Editorial

Die Nasenforscher (Es steht ihnen ins Gesicht geschrieben...)

Siegfried Bär ist wieder fündig geworden auf seiner nimmermüden Suche nach besonders schlechten Papern...

(17.05.2006) Es ist in den Medien schöne Sitte, jede Woche eine andere psychologische Sau durchs Dorf zu treiben. Es gibt auch kaum noch Sendungen oder Themen, in denen kein Psychologe sich als Experte äußern darf oder muss. Diese Äußerungen gleichen in der Regel -- bis auf Wortwahl und Jargon -- dem, was ein beliebiger Bürger zu der Sache zu sagen gehabt hätte: Nichts und/oder Banalitäten.

Wer zu allem etwas zu sagen hat, hat jedoch nichts zu sagen. Diese Sitte ist jedoch durchaus zu begrüßen, denn wer nichts sagt, setzt auch keine Falschinformationen in die Welt. Zudem habe ich Verständnis dafür, dass die Sender irgendwie die Sendezeit totschlagen müssen.

Den Verfassern von Artikeln, die in wissenschaftlichen Fachzeitschriften erscheinen, fehlt jedoch leider die Bescheidenheit ihrer Kollegen in Rundfunk und TV. Die wollen dagegen oft Antworten auf Grundfragen der Menschheit geben. Solch einen Artikel haben kürzlich James Roney et al. in "Proceedings of the Royal Society B" untergebracht.

Die Aussage des Artikels: Für Langzeitbeziehungen suchen sich Frauen kinderliebe Männer, für Kurzzeitbeziehungen solche mit hohem Testosteronspiegel. Sowohl Testosteronspiegel als auch Kinderliebe lesen die Frauen den Männern am Gesicht ab.

Das wäre nun ein erstaunliches Ergebnis. Leider basiert es auf einer sandigen Datenbasis: Befragungen und subjektive Einschätzungen. 39 Männern wurden Baby-, Kinder- und Erwachsenenbilder vorgelegt. Diejenigen, welche die Kinderbilder bevorzugten wurden -- oh Sancta Simplicitas -- als kinderlieb eingestuft. Es wurde nicht geprüft wie konstant diese Vorliebe ist, es wurde auch unterlassen, zu prüfen wie reproduzierbar sie ist (z. B. durch einen zweiten oder dritten Test an einer zweiten oder dritten Herrenversammlung mit verschiedenen Bildern). Und ungelöst blieb die Hauptfrage: Was bedeutet es, wenn einer das Bild eines Babys dem eines Erwachsenen vorzieht? Dies kann Hunderte von Gründen haben: dass Kinderliebe der hauptsächliche sei, ist lediglich eine nicht weiter belegte Vermutung. und nicht einmal eine besonders plausible.

Neben der Befragung wurden auch Fotos der männlichen Testteilnehmer gemacht sowie ihr Teststeronspiegel bestimmt. Die Fotos der männlichen Testteilnehmer legten Roney et al. 29 Frauen vor. Die mussten sie auf einer Skala von 1 bis 7 auf Maskulinität und Kinderfreundlichkeit einschätzen. Zudem mussten die Damen angeben, mit welchen der Herren sie eine kurze Liebschaft und mit welchen sie die Ehe eingehen würden.

Einmal abgesehen davon, dass die Linearität der Skala schon die Antwort verzerrt (es mag ja Männer geben, die maskulin aussehen und dennoch kinderfreundlich sind) lässt einen die Kindlichkeit dieser Fragerei erschauern. Wie schon oben, so fehlt auch hier jede Kontrolle der Reproduzierbarkeit und Konstanz. Des weiteren der Nachweis, dass maskulines Aussehen und hoher Testosteronspiegel auch wirklich mit Maskulinität (was ist das genau?) einhergeht.

Bei Hormonen spielen zudem immer mindestens zwei eine Rolle (Hormon und Rezeptor) und so könnte ein niedriger Hormonspiegel bei empfindlicheren Rezeptoren eine größere Wirkung haben als ein hoher Hormonspiegel bei unempfindlichen Rezeptoren. Auch die Versicherung der Autoren Men's testosterone concentrations served as proxy for genetic quality given evidence that this hormone signals immunocompetence lässt einem die Haare zu Kopf stehen. Die Testosteron Konzentration soll die genetische Qualität eines Mannes messen? Wenn es so einfach wäre...

Dennoch kommen Roney et al. zu dem Schluss, dass Frauen aus den männlichen Gesichtszügen sowohl deren Maskulinität als auch Kinderliebe herauslesen könnten. Sie wollen jetzt herausfinden, welche Gesichtszüge dem zugrunde liegen.

Derartige Untersuchungen kommen mir vor wie einer, der versucht, mit der Holzaxt histologische Schnitte zu schneiden. Es ist Gerede mit Wissenschaftsflair, Futter für Party-Small Talk. Und es nicht einmal neu. Der Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1801) hat schon 1775 in seinem Werk "Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe" behauptet, man könne aus den Gesichtszügen eines Menschen auf den Charakter schließen. Vielleicht sollten Roney et al. dort nachschlagen. Damit Sie auf der nächsten Party glänzen können, hier einige Auszüge:

Augen, die groß, offen, helldurchsichtig, unter parallelen, scharf gezeichneten Oberaugliedern schnell-beweglich funkeln, - haben sicherlich allemal fünf Eigenschaften - Schnellen Scharfblick, Eleganz und Geschmack, Zornmüthigkeit, Stolz, und furiose Weiberliebe.

Eine physiognomisch-gute Nase wiegt unaussprechlich viel in der Waage der Physiognomik - Sie kann durch nichts, was es sey, überwogen werden. Sie ist die Summe der Stirn, und die Wurzel des Untertheils des Gesichts. - Ohne zarte Beugungen, kleine Brüche, oder merkbare Schweifungen, giebt es keine physiognomisch-gute oder geistig-große Nase.

Nasen, die vornen etwas aufwärts gehen, und bey der Wurzel merklich vertieft sind, unter einer mehr perpendikulären, als zurücksinkenden Stirn - sind von Natur geneigt zur Wollust, Bequemlichkeit, Eifersucht, Eigensinn, dabey aber können sie feinsinnig, redlich, gaabenreich, gutmüthig seyn.


Schade, dass in der Arbeit von Roney et al. die Nasen der Verfasser, der Reviewer und des Editors fehlen!



Letzte Änderungen: 17.05.2006