Editorial

Hüter des Lichts

(10.04.2018) Im PCR-Raum funktioniert das Licht nicht mehr. Unsere (andere) TA bittet inständig um Erleuchtung.
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Die Enthüllung der stummen Tragödie begann mit einem einzigen Satz.

„Das Licht im PCR-Raum geht nicht an“, eröffnet eine Doktorandin mir am frühen Mittwochmorgen.

Manche Probleme löst die erfahrene TA im Sitzen mit einem einzigen Satz: „Du musst auf beide Schalterhälften drücken!“

„Warum denn das?“

„Weiß ich auch nicht, das war schon immer so.“

„Ach?“ Sie geht und kommt gleich darauf wieder zurück, Unsicherheit auf dem Gesicht. „Es geht trotzdem nicht!“

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Für andere Probleme muss die erfahrene TA allerdings von ihrem Schreibtischstuhl aufstehen. Besonders, wenn eine Doktorandin von einem zweigeteilten Lichtschalter in Selbstzweifel gestürzt wird, muss man ran. Ich folge ihr ins Dunkel, drücke meinerseits auf die Lichtschalterhälften und weiß nicht recht, was ich mir jetzt erhoffen soll. Wenn das Licht angeht, habe ich Recht und wir können was sehen, aber die Kollegin würde es in arge Selbstzweifel stürzen. Bleibt es dunkel, ist ihr Selbstvertrauen zwar gestärkt, aber ich muss mich dann um die Reparatur kümmern. Das Licht entscheidet sich für Tor Nummer zwei, der Raum bleibt dunkel.

In den umliegenden Räumen funktioniert das Licht allerdings, auch alle Cycler und die anderen Geräte innerhalb dieses Raumes haben Strom. An den Sicherungen liegt es also mit Sicherheit nicht. Ich rufe bei der Haustechnik an.

„Guten Tag, AG Schleiff. In Raum 317 lässt sich das Licht nicht mehr einschalten. Könnten Sie uns bitte erleuchten?“

Im Versuch meine technischen Kenntnisse zu demonstrieren, füge ich hinzu:

„Ich habe auch beide Lichtschalterhälften gedrückt.“

„Dann sollten beide Lampen brennen!“

„Tun sie aber nicht, und ich habe wirklich auf beide Schalterhälften gedrückt.“

Wahrscheinlich ahnte er da schon die Wahrheit, überspielt das aber mit einem Kompliment.

„Sie haben bestimmt Erfahrung im Lichteinschalten.“

„Da haben Sie Recht. Ich mache das schon seit vielen Jahren“, bestätige ich.

Der freundliche Techniker verspricht, sich darum zu kümmern. Um ebenfalls etwas beizutragen, hänge ich an beide Türen unseres neuen Darkrooms Zettel, auf denen ich mich zu einer unerhörten physikalischen Behauptung versteige: „Das Licht in diesem Raum ist kaputt.“ Ich bin keine Physikerin, ich darf das so schreiben.

Zwei Stunden später erscheinen gleich drei Lichtritter. Zu Fuß, ganz ohne weiße Rösser, gewandet in blaue Arbeitsmonturen statt in schimmernde Rüstungen nehmen sie den Kampf gegen die Dunkelheit auf. Wie sich herausstellt, sind beide Leuchtstoffröhren durchgebrannt.

„Die linke hat länger durchgehalten“, diagnostiziert der Lichtritter auf der Leiter beim ersten Blick auf die alten, ausgebauten Röhren.

„Daher konnten Sie auch nur mit einem der beiden Lichtschalter das Licht einschalten.“

Ich bin erschüttert. Was für eine tragische Seifenoper hat sich da unbemerkt an unserer Zimmerdecke abgespielt. All die Jahre waren die beiden Leuchtstoffröhren an der Zimmerdecke durch eine unüberbrückbare Distanz getrennt, unerreichbar füreinander. Vielleicht wollten sie damals gemeinsam durchbrennen, um endlich auf ewig miteinander vereint zu sein, doch aus einer technischen Laune des Schicksals heraus verstarb nur die eine, und die andere blieb als Witwenlampe zurück, mit nichts als Schmerz in ihrem Leuchtstoffherz.

Die drei Lichtritter gehen. Einer hält die beiden kaputten Leuchtstoffröhren in der Hand. Wenigstens im Tode sind sie einander für eine kleine Weile ganz nah.

„Nach Jahren der Einsamkeit folgte unsere geliebte Leuchtstoffröhre ihrem langjährigen Partner ins Licht und ließ uns im Dunkeln zurück“.

Ich brauch ein Taschentuch!

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 10.04.2018