Editorial

Too good to be true

Einen Tag vor Weihnachten bereitete der südkoreanische Stammzellforscher Hwang Woo Suk der weltweiten Forschergemeinde das krasse Gegenteil einer frohen Überraschung: Er musste den wohl größten Fälschungsskandal der modernen Life Sciences gestehen.

(24.12.2005 / 07. & 10.01.2006) So schnell kann's gehen. Einige Fachblätter, die mit "ihren" Forschungshöhepunkten des Jahres 2005 besonders früh dran sein wollten, hatten Hwang im November noch unangefochten auf Platz 1. Allzu spektakulär kam daher, was er mit seinen Koautoren im Juni in Science (Bd. 308, S. 1777) präsentierte: Elf patientenspezifische Stammzelllinien hatte das Team darin beschrieben, mit denen sich die entsprechenden Krankheiten fortan quasi in der Kulturschale untersuchen lassen sollten.

Der Jubel war groß - bei Stammzellbiologen, wie auch Medizinern. Sofort reiften jede Menge Szenarien, welch tolle Dinge sich mit diesen Zellen anstellen ließen. Und bei all der Euphorie blieb zuerst kaum Platz für Zweifel, wie der bis kurz zuvor völlig unauffällige Südkoreaner geschafft haben könnte, was die "Big Shots" der Stammzellforschung schon lange vergeblich versucht hatten.

Doch bereits Anfang November begann es zu rumoren. Hwangs Koautor Gerald Schatten von der University of Pittsburgh distanzierte sich plötzlich scharf von dem gemeinsamen Artikel. Zuerst ging es nur um ethisch zweifelhafte Praktiken, wie Hwang und Co. an die vielen Eizellen für die Experimente gekommen sein sollten. Dies wurde schnell bestätigt. Dann kamen doppelt verwendete Fotos dazu. "Stimmt, aber nur ein bedauerliches Versehen", kommentierte Hwang.

Diese sowie konkrete Fälschungsvorwürfe weiterer Koautoren zwangen letztlich Hwangs Arbeitgeber, der Seoul National University, eine Untersuchungskommission einzusetzen. Und die brauchte verblüffend wenig Zeit um noch vor Weihnachten festzustellen: Neun der elf maßgeschneiderten Stammzelllinien seien gefälscht. Sie hätten zum Teil nie existiert, seien gestorben oder überhaupt nie als Stammzellen nachweisbar gewesen. Und auch die verbliebenen zwei Linien blieben vorerst fragwürdig. Fazit: Gezielte Manipulation, Versehen unmöglich. Und Hwang müsse davon gewusst haben.

Hwang hat die Fälschungen mittlerweile zu- und seinen Lehrstuhl abgegeben. In einer kurzen Ansprache entschuldigte er sich für "den Schock und die Enttäuschung", die er verursacht habe. Was angesichts des enormen Schadens, den er nicht nur der Stammzellforschung, sondern den gesamten Life Sciences zugefügt hat, fast zu harmlos klingt. Hwangs Kollegen weltweit geben sich daher "fassungslos", oder sprechen von "Schande" und "Katastrophe".

Über die Motive Hwangs für die Datenmanipulation kann man nur rätseln. Zumal solcherart exponierte "Resultate" geradezu danach schreien, als Fälschungen aufzufliegen, da Heerscharen von Forschern versuchen würden mit den Ergebnissen und Zellen weiterzuarbeiten. Hwang hatte eigentlich keine Chance damit durchzukommen.

Doch wieso haben die Gutachter nicht gleich etwas gemerkt? Wahrscheinlich "wollte" man Hwangs Resultate zu sehr. Zumal sie nicht nur seit einiger Zeit als prinzipiell machbar erschienen, sondern wohl auch recht plausibel präsentiert wurden. Auch Hwangs deutscher Kollege Hans Schöler vom MPI für Biomedizin in Münster wendete sich in Spiegel online gegen eine allzu starke Generalkritik am Gutachtersystem, die inzwischen bei solchen Fällen fast schon reflexartig ertönt. "Wenn man es geschickt anstellt, genügt ein wahrer Kern, um mit einer Studie durchzukommen", erklärte er. "Wissenschaft beruht zunächst einmal auf Vertrauen."

