewählt, weil es Engelhardts Heimatuniversität sei. Auf Herrn Grabbe seien sie gekommen, weil er Radiologe und somit der zuständige Fachmann in Göttingen sei. Herr Grabbe habe ihm am Telefon gesagt, er fände den Vorschlag vernünftig. Wenn der Dekan einverstanden sei, sei er, Grabbe, bereit mitzumachen.

Herr Grabbe bestreitet dies: "Ich erinnere mich daran, vom Ton her ihm gegenüber sehr freundlich gewesen zu sein. Ich habe ihm aber gesagt, dass ich von der Sache her unter Berücksichtigung der speziellen Problemfelder keine Entscheidung treffen könne. Insofern habe ich darum gebeten, den Dekan anzusprechen und um eine Entscheidung zu bitten. Herr Hamer hat offenbar Höflichkeit mit Zustimmung verwechselt."

Hamer schrieb daraufhin Dekan Frömmel wiederum einen Brief (datiert vom 24.09.2006). Darin bat er Frömmel, sein "Einverständnis als Dekan zu geben, dass eine solche Dissertation in Göttingen stattfinden kann". Dekan Frömmel erklärte gegenüber Laborjournal, dass er das Ansinnen Hamers ablehne.

Die Entscheidung Frömmels ist richtig. Wo kämen wir hin, wenn jeder Kaffeesatzleser, Spökenkieker und Tischerücker seine okkulten Einfälle und obstrusen Folgerungen an einer Universität prüfen lassen dürfte? Die Einfallsgeschwindigkeit dieser Personen ist so hoch, dass die Universitäten nur noch mit ihnen beschäftigt wären.

Siegfried Bär

Kommentare zu diesem Artikel

Auf der Seite des Hamer-Propheten Helmut Pilhar findet sich der Antwortbrief Hamers auf den ablehnenden Bescheid des Dekans Prof. Frömmel:

www.pilhar.com/Hamer/Korrespo/2006/20061005_Hamer_an_Froemmel.htm

"Spektabilität, Ihr Schreiben vom 27.09.2006 habe ich erhalten. Ich sehe dieses Schreiben, von Ihnen in Ihrer Position geschrieben, als öffentliche Bankrotterklärung der Schulmedizin an.

Es zeugt von so unendlicher Arroganz, daß jedem redlichen Menschen übel davon wird. Prof. Grabbe dagegen bezeichnete diese Arbeit als "sehr vernünftig" und bestätigte auch die schulmedizinische Therapiemortalität bei sog. Bronchial-Karzinom als quasi 100%.

Was hätte es also zu verlieren gegeben, wenn 20 freiwillige Patienten nach der Germanischen Neuen Medizin überlebt hätten? - außer, daß dann die sog. Schulmedizin ad absurdum geführt worden wäre.

Aber es geht doch um das Überleben der Patienten.

So aber betätigen Sie sich als Verlängerer der Erkenntnisunterdrückung und somit auch des Massenmordes (Prof. Niemitz).

Spektabilität, ich versichere Ihnen, die Volksseele kocht bereits.

Und sollte ich jemals etwas zu sagen haben, dann werde ich Sie mit Sicherheit anklagen - wegen Beihilfe zum Massenmord.

Das, was Sie hier machen, würde man in der Wirtschaft einen betrügerischen Bankrott nennen. Sie wissen - ebenso wie Ihre Kollegen - daß die Germanische Neue Medizin richtig ist und verhindern, daß die Patienten damit überleben können.

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deepbluesea, 25-Oct-2006 12:26:29






Letzte Änderungen: 10.10.2006