Editorial

Gefahr erkannt und nicht gebannt

Der Wissenschaftsrat hat das Berufungswesen an deutschen Hochschulen analysiert und erkannt, dass dort einiges im Argen liegt.

(22.07.2005) Die Berufungsverfahren dauerten zu lange (im Schnitt 1,7 Jahre an den Universitäten), sie seien undurchsichtig und was dabei herauskomme, sei nicht immer erste Wahl. Das Wort "Gut Ding will Weile haben" gelte nicht für Berufungen.

So etwa könnte man das verquaste Deutsch übersetzen, dessen sich der Wissenschaftsrat in letzter Zeit befleißigt.

Der Diagnose des Wissenschaftsrats stimme ich zu. Was aber ist seine Therapie?

1. Das Berufungsrecht soll von den Landesministerien auf die Hochschulen übertragen werden. Für die Zusammensetzung der Berufungskommission soll die Fakultät zuständig sein.

Das läuft auf die ungeschmälerte Selbstergänzung (Kooptation) der Fakultäten hinaus und die hat in der inzwischen 800-jährigen Geschichte der Universitäten immer zum Qualitätsverfall geführt. Kooptiert wird nicht der Beste, sonder der, der am besten zu den Kooptierenden passt. Die Hoch-Zeiten der deutschen Universität waren jene Perioden, in denen die Fakultäten bei der Berufung nichts oder wenig zu sagen hatten. Es ging damals auch viel schneller: Eine Berufung war die Sache einiger Wochen, höchstens Monate.

2. Es soll einen Berufungsbeauftragten geben.

Diese Idee wäre fruchtbar, wenn der Beauftragte von den Fakultäten unabhängig wäre, das entscheidende Wort bei den Berufungen hätte und ein vitales Interesse an der Qualität des Berufenen. Nach den Vorgaben des Wissenschaftsrats erfüllt der Berufungsbeauftragte keine dieser Bedingungen. Seine Aufgaben und Befugnisse sind so unbestimmt wie ein Wölkchen am Sommerhimmel. Jedes raue Lüftchen wird es in die Ferne wehen.

3. Das Votum externer Experten soll stärker berücksichtigt werden.

Ein guter Vorschlag, aber einer ohne Fleisch. Denn das "soll stärker berücksichtigt werden" wird nicht festgelegt. Der Vorschlag ist also lediglich eine Mahnung und die wird ignoriert werden.

4. Es soll möglich werden, einen Kandidaten aktiv zu rekrutieren. Das heißt, man muss in Zukunft nicht mehr unter denen aussuchen, die sich bewerben; die Berufungskommission kann einen Forscher direkt ansprechen.

Das ist inoffiziell auch heute schon möglich. Wer will z.B. ein Mitglied der Berufungskommission daran hindern, einen Forscher, an dem das Mitglied interessiert ist, inoffiziell anzusprechen und zur Bewerbung aufzufordern?

Ich bilde mir gewiss nicht ein, über prophetische Gaben zu verfügen. Aber dass diese Vorschläge des Wissenschaftsrats an der Misere der deutschen Berufungsverfahren nichts ändern werden, das halte ich für gewiss.

Hätte er bessere Vorschläge gemacht, hätte das übrigens auch wenig genützt. Dafür spricht die offensichtliche Missachtung des Wissenschaftsrats durch die Fakultäten: Von 358 angefragten Hochschulen haben sich nur 157 an der Erhebung beteiligt.

von Siegfried Bär



Letzte Änderungen: 23.07.2005