Editorial

Auferstanden an der Tafel

(11.9.17) Im Seminarraum herrschte Kreidezeit – und plötzlich erschienen tatsächlich zwei Dinos. Allerdings wurden sie gleich wieder ausgelöscht... Kürzlich erlebt von unserer „anderen TA.
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Unser Seminarraum kann viel mehr als nur Seminar. Wechselweise dient er auch als Speisezimmer, Arbeitszimmer, Ruheraum, Teeküche; kurzgesagt ist er ein echter Universalraum.

Derzeit wird er als Konferenzraum zur Besprechung des anstehenden Praktikums genutzt.

Sobald die zukünftigen Praktikumsleiter den Universalraum verlassen haben, können dort auch Niemals-Praktikumsleiter wie ich einen Blick auf die Wandtafel werfen, wo die Eckpunkte der Praktikumsplanung festgehalten sind. Klar strukturiert. Jeder der vier Praktikumsleiter weiß genau, was er wann mit den Praktikanten zu tun hat. Gruppeneinteilung, Zeitablauf, Vortragskonditionen, Betreuer, alles einleuchtend.

Links unten, unter der Rubrik „Präsentation“, wird es hingegen rätselhaft. Dort steht:

„Poster: 106,6cm x 75,4cm oder DINO“ [Ich helfe der handschriftlich entstandenen Komik hier mit einer kleinen getippten Manipulation auf die Sprünge].

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Erstaunlich, was den Praktikanten bei uns alles abverlangt wird. Wenn sich schon eine Standardklonierung mitunter schwierig gestaltet, wie sollen die nach nur vier Wochen Praktikum einen ganzen Dinosaurier präsentieren? Wir sind doch hier nicht im Kino.

Aber warten wir erstmal ab, wofür sich die Praktikanten entscheiden. Ein Poster erstellt sich einerseits wesentlich unkomplizierter, andererseits garantiert ein Dinosaurier bei der Abschlusspräsentation natürlich einen wesentlich spektakuläreren Auftritt. Was für ein Zwiespalt.

Dino-affine Praktikanten haben indes einige zusätzliche Hürden zu überwinden.

Für den durchschlagenden Effekt müssten sie dem Dino natürlich ein paar Monate Zeit geben, um groß zu werden. So lange dauert das Praktikum aber nicht, und außerdem müsste die Universität dann ihre Sicherheitsmaßnahmen massiv verschärfen. Elektrozäune und so. Ob die Campus-Designer das gut fänden? Dann doch lieber ein Poster im DIN A0-Format.

Zwei putzige Kreide-Dinosaurier

Diesmal bin ich nicht die einzige, deren Gehirn beim Anblick eines vergessenen A“s und einer etwas füllig geratenen Null phantasievolle Quervernetzungen erstellt. Wenigstens ein weiterer Kollege teilt meine Ansicht und zeichnet im Laufe des Tages zwei putzige Dinosaurier – oder Saurier, ich meine mich zu erinnern, dass es da einen evolutionären Unterschied gab – unter die missverständliche Größenangabe. Einer der beiden erinnert entfernt an eine Ente. Gab es nicht wirklich einen Saurier – oder Dinosaurier – namens Anatotitan? Was soviel bedeutet wie „Riesige Ente“.

Der andere stellt, dem beeindruckenden Gebiss zufolge, wohl einen Fleischfresser dar, die Zähne jedenfalls verheißen nichts Gutes. Seine Schenkel allerdings erinnern stark an unproportionierte Hähnchenkeulen. Konnte das arme Tier mit solchen Beinen überhaupt Beute machen? Seltsame Saurier kennt mein zeichnender Kollege. Mir ist diese Art bislang nicht untergekommen. Allerdings war meine Dinosaurierphase auch eher schwach ausgeprägt.

Womöglich kann aber der Praktikumsleiter mehr mit der Darstellung anfangen.

Apropos Praktikumsleiter: Der hatte am späten Nachmittag offenbar die Nase voll von den ständigen Dino-Anspielungen aus dem Kollegium. Denn obgleich lediglich einer von uns ihn per Dino-Bildchen sozusagen schriftlich neckte, zogen ihn wohl doch so viele mündlich auf, dass er gegen Mittag beschloss, den Quell des Spotts aus der Welt zu schaffen.

Jedenfalls, als ich kurz vor Feierabend einen letzten Blick auf die Tafel werfe, steht da in fetten Lettern: DIN A0 [Das „A“ denken Sie sich bitte auf die dreifache Größe]. Von den beiden Urzeitechsen ist nur ein feuchter Fleck geblieben.

In Kreide aus der Kreide auferstanden und kurz darauf wieder vom Antilitz der Erde getilgt. Ein kurzes Aufbäumen gegen die Evolution, heute bei uns an der Tafel.

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 04.10.2017