Editorial

Zweischneidiges Schwert

(07.03.2018) Die Cas9-Nuklease von Campylobacter jejuni bindet zielgerichtet an mRNAs und zerschneidet sie. Geführt von einer entsprechenden guide-RNA attackiert sie aber auch DNA. Diese Promiskuität ist Fluch und Segen zugleich.
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Bakterien wehren sich gegen Virus-Attacken mit einem lernfähigen Immunsystem das vom CRISPR-Gen-Lokus kodiert wird. Es besteht aus einem eingespielten Team mit drei Mitspielern: trans-activating CRISPR-RNA (tracrRNA), dem CRISPR-Array sowie Cas9. Die tracRNA bildet mit der vom CRISPR-Array transkribierten guide-RNA (crRNA) und der Nuklease Cas9 einen Ribonuklein-Komplex.

Der Komplex zieht in Zellen umher und jagt Virus- oder Fremd-DNA, die zur crRNA komplementäre Sequenzen enthält. Damit die fremde DNA von der Nuklease Cas9 zerlegt wird, muss die komplementäre Sequenz zusätzlich von einem Proto-spacer Adjacent Motif (PAM) flankiert werden.

Eine Gruppe um Cynthia Sharma von der Universität Würzburg hat bei ihren Untersuchungen an Cas9 aus Campylobacter jejuni, einem in Nahrungsmittel hausenden bakteriellen Pathogen, eine Besonderheit festgestellt. Zwar wird auch CjCas9, wie ihre homologen Vertreter aus anderen Organismen, von der crRNA zur Zielsequenz dirigiert - bei dieser handelt es sich aber nicht um DNA, sondern um RNA (Molecular Cell).

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Mit einer Co-Immunopräzipitations-Strategie (Co-IP) spürten Sharmas Mitarbeiter RNAs auf, die an der Cas9-Schere klebten. Als Startmaterial verwendeten sie Wildtyp (Kontrolle) oder transformierte Cj-Zellen, die ein Cas9-Flag-Fusionsprotein überexprimierten. Nach der Isolierung von Cas9 mit einem anti-Flag-Antikörper sequenzierten sie die Co-immunopräzipitierten RNAs und verglichen die erhaltenen Sequenzen mit dem Cj-Genom.

Der CRISPR-Lokus von Campylobacter jejuni enthält neben der tracrRNA vier crRNAs (crRNA1 bis crRNA4) die jeweils aus einem circa 24-Nukleotiden langen sogenannten Spacer-derived-Guide sowie einer 13-Nukleotide langen Repeat Sequence bestehen. In den Cas9-Flag-Proben waren die vier crRNAs sowie die tracRNA stark angereichert, was nicht erstaunlich war.

Überraschend war hingegen, dass neben diesen Abkömmlingen des CRISPR-Lokus auch etwas mehr als hundert andere RNAs auftraten. Die meisten dieser etwa 170-Nukleotide langen Sequenzen stammten aus den codierenden Regionen von mRNAs. Spannend war vor allem, dass viele komplementär zu den „Guide“-Abschnitten der vier crRNAs waren: Offensichtlich war Cas9 direkt oder indirekt mit diesen Transkripten assoziiert.

Waren hierfür tatsächlich spezifische RNA-crRNA-Paarungen verantwortlich und agierte die crRNA, wie im klassischen CRISPR/Cas9-Prozess, als guide-RNA? Die Antwort ist ein klares „Ja“.

Das Würzburger Team führte die Co-IP, RNA-seq und Genom-Mapping Prozedur mit Cas9-Flag-überexprimierenden Cj-Zellen durch, denen jeweils einer der vier crRNA-Spacer fehlte. Dabei beobachteten sie, dass RNA-Peaks verschwanden, die komplementäre Sequenzen zur deletierten crRNA-Sequenz enthielten. Dieser Effekt trat sehr spezifisch auf: Die Deletion des crRNA3-Abschnitts wirkte sich nicht auf crRNA4-homologe Transkripte aus, umgekehrt hatte der Verlust des crRNA4-Abschnitts keinen Einfluss auf Transkripte die homolog zu crRNA3 waren.

Im nächsten Schritt wollten Sharma und Co herausfinden, wo Cas9 die einzelnen mRNAs geschnitten hatte und ob die Wahl der Schnittposition ein System erkennen ließ. Hierfür inspizierten sie die 5´-Enden von RNAs, die bei der Cas9-Co-IP angereichert wurden und verglichen wiederum Wildtyp mit Cas9-Flag-Proben. Etwa ein Drittel der Kandidaten (vor allem die mit der höchsten crRNA-Komplementarität) wurde geschnitten. Der Schnitt erfolgte kurz vor der vorhergesagten Binderegion. Mit Hilfe von Mutanten wies Sharmas Gruppe zudem nach, dass Cas9, crRNAs und tracrRNAs für das Schneiden der mRNA unerlässlich waren.

Eine ganz besonders stark angereicherte Ziel-mRNA von crRNA3 nutzten die Würzburger, um die Funktion von Cas9-Domänen zu beleuchten. Sie wollten insbesondere herausfinden, welcher Teil von Cas9 für den RNA-Schnitt verantwortlich war. Hierzu transformierte die Gruppe einen cas9-defizienten Stamm mit Konstrukten, die für intakte Cas9-Nukleasen oder in einzelnen Domänen mutierte Varianten kodierten. Nur mit einer Mutante, die eine inaktive HNH-Domäne enthielt, die auch für das Schneiden doppelsträngiger DNA unerlässlich ist, schlug die Komplementation fehl: Cas9 konnte die RNA nicht mehr schneiden.

Ist CjCas9 eine Allround-Nuklease, die sowohl RNA als auch DNA gezielt schneidet? Prinzipiell ja. Bei der Ziel-DNA muss jedoch vorneweg ein PAM stehen, bei RNA funktioniert der Schnitt PAM-unabhängig. Damit CjCas9 die gewünschten Transkripte attackiert, muss das Design der sgRNA an das Ziel angepasst sein. Sharmas Mitarbeiter zeigten dies exemplarisch mit In-vitro-transkribierten mRNAs, die nur geschnitten wurden, wenn die mRNA-Sequenz zu einer sgRNA passte.

Die mögliche Promiskuität von Cas9-Nukleasen ist Fluch und Segen zugleich. Bisher ging man bei CRISPR/Cas9 nur von Off-target-Effekten innerhalb des Genoms aus. Sollten bestimmte Vertreter von Cas9-Nukleasen jedoch auch RNA zerschneiden, bliebe dies für das Transkriptom und letztlich das Proteom von Zellen nicht folgenlos.

Auch Konkurrenzkämpfe könnten ein Thema werden: Eine mit Unmengen an Zieltranskripten konfrontierte Cas9-Nuklease könnte sich von ihrer eigentliche Ziel-DNA ablenken lassen. Mit der Folge, dass das Gen-Editing ausbleibt. Die Gruppe um Sharma rät deshalb zu noch mehr Vorsicht bei medizinischen CRISPR/Cas9-Anwendungen.

Die Flexibilität von Cas9 ist aber auch ein Vorteil, etwa im Kampf gegen HIV. Hier wäre es mit einer promiskuitiven Cas9 zum Beispiel möglich, sowohl die inaktive als auch die latente Form des Virus auf einen Streich zu erwischen.

Andrea Pitzschke


Letzte Änderungen: 07.03.2018