Editorial

Medizin-Nobelpreis 2017: Circadianer Rhythmus

(2.10.17) Die drei frischgebackenen Nobelpreisträger Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young erklären der Welt, wie unsere innere biologische Uhr tickt.
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Wie reagiert wohl ein Forscher auf die Nachricht, er habe soeben den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhalten? Möglicherweise ähnlich wie Michael Rosbash, der am Telefon erst mit Sprachlosigkeit antwortete und dann mit einem trockenen „You are kidding me“.

Aber nein, dass Nobelpreis-Komitee scherzt nicht: Die diesjährigen Preisträger sind die Amerikaner Jeffrey C. Hall, der erwähnte Michael Rosbash und Michael W. Young. Und wofür?

Es tickt

Hall, Rosbash und Young erhalten die Auszeichnung, denn sie sind maßgeblich an der Aufklärung der molekularen Mechanismen des circadianen Rhythmus beteiligt. Der circadiane Rhythmus, angetrieben durch eine innere biologische Uhr, optimiert die Physiologie und das Verhalten des Organismus im 24-Stunden-Takt.

Erstmalig beschrieben hatte das System der französische Astronom Jean Jacques d’Ortous de Mairan im Jahr 1729. Ihm war aufgefallen, dass eine Mimose-Pflanze ihre Blätter bei Tag entfaltete und bei Nacht wieder schloss. Kurzerhand platzierte d’Ortous de Mairan die Mimose an einen stets dunklen Ort und stellte fest: Das oszillierende Verhalten der Pflanze blieb. Der Franzose schloss daraus, dass die Pflanze unabhängig von Licht oder Dunkelheit einen inneren Tag/Nacht-Rhythmus haben musste.

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Erst zwei Jahrhunderte später widmete sich erneut ein Forscher dem beschriebenen Phänomen – es war der deutsche Pflanzenphysiologie Erwin Bünning. Auch er konnte die Entdeckung von d’Ourtous de Mairan bestätigen. Was folgte, war eine hitzige Debatte in der Forschergemeinschaft darüber, ob das Verhalten der Pflanzen nun auf eine innere biologische Uhr zurückzuführen war, oder ob es sich dabei nur um eine Reaktion auf äußere Einflüsse der circadianen Natur handelte.

Bünnings weitere Studien brachten Licht ins Dunkel: Denn Bünning konnte zeigen, dass der circadiane Rhythmus zumindest in Pflanzen vererbbar war. Dieses Ergebnis bestärkte die Hypothese einer inneren Uhr, und die noch unbekannten verantwortlichen Gene rückten in den Fokus.

Dem Rhythmus-Gen auf der Spur

Im Jahr 1971 war es dann soweit, und die beiden amerikanischen Forscher Ronald Konopka und Seymour Benzer fanden im Erbgut von Drosophila einen Lokus, welcher mit dem circadianen Rhythmus im Zusammenhang stand – das period-Gen (Proc Natl Acad Sci 68: 2112-6).

Doch erst Hall, Rosbash und Young gelang es, das verantwortliche Gen zu isolieren und strukturell zu charakterisieren (Cell 38: 394-405; Cell 39: 369-76; Nature 312: 752-4 und Proc Natl Acad Sci 81: 2142-6). Struktur und Sequenz alleine bewiesen die Hypothese der biologischen Uhr jedoch noch nicht.

In den folgenden Jahren sollte sich das ändern, und der Mechanismus wurde aufgeklärt: Hauptakteur im circadianen Rhythmus ist das vom period-Gen codierte PER-Protein, welches in einem negativen Feedback-Loop die eigene Produktion inhibiert. Dazu benötigt PER jedoch einen Partner – das Protein TIM. Zusammen mit TIM hemmt PER im Zellkern die beiden Proteinen CLK (CLOCK) und CYC (CYCLE), welche normalerweise die Produktion von PER positiv regulieren.

Um die Dauer der Oszillation auf 24 Stunden zu strecken, sind in diesem System noch weitere Proteine involviert: beispielsweise DBT (DOUBLETIME), welches PER phosphoryliert und damit abbaut, oder CRY, das abhängig von Licht TIM bindet und ebenfalls zu dessen Abbau führt.

Interessanterweise sind circadiane Rhythmen in der DNA hoch konserviert und uralt. Sie finden sich bereits in Cyanobakterien und Protozoen, aber auch in Pilzen, Pflanzen, Insekten, Nagern und dem Menschen.

Lieber gut schlafen

Eine circadiane Dysfunktion kann für den Organismus indes schwere Folgen haben: Im Menschen zum Beispiel steht sie im Zusammenhang mit Schlafstörungen, Depressionen, bipolaren Störungen und vielen anderen Krankheiten. Gerade deshalb ist es wichtig, den circadianen Rhythmus im Blick zu haben. Hilfreich für die eigene Gesundheit sind folgende Tipps, die Juleen Zierath vom Nobelpreis-Komitee auf der Presseveranstaltung mitteilt: Für die meisten Menschen gilt, gegen 22 Uhr ins Bett zu gehen, auch wenn es in den Sommermonaten draußen noch hell ist, das Schlafzimmer möglichst abzudunkeln, und den Wecker auch dann zu stellen, wenn es draußen noch stockfinster ist – na dann, gute Nacht!

Die Nobelpreisträger Jeffrey C. Hall (links), Michael Rosbash (mitte) und Michael W. Young (rechts). Foto: Nobelkomitee

Juliet Merz



Letzte Änderungen: 25.10.2017