Womöglich haben Hwang und Co. gar tatsächlich die ein oder andere Stammzelllinie mit ihrem Verfahren erhalten - und die restlichen dann erfunden. Die verbliebenen zwei mutmaßlichen Stammzelllinien würden nun in den nächsten Wochen geprüft. Hwang selbst jedenfalls scheint immer noch an seine Methode zu glauben. Und das wolle er in nächster Zeit auch beweisen, verkündete er störrisch.

Wie Hwang das ohne Arbeitsplatz und Forschungsgelder tun will, bleibt ein Rätsel. Doch das ist nicht einmal das Schlimmste. Hwang galt bis dahin als Nationalheld in Südkorea, sein Konterfei zierte dort sogar Briefmarken. Jetzt hat er auf die krassest mögliche Weise "sein Gesicht verloren". Wer weiß, was das in den fernöstlichen Ländern bedeutet, muss Zweifel haben, ob wir jemals wieder etwas hören werden von Hwang - dem kurzzeitigen Welt-Stammzellforscher Nummer eins sowie offiziellen "Top-Wissenschaftler" Südkoreas.

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Nachtrag 1 (07.01.2006):

Roe Jung Hye, Sprecherin der offiziellen Kontrollkommission von der National University in Seoul, legte inzwischen einen zweiten Zwischenbericht über Hwangs Science-Paper vor. Demnach seien alle Daten des Artikels gefälscht. Nicht eine der beschriebenen embryonalen Stammzellinien enthalte patientenspezifisches Erbmaterial. Die beiden tatsächlich noch im Labor vorhandenen Linien, No. 2 und 3, seien zwar embryonal, aber nicht geklont, da deren Erbgut nicht mit der Patienten-DNA identisch sei. "Die Tests von drei Laboren zeigten, dass keine der im Mai präsentierten Zellen auf therapeutischem Klonen beruhen", fasst Roe zusammen.

Auch die fünf Zellkulturen, die nach Einreichung des Artikels im März geschaffen wurden, sind offenbar "normale" embryonale Stammzellen. Vor einer Woche versuchte Hwang damit noch zu überzeugen, dass er tatsächlich seine mutmaßliche Klon-Technik beherrsche. Jetzt schweigt er wieder.

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Nachtrag 2 (10.01.2006):

Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses der Universität Seoul bezeichnet nun die gesamte Stammzellforschung des Südkoreaners Hwang Woo Suk als gefälscht. So seien auch die Ergebnisse des Science-Papers aus dem Jahr 2004 manipuliert, in dem Hwang und Co. die weltweit erstmalige Gewinnung einer Stammzelllinie aus geklonten menschlichen Embryos beschrieben.

Bleibt nur noch der Klonhund "Snuppy". Diesen veröffentlichte Hwang mit seinem Team im August letzten Jahres in Nature als ersten geklonten Hund überhaupt. Tatsächlich habe dieser dasselbe Erbgut wie sein "Vater", ein dreijähriger Afghane, so die Kommission. "Allerdings wurden dabei keine maßgeschneiderten Zellen aus geklonten Embryos gewonnen", heißt es in dem Bericht weiter. "Mit anderen Worten: Die Technologie auf diesem Gebiet war nur bescheiden."

Jetzt will auch die koreanische Staatsanwaltschaft wegen Verdacht auf Betrug gegen Hwang ermitteln.

Ralf Neumann

(Eine englische Übersetzung des Abschlussberichts der Untersuchungskommission gibt es auf der Website der Seoul National University: klick)

(Eine Chronologie der Ereignisse samt editorialer Stellungnahmen bietet Science hier)



Letzte Änderungen: 11.01.2006