Editorial

Quacksalberei auf Krankenschein?

Scharlatanerie ist in der Medizin weitverbreitet und kostet jährlich Milliarden Euro. Manche Formen der Scharlatanerie wie Homöopathie, Bachblüten, anthroposophische Medizin et cetera genießen sogar den Schutz des Gesetzgebers.

(08.09.2006) Scharlatanerie ist in der Medizin weitverbreitet und kostet jährlich Milliarden Euro. Manche Formen der Scharlatanerie wie Homöopathie, Bachblüten, anthroposophische Medizin et cetera genießen sogar den Schutz des Gesetzgebers. So brauchen sie die Wirksamkeit ihrer Produkte nicht nachzuweisen. Andere Scharlatanerien wie die des Ryke Geerd Hamer sind verpönt und Prophet Hamer musste sogar eine Gefängnisstrafe absitzen.

Allen gemeinsam ist eine Sehnsucht nach Anerkennung durch die wissenschaftliche Medizin. So haben sowohl Homöopathen als auch Anthroposophen schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts versucht, Universitäten für dieses Ziel einzuspannen. Letztere zum Beispiel die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Und sie versuchen es bis heute. Neulich sind die Homöopathen damit in Leipzig gescheitert (siehe Laborjournal 10/2005). Den Anthroposophen jedoch gelang es, sich biodynamisch in den Kasseler Agrarwissenschaften einzunisten.

Auch Hamers Streben nach universitärer Anerkennung war nicht ganz erfolglos. Zwar scheiterte seine Habilitationsarbeit über "Germanische Neue Medizin" am Widerstand der Universität Tübingen, doch behandelt ein emeritierter außerplanmäßiger Professor der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf schon seit Jahren an Neurodermitis erkrankte Kinder nach Hamers Ideen. Der Name des Professors: Ernst August Stemmann, Abteilungsleiter der Kinderklinik Gelsenkirchen (siehe Laborjournal 6/2005). Zwar bestritt Stemmann kürzlich in einem Interview mit dem SWR, etwas mit Hamer zu tun zu haben, doch ruht Stemmanns Gelsenkirchener Behandlungsverfahren (GBV) theoretisch auf Hamers Ideen (siehe hier), und Stemmann hatte Hamers Theorien in einem Gutachten bestätigt.

Ein früherer Mitarbeiter Stemmanns, Wolfgang Klosterhalfen, seines Zeichens Psychologe und Titularprofessor, zeigte Herrn Stemmann am 11. August 2005 bei der Staatsanwaltschaft Essen wegen Betrugs, unterlassener Hilfeleistung, Körperverletzung und der Beihilfe zum Betrug an. Stemmann behaupte, er könne mit seinem GBV Neurodermitis heilen, obwohl diese Krankheit in der Fachwelt zur Zeit noch als unheilbar gilt und Stemmann diese Heilung nie wissenschaftlich bewiesen habe. Stemmann habe mit seinem GBV die Krankenkassen um etwa fünfzig Millionen Euro betrogen.

Die Staatsanwaltschaft stellte am 9. September 2005 die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung, unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung ein und ermittelte danach nur noch wegen Betrugs. Am 10. Oktober 2005 wurde auch das Verfahren wegen Betrugs und der Beihilfe zum Betrug eingestellt. Die Begründung:

