Editorial

Embryonenschutzgesetz 2.0?

(4.4.17) In Deutschland ist die Forschung an menschlichen Embryonen grundsätzlich untersagt. Ein Expertenteam der Leopoldina empfiehlt nun, das geltende Gesetz zu verändern, damit frühe Embryonen ohne Entwicklungschance für die Erforschung genetischer Erkrankungen eingesetzt werden dürfen.
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© freshidea / Fotolis

Die Möglichkeiten zur gezielten Veränderung von Genomen haben in den letzten Jahren entscheidende Fortschritte gemacht. Dies liegt vor allem an der Entwicklung von maßgeschneiderten und programmierbaren „Genscheren“ – Nukleasen, die im Genom mit nie dagewesener Präzision an jeder beliebig ausgewählten Stelle schneiden können. Die bekanntesten dieser Nukleasen sind die Transkriptionsaktivator-ähnlichen Effektornukleasen (TALEN) sowie die Cas-Proteine, die als Komponenten des bakteriellen Abwehrsystems CRISPR-Cas seit ihrer Entdeckung für unzählige biotechnologische Anwendungen optimiert wurden. Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur gezielt Punktmutationen einführen, sondern auch ganze Abschnitte aus einem Genom herausschneiden oder einfügen. Durch ihre hohe Spezifität scheinen sie besonders geeignet für Gentherapien, bei denen defekte Gene durch intakte Kopien ersetzt werden. Schon heute wird diese Genomchirurgie (Genome Editing) in der Biotechnologie, der Pflanzen- und Tierzüchtung sowie der medizinischen Forschung eingesetzt.

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Vor allem ihre Verwendung in der Humanmedizin ist jedoch umstritten und hat eine umfangreiche öffentliche Debatte ausgelöst, die im Dezember 2015 mit einem internationalen Gipfeltreffen (International Summit on Human Gene Editing) in Washington DC unter der Beteiligung US-amerikanischer, britischer und chinesischer Wissenschaftsakademien ihren Anfang nahm. An der in Deutschland vor dem Hintergrund des strengen Embryonenschutzgesetzes von 1990 geführten Debatte möchte sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina nun mit einem Diskussionspapier mit der Überschrift „Ethische und rechtliche Beurteilung des Genome Editing in der Forschung an humanen Zellen“ beteiligen. Die interdisziplinäre Autorengruppe aus Medizinern, Molekularbiologen, Juristen, Theologen und Philosophen gehört größtenteils der Leopoldina an und arbeitet an verschiedenen deutschen und einer schweizerischen Universität. In ihrem Diskussionspapier fordern sie eine Neubewertung der Situation der Gentechnik vor dem Hintergrund der technischen Neuentwicklungen.

Forschung an frühen Embryonen

Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre hätten gezeigt, dass die Genomchirurgie das Verständnis von genetischen Erkrankungen verbessern und gleichzeitig die Entwicklung von  Therapien vorantreiben kann, schreiben sie in dem Papier. Hierdurch könnten in Zukunft etwa  retrovirale Infektionen (beispielsweise HIV-Infektionen), verschiedene Krebserkrankungen und tödlich verlaufende Erbkrankheiten wie die Duchenne Muskeldystrophie oder die Cytische Fibrose effektiv bekämpft oder gar geheilt werden.

Solche somatischen – also an Körperzellen durchgeführten – Gentherapien werden von den Autoren des Diskussionspapiers befürwortet und stoßen auch in der Bevölkerung auf breite Zustimmung. Schwieriger ist die Situation, wenn es um die Forschung an Embryonen und Keimbahnzellen geht. In ihrem Papier gibt die Leopoldina hierfür ein positives Votum, sofern eine Reihe von Bedingungen erfüllt ist. So halten die Autoren die Forschung an frühen Embryonen und Keimbahnzellen für unabdinglich, um geeignete Therapien für genetische Erkrankungen zu entwickeln sowie um Verbesserungen bei der künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) zu erzielen. Da die menschliche Embryonalentwicklung zum Teil erheblich von derjenigen anderer Säugetiere abweicht, seien Versuche an Tierembryonen für ihr Verständnis oft nicht ausreichend. Gezielte Keimbahneingriffe, die an spätere Generationen vererbt werden, sollen dagegen laut Diskussionspapier zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterbleiben, da eine Risikobewertung noch nicht möglich ist.

Um diese aber irgendwann zu ermöglichen, sei die Forschung an Keimbahnzellen und Embryonen unter geeigneten Auflagen jedoch dringend notwendig. Die Leopoldina fordert deshalb, dass in Deutschland zukünftig Embryonen für medizinische Forschungszwecke genutzt werden dürfen sollten, und schlägt als rechtspolitischen Kompromiss vor, die Verwendung auf Embryonen zu beschränken, die keine reale Lebenschance mehr besitzen. Hierzu zählen solche, die für Fortpflanzungszwecke erzeugt wurden, dafür aber entweder aufgrund genetischer Defekte oder abgeschlossener Familienplanung der biologischen Eltern nicht verwendet werden (verwaiste Embryonen). Strikt abgelehnt wird von den Autoren dagegen die genetische Verbesserung des Menschen (Enhancement) durch Gentherapie jeglicher Art.

