Editorial

Big Brother beim Meeresgott

(06.02.2018) Von Wikimedia gefördert, geht Open Science in die nächste Runde. Eine Gruppe von Meeresforschern bloggt über ihre Forschungsfahrt und legt alle Ergebnisse in Echtzeit offen.
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(06.02.2018) Zurzeit kreuzt ein Forschungsschiff des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel vor der Küste Mauretaniens. An Bord der Poseidon befinden sich neun Meeresforscher, die dort nicht nur Experimente machen, sondern auch selbst Teil eines Experiments sind. Denn erstmalig lassen Fahrtleiter Tobias Steinhoff und seine Forscher die Öffentlichkeit in Echtzeit an ihrer Expedition teilhaben. Dazu bereiten sie alle aufgenommenen Daten direkt auf, und stellen sie in Form eines offenen Labortagebuchs zur Verfügung. Zusätzlich kann jeder Interessierte die Poseidon mit Hilfe eines mit stimmungsvollen Fotos bebilderten Blogs auf ihrer Fahrt begleiten.

Gefördert wird das Projekt durch das Programm „Freies Wissen“, das gemeinsam von Wikimedia Deutschland, dem Stifterverband und der VolkswagenStiftung aufgelegt wurde. Als einer von 20 Geförderten möchte Steinhoff „das Konzept der offenen Forschung von Anfang bis zum Ende einmal ausprobieren“.

Editorial
Komplexe Grenzfläche

Wissenschaftlich gesehen interessieren sich die bloggenden Forscher für den Austausch klimarelevanter Gase zwischen dem Ozean und der Atmosphäre. Als Ort ihrer Untersuchungen haben sie eine Region im Atlantik vor der Küste Mauretaniens ausgewählt, an der nährstoffreiches Tiefenwasser mit hohen Konzentrationen an Kohlendioxid und Lachgas (N 2O) an die Oberfläche kommt. Man spricht von einem Eastern Boundary Upwelling System.

Beide Gase sind klimarelevant und werden vom Oberflächenwasser an die Atmosphäre abgegeben, während das Wasser im Gegenzug Sauerstoff aufnimmt. Zusätzlich spielen biologische Faktoren eine Rolle, denn im subtropischen Atlantik finden Planktonorganismen hohe Temperaturen und ein gutes Nährstoffangebot vor, so dass sie sich stark vermehren. Die dadurch entstehenden Biofilme legen sich auf die Wasseroberfläche und behindern den Gasaustausch. Gleichzeitig nimmt das photosynthetisch aktive Plankton jedoch selbst Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre auf und gibt im Gegenzug Sauerstoff ab.

Steinhoff beschreibt das Vorgehen seiner Gruppe auf der Internetseite des GEOMAR folgendermaßen: „In einem frisch aufgetriebenen Wasserpaket soll ein Oberflächendrifter ausgesetzt werden, so dass wir diesem Wasserpaket folgen und ein extensives Messprogramm durchführen können: Messung von Spurengasen im Wasser und der Atmosphäre, Direktflussmessungen von CO 2, regelmäßige Beprobung des SML [Sea Surface Microlayer, der marine Oberflächenfilm] und Messungen der physikalischen Bedingungen. Diese Messungen werden uns helfen, die biologischen, chemischen und physikalischen Prozesse zu entflechten und das Verständnis von Auftriebsgebieten und deren globaler Auswirkung zu verbessern“.

Reisetagebuch in Echtzeit

Der erste Blog-Eintrag erfolgte am 21. Dezember 2017, rund einen Monat vor dem geplanten Beginn der Expedition, und beschreibt die letzten Reisevorbereitungen. Das beladene Schiff brach am 08. Januar von Kiel durch den Nord-Ostsee-Kanal nach Las Palmas de Gran Canaria auf und nahm dort die eingeflogenen Wissenschaftler um Steinhoff zusammen mit der Fotografin Lisa Hoffmann an Bord.

Von dort aus ging die Fahrt nach Mindelo auf die Kapverdeninsel São Vicente vor der Küste Mauretaniens. Am 25. Januar erreichte das Schiff seinen Zielort, das Gebiet zur Aussetzung des Drifters. Es handelt sich um ein frisches Auftriebsgebiet mit niedrigen Temperaturen, einer hohen CO 2- und N 2O-Konzentration, wenig Chlorophyll und geringem Salzgehalt.

In dieses Südatlantische Zentralwasser wurde der Drifter gesetzt, der sich nun mit dem Wasser in Richtung offene See bewegt und über einen GPS-Peilsender und Radarreflektor vom Schiff aus verfolgt wird. „Der Drifter selbst ist eine überdimensionierte Angelspiere, unter der ein fünf Meter langer Sack als Treibanker dient“, schreibt Steinhoff in seinem ersten Wochenbericht. „Darunter sitzt ein Sensorkorb mit Sensoren zur Messung von Salzgehalt, Temperatur, Nitrat, Sauerstoff, CO 2 und Chlorophyll“.

Schwimmendes Labor

An Bord werden verschiedenste Messungen durchgeführt: So wird ins Schiff gepumptes Wasser auf Gase hin untersucht, während eine Sonde Temperatur und Salzgehalt in der vertikalen Wassersäule misst. Weitere Blogeinträge stellen die einzelnen Wissenschaftler und ihre jeweiligen Forschungsprojekte vor.

Steinhoff weiß, dass diese genaue und sofortige Dokumentation zusätzliche Arbeit für ihn bedeutet, ist aber überzeugt, dass sich diese auszahlen wird: „Ich muss meine Daten schon an Bord sorgfältig aufbereiten. Diese Vorarbeit wird mir bei der Nachbereitung zu Gute kommen.“ Ob sein Einsatz auch wissenschaftliche Laien erreicht, wie vom Programm „Freies Wissen“ erhofft, wird sich wohl erst am Ende der Expedition am 11. Februar zeigen. Zu wünschen wäre es den Forschern der Poseidon auf jeden Fall.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 06.02.2018