Ein Betrug setzt u. a. Täuschung über Tatsachen voraus, die einem gerichtlichen Beweis zugänglich sind. Ferner muß bei dem Getäuschten ein Irrtum erregt werden. Im übrigen muß der Täuschende sich dessen bewusst sein, d. h. vorsätzlich handeln. Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es handelt sich um einen Meinungsstreit unter Medizinern. Unstreitig erzielt der Beschuldigte - aufgrund welcher Behandlungsmethoden oder im Wege einer Selbstheilung dürfte kaum festzustellen sein - auch Erfolge bei der Behandlung von Neurodermitis-Erkrankten. Der wissenschaftliche Nachweis, dass seine Behandlungsmethoden erfolglos sind, ist bisher nicht geführt worden. Es gibt zahlreiche Befürworter und Gegner seiner Methode. Wie Sie im übrigen in Ihrer umfangreichen Strafanzeige selbst mitteilen, wurde beziehungsweise wird der Meinungsstreit in der breiten Öffentlichkeit geführt und ist daher auch den "geschädigten" Kassen bekannt. Es fehlt daher an einer Irrtumserregung. Ob der Beschuldigte Anhänger der GNM ist, spielt in dem Zusammenhang mit der Prüfung eines Betruges im Sinne von Paragraph 263 StGB keine Rolle. Im übrigen hat er, wie Sie selbst ausführen, sich hierzu öffentlich bekannt und täuscht daher nicht darüber.

Die Staatsanwaltschaft stellt sich also auf den Standpunkt, dass die Beweislast nicht bei Stemmann liege. Das mag juristisch richtig sein (oder auch nicht), wissenschaftlich ist es Unsinn: Es muss nicht der wissenschaftliche Nachweis geführt werden, dass Stemmanns Methode erfolglos ist. Vielmehr müsste Stemmann den Nachweis führen, dass seine Methode erfolgreich ist, bevor er sie anwendet beziehungsweise bevor die Krankenkassen dafür zahlen. Das Urteil darüber wäre Sache der Krankenkassen: Sie müssten prüfen, ob die Methode erfolgreich ist, bevor sie sie als erstattungswürdig einstufen. Dies um so mehr, als das GBV nicht auf gängigen wissenschaftlichen Einsichten beruht (nach Stemmann bricht Neurodermitis wegen einer "Gefühlsverletzung" aus) und in den letzten Jahren Tausende von Kindern danach behandelt wurden.

Da Klosterhalfen glaubt, dass Stemmann nie nachgewiesen habe, dass das GBV wirke - auch Laborjournal ist keine Arbeit bekannt, die dies leistet -, kam er auf den naheliegenden Gedanken, die Krankenkassen wegen Verdachts der Untreue gegen alle verantwortlichen Personen in Krankenkassen und relevanten kassennahen Einrichtungen, die das GBV als erstattungswürdig eingestuft haben oder die notwendige Überprüfung des GBV unterlassen haben, anzuzeigen. Die Anzeige erstattete Klosterhalfen am 20. Juni 2006, am 12. Juli 2006 erhielt er die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde. Klosterhalfen habe nur seine alten Vorwürfe wiederholt und keine neuen Tatsachen vorgelegt.

Diese Entscheidung ist schwer verständlich. Da sagt einer, die Krankenkassen schmissen Millionen zum Fenster heraus für eine nicht funktionierende esoterische Methode. Der Mann begründet das mit seitenlangen genauen Angaben und ist ein ausgewiesener Wissenschaftler. Wäre es nicht naheliegend für eine Strafverfolgungsbehörde, bei einer der erstattenden Krankenkassen anzurufen und nachzufragen, auf welchen wissenschaftlichen Unterlagen der Entscheid beruht, das GBV zu erstatten? Gibt es welche, schickt man die Akten an zwei Gutachter mit der Bitte zu prüfen, ob sie wissenschaftlich sauber sind. Gibt es keine, muss Anklage wegen Untreue gegen den zuständigen Sachbearbeiter erhoben werden.

Oder sind die Krankenkassen gar nicht verpflichtet, nachzuweisen, dass die Behandlungen, die sie bezahlen, auch wirken? Kann der Staatsanwalt deswegen nicht tätig werden? Dann wäre es höchste Zeit, die Gesetze zu ändern. Die Gesundheitsministerin ändert ja am laufenden Band Gesetze, nur leider die falschen.

Siegfried Bär



Letzte Änderungen: 08.09.2006