Editorial

Gute "schlechte" Neuigkeiten

(14.11.17) Negative Ergebnisse oder "Null-Studien" sind bei vielen verpönt. Trotzdem sollten sich Wissenschaftler trauen, diese zu veröffentlichen – und das nicht nur, weil man damit jetzt 10.000 Euro gewinnen kann.
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Negative Ergebnisse gehören nicht unter den Teppich. © Fotolia / Mark Stay

„Töte nicht den Boten“, soll Sophokles um 420 vor Christus erzürnt gefordert haben. Gut, getötet wird in der wissenschaftlichen Gemeinschaft heute niemand, trotzdem sind schlechte Nachrichten – oder negative Ergebnisse – nach wie vor nicht gerne gesehen. Zu Unrecht, wie das European College of Neuropsychopharmacology’s (ECNP’s) Preclinical Data Forum findet: „Wissenschaft ist historisch gesehen selbstkorrigierend“, meint Thomas Steckler, Co-Vorsitzender des ECNP’s Preclinical Data Forums, in einer Pressemitteilung. „Dieser Prozess ist am effektivsten, wenn sowohl positive als auch negative Ergebnisse veröffentlicht werden.“

Dass dem aber rein gar nicht so ist, zeigt eine Studie der Stanford Universität in Kalifornien (Science 345: 1502-5). Vor drei Jahren hatte sich Erstautorin Annie Franco mit zwei Kollegen insgesamt 221 soziologische Studien angeschaut, die zwischen 2002 und 2012 durchgeführt wurden. Das Ergebnis: Lediglich zwanzig Prozent aller Null-Studien schafften den Sprung in die Journale – wohingegen satte 65 Prozent nicht einmal aufs Papier gebracht wurden. Aber woran liegt das?

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„Positive Resultate sind attraktiver“

Das hatte sich Laborjournal Anfang dieses Jahres schon einmal gefragt – und bei Silas Boye Nissen von der Universität Kopenhagen nachgehackt. Nissen hatte in einer Studie in eLife nachgewiesen, dass negative Ergebnisse genauso wertvoll sind wie positive. In einem Interview mit Laborjournal verriet Nissen drei Gründe, weshalb negative Ergebnisse dennoch weniger häufig publiziert werden.

Eine Ursache liegt daran, dass positive Resultate zunächst einmal attraktiver sind: „Die Leute spüren, dass die meisten möglichen Behauptungen über die Welt schlichtweg falsch sind“, meinte Nissen damals. Wie zum Beispiel: „Blei schwimmt im Wasser“ oder „Enten verbrennen, wenn man sie Sauerstoff aussetzt“. Jeder könnte eine endlose Liste solcher willkürlichen Behauptungen aufstellen, doch aus deren Falsifikation würde niemand etwas lernen.

„Mit einer langen Liste von Dingen anzukommen, die wahr sind, ist dagegen viel schwieriger – und man würde natürlich jedes Mal viel lernen, wenn sich eine solche Behauptung als wahr herausstellt“, so Nissen.

Gestörte Kommunikation und Fehlverhalten

Trotzdem kostet das Nicht-Publizieren von negativen Ergebnissen vor allem eines – Geld. In einem Laborjournal-Essay äußerte sich Nicola Reusch, ehemalige Mitarbeiterin der Philipps-Universität Marburg, folgendermaßen: „Stellt sich jedoch bei der Auswertung und Interpretation heraus, dass das Ergebnis negativ ausfällt und beispielsweise nicht dem vermuteten Trend folgt oder dem aktuellen Kenntnisstand (zu stark) widerspricht, so bleibt es häufig unveröffentlicht.“ Sprich: Die Ergebnisse, die nicht passen, werden unter den Teppich gekehrt.

Grund dafür sind nicht selten falscher Stolz und Konkurrenzgedanken. Dadurch verlaufen Drittmittel nicht nur im Sand sondern auch „die Kommunikation von Forschern untereinander wird auf diese Weise gestört. Dies kann zu einem unnötig hohen Ressourcenverbrauch führen, da eine andere Forschergruppe, die an der gleichen oder einer ähnlichen Fragestellung arbeitet, ahnungslos das gleiche Experiment durchführt und ebenfalls ein negatives Ergebnis erhält.“

Doch es liegt bei weitem nicht nur an den Forschern, weshalb negative Ergebnisse seltener veröffentlicht werden. „Bis zu einem gewissen Grad müssen die Editoren die Interessen der Leser befriedigen – und entsprechend viele positive Ergebnisse veröffentlichen“, meint Nissen. „Genauso müssen die Autoren auf die Interessen der Leser und Editoren eingehen – und ebenso bevorzugt positive Ergebnisse mitteilen.“

Im Grunde sind vermutlich alle drei Instanzen für den Mangel an negativen Ergebnissen mitverantwortlich: Die Autoren, die ihre negativen Ergebnisse gar nicht erst einreichen, die Editoren, die diese nicht akzeptieren – und letztlich die Leserschaft, die ebenfalls positive Ergebnisse zu bevorzugen scheint.

Das ECNP Preclinical Data Forum hat jetzt dagegen reagiert und den ECNP Preclinical Network Data Prize ins Leben gerufen: Bis zum 30. Juni 2018 können Forscher weltweit ihre „negativen“ Paper einreichen. Bislang gilt die Ausschreibung allerdings nur für die Neurobiologie; je nach Nachfrage könnten weitere Fächer jedoch bald folgen. Neben dem ersten „Negative Findings“-Wissenschaftspreis überhaupt erhalten die Gewinner auch ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Juliet Merz

 

Wer ein paar „Negativ“-Beispiele genauer unter die Lupe nehmen möchte, wird in der PLOS-Kollektion „The Missing Piece“ fündig.

 



Letzte Änderungen: 08.12.2017