Weiterentwicklung des Schutzgesetzes

In Deutschland verbietet jedoch aktuell das Embryonenschutzgesetz die Erzeugung und Verwendung von Embryonen für die Grundlagenforschung sowie für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen. Deutsche Forscher können dafür mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden und sich sogar dann strafbar machen, wenn sie im Rahmen einer internationalen Kooperation Forschung unterstützen, bei der Embryonen verbraucht werden. Embryonen, die sich nicht weiterentwickeln können, werden zwar durch das Gesetz eindeutig nicht geschützt, doch fehlt eine klare Definition der Entwicklungsfähigkeit von Embryonen. Ebenfalls unklar ist die Zulässigkeit der Forschung an grundsätzlich nicht entwicklungsfähigen trinukleären Embryonen, wie sie beispielsweise durch Verschmelzung einer Eizelle mit zwei Spermien oder durch Teilung des Vorkerns einer befruchteten Eizelle entstehen. Nicht ausdrücklich verboten ist nach dem Embryonen­schutzgesetz überdies der Versuch einer Gentherapie am Embryo mit dem Ziel, dessen Überlebensfähigkeit zu verbessern.

Im Rahmen einer künstlichen Befruchtung entstehen laufend verwaiste Embryonen. Nach Ansicht der Autoren sollten diese nach Freigabe durch die biologischen Eltern in einer sehr frühen Entwicklungsphase und unter strengen Auflagen für die medizinische Forschung verwendet werden dürfen. Als Vorbild könnte hier das Vorgehen in Großbritannien, Schweden und Frankreich dienen, wo die Verwendung verworfener Embryonen in den ersten zwei Wochen nach der Erzeugung erlaubt ist, sofern gesetzlich definierte Kriterien eingehalten werden.

Die Autoren bekräftigen den Willen, Embryonen vor willkürlicher Verwendung zu schützen, sind sich aber bewusst, dass die Forschung an Embryonen grundsätzlich nicht mit einem absoluten Embryonenschutz zu vereinbaren ist. Soll es in Deutschland zukünftig möglich sein, potentielle Therapien von genetischen Erkrankungen zu erforschen, muss folglich das Embryonenschutzgesetz derart geändert werden, dass eine Verwendung von Embryonen ohne Entwicklungschance erlaubt ist. Die Autoren empfehlen deshalb, das in Deutschland geltende Recht in dieser Hinsicht anzupassen, damit sich deutsche Forscher sowohl an der internationalen Forschung als auch an der Aufstellung der ethischen Rahmenbedingungen beteiligen können.

Forderungen als Diskussionsgrundlage

Der Vorstoß der Leopoldina erntete Kritik von verschiedenen Mitgliedern des Deutschen Ethikrates wie etwa dem Juristen Steffen Augsberg und dem Moraltheologen Franz-Josef Bormann (siehe etwa diesen Artikel in der Süddeutschen Zeitung). Problematisch scheint vor allem die Definition der „verwaiste Embryonen“. Ethisch weniger bedenklich erscheint hier die Verwendung von Embryonen, die wegen schwerwiegender genetischer Defekte keine Entwicklungschance haben. Für schwieriger halten die Kritiker jedoch den Fall von Embryonen, die aufgrund einer abgeschlossenen Familienplanung zurückbleiben, in der Regel aber das Potenzial besitzen, zu einem gesunden Menschen heranzuwachsen. Hier setzt die Kritik von Franz-Josef Bormann an, der für letztere die Möglichkeit einer Embryonenadoption durch unfruchtbare Paare ins Spiel bringt. Ein Ausweg aus diesem moralisch-ethischen Dilemma könnte vielleicht eine weitere Differenzierung bieten, bei der zwischen Embryonen ohne biologische Entwicklungschance sowie solchen mit gesellschaftlich bedingter „Verwaisung“ unterschieden wird.

Trotz, oder gerade wegen dieser verbliebenen Kontroversen bleibt vor allem ein wichtiges Signal des Leopoldina-Papiers im Raum stehen: Nämlich, dass die Zeit reif scheint, das Embryonenschutzgesetz auf Zeitmäßigkeit zu überprüfen – und gegebenenfalls zu überarbeiten, um Deutschland nicht von der Entwicklung neuer technischer und hoffentlich bald auch therapeutischer Möglichkeiten abzuschneiden.

Die Diskussion ist eröffnet.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 03.05.2017