Editorial

Apfelsaft für alle!

(20.12.16) Viele deutsche Forschungseinrichtungen werden ab 2017 wohl keinen direkten Zugang mehr zu Elsevier-Artikeln haben – weil man sich von der Preis- und Publikationspolitik des Verlagsriesen nicht mehr gängeln lassen will. Gut so, kommentiert Sigrid März!
editorial_bild

© Auke Herrema

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Hobbygärtner Karl-Otto betüddelt hingebungsvoll seine Apfelbäumchen, vertreibt übers Jahr lästiges Viechzeugs, gießt und düngt – sprich: er investiert. Im Herbst erntet er Äpfel, im Idealfall körbeweise. Auch das harte Arbeit. Irgendwann sind die Äste leer und die wertvolle Fracht wird – auf eigene Kosten – zur Mosterei gekarrt. Dort steht Bauer Ewald an seiner edelstahlblitzenden Hochleistungs-Obstmühle und ringt der Apfelmaische noch den letzten Tropfen feinsten Safts ab. Flugs pasteurisiert, in Flaschen abgefüllt – fertig. Karl-Otto strahlt über beide Backen und honoriert Bauer Ewalds Arbeit mit einer stolzen Gebühr von 80 bis 95 Cent pro Liter. Aber Karl-Otto stört das nicht, denn in den kommenden Monaten trinkt er nun schmackhaften Apfelsaft – in dem Wissen, dass der Grundstoff für dieses Produkt seiner Hände Arbeit entsprungen ist. Und voller Stolz schenkt er an Weihnachten Tante Gisela drei Flaschen, dem Nachbarn Günther zwei weitere. Woraufhin beide versprechen, im nächsten Jahr ihre Äpfel ebenfalls bei Bauer Ewald pressen zu lassen. Vielleicht kann man ja den Transport gemeinsam organisieren?

Editorial

Irgendwelche Ähnlichkeiten? Sind wir Wissenschaftler gewissermaßen nicht alle „Karl-Ottos“? Indem wir forschen, experimentieren, hart arbeiten – investieren? Und steht auch hier nicht irgendwann die „Ernte“ an, wird das Paper verfasst? Der Extrakt jahrelanger Arbeit in einem Magazin veröffentlicht, das wir dann samt unseres „prozessierten“ Artikels – hört, hört! – käuflich erwerben dürfen. Und natürlich sind auch wir stolz und tragen die frohe Kunde in die Welt hinaus. Woraufhin Kooperationen und neue Partnerschaften entstehen. Das ist Wissenschaft!

Trotzdem ist es nicht das Gleiche. Würde Bauer Ewald seine Preise beliebig anheben, würde auch Karl-Otto irgendwann seinen Idealismus über Bord werfen und Apfelsaft aus dem Discounter für 60 Cent pro Liter kaufen. Oder er gibt das Apfelsafttrinken kurzerhand auf. Dann könnte Bauer Ewald dicht machen. Das wiederum ist Marktwirtschaft!

Warum jedoch schaffen Forschungseinrichtungen nicht, was sogar Karl-Otto kann? Wieso schlucken wir Verlagshörigen dagegen jährliche Erhöhungen der Abo-Kosten für Artikel und Magazine – und zucken weitgehend nur mit den Schultern?

Der Unmut darüber schwelt bereits seit Jahren. Insbesondere die Universitätsbibliotheken ächzen Jahr