Editorial

Voll auf die Nuss!

(13.4.17) Lebensmittel-Allergiker aufgepasst: Es gibt ein Mittel gegen die Erdnuss – genauer: gegen deren allergische Wirkung. Und jetzt die schlechte Nachricht: Man muss schon eine Maus sein, um davon zu profitieren. 
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Dieser Maus gehts auch schon ganz schlecht: Erdnuss-Allergie?
© Albert Anker

Die Früchte von Arachis hypogeae sorgen seit längerem für Verdruss: Erdnüsse – botanisch keine Nüsse, sondern Hülsenfrüchte – bewirken bei entsprechend empfindlichen Menschen schon in geringsten (Mikrogramm-)Mengen allergische Reaktionen – und das lebenslang: Es kommt je nach Ausprägungszustand zu tränenden Augen, Juckreiz, Husten, Haut- und Schleimhautreizungen, zu Neurodermitisschüben und Ödemen, zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen. Nicht selten wird das Ganze in Form von Herzrasen, Schwindel, Bewusstlosigkeit und anaphylaktischen Schockzuständen sogar lebensbedrohlich.

Dazu muss die Erdnuss nicht einmal als solche in Erscheinung treten, etwa in Form gesalzener Erdnussflips oder Erdnussbutter – nein, „dank“ der heute üblichen, großindustriell-rationellen Verarbeitungsmethoden finden sich gemahlene Erdnüsse längst als unsichtbare Zutat in unzähligen Lebensmitteln und vor allem in sehr vielen Süßigkeiten: in Schokoriegeln, Torten und Kuchen, Speiseeis, Salzgebäck und Kartoffelchips, aber auch in Speiseölen, Cornflakes, Müsli, Fertiggerichten, Körperpflegemitteln und sogar in Wachsmalstiften (und an solchen kaut mal ja immer wieder mal gerne).

Aktuelle Therapie: Abstand halten!

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Für Allergiker gibt es daher bislang nur einen Rat: Abstand halten! Jeder Kontakt mit der Erdnuss ist zu vermeiden, und in den Mund sollte man sie schon gar nicht bekommen. Das aber ist aus den genannten Gründen zunehmend schwierig, sofern man sich nicht eisern aus dem eigenen Gemüsegarten versorgt – auch wenn die Hersteller gesetzlich schon seit 2005 dazu angehalten sind, in ihren Zutaten-Verzeichnissen auf der Packung die riskante Frucht aufzulisten, sofern enthalten. Die hohe Empfindlichkeit der Erdnuss-Allergiker vor allem auf den schlimmsten Bösewicht, das Erdnussallergen Ara h2, ist auch der Grund, weshalb inzwischen so oft zu lesen ist: „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“.

In Deutschland leben rund 10,5 Millionen Kinder bis 14 Jahre, und von denen leiden geschätzte 50.000 bis 100.000 an einer Erdnussallergie. Die derzeit einzig wirksame Behandlungsmethode besteht darin, den Kontakt mit Erdnüssen strikt zu vermeiden; es existieren jedoch keine zugelassenen Impfstoffe oder Therapien. Da fragt man sich als Naturwissenschaftler schon: Was tun denn eigentlich die Arzneimittelhersteller? Schlafen die?

Keineswegs, die Pharmaforschung ist nicht untätig, zumal die hohe Zahl der Erdnussallergiker ja auch ein potenziell enormes Absatzpotenzial verspricht, und man das wirksame Medikament ja im Erfolgsfalle auch an andere Allergien anpassen könnte. Aber die Entwicklung von Medikamenten braucht eben Zeit, und die Zahl der Allergiker steigt derzeit offenbar schneller als man forschen und entwickeln kann. Doch es gibt hoffnungsversprechende Ansätze – etwa den der Münchener Bencard Allergie GmbH. Die verkündete im Februar „positive Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten“ bezüglich ihrer experimentellen Impfung gegen die Erdnussallergie.

Präklinisch super, am Menschen noch nicht erprobt

Bencard Allergie, eine Tochterfirma der börsennotierten britischen Unternehmensgruppe Allergy Therapeutics (rund 500 Mitarbeiter), hatte präklinische (sprich: Tierversuchs-)Studien an ihrer therapeutischen Impfung gegen Erdnussallergie durchgeführt – und dabei offenbar den erhofften „Proof-of-Concept“ (sprich: Wirksamkeitsnachweis) erhalten. Der Impfstoff mit dem Arbeitsnamen „Polyvac Peanut“ soll demnächst in die klinische Phase-I-Entwicklung übergehen.

Laut Bencard habe in den durchgeführten Versuchen eine einzelne Dosis des Vakzins – das aus Virus-like-Partikeln (VLP) kombiniert mit rekombinantem Erdnussallergen besteht – die nicht näher spezifizierten Versuchstiere (Bencard spricht in einer Meldung wolkig von „ auf Erdnüsse sensibilisierten Testsubjekten“) erfolgreich vor einer Anaphylaxie (sprich: einer  krankhaften Reaktion des Immunsystems) nach Erdnussprovokation geschützt. Die Versuche seien Placebo-kontrolliert gewesen und der Impfstoff habe die Sicherheitsanforderungen, überprüft durch eine „intravenöse Provokation mit dem Allergen“, erfüllt. Er sei somit hypoallergen, rufe also keine allergenen Reaktionen hervor. Verabreicht werde er subkutan, er werde also unter die Haut gespritzt.

Die Konzernmutter Allergy Therapeutics spricht von einem weltweiten Markt für Erdnussallergie-Therapien im Gesamtwert von 7,5 Milliarden Euro pro Jahr und beabsichtigt, die Studienergebnisse demnächst in einem Peer-Review-Journal zu veröffentlichen. Bis ein im Erfolgsfalle zugelassener und wirksamer Impfstoff auch humane  Erdnuss-Allergiker zu erlösen vermag, werden jedoch noch Jahre vergehen. Daher gilt für sensitive Personen im Bezug auf Erdnüsse auch weiterhin: Abstand halten!

Winfried Köppelle

 



Letzte Änderungen: 10.05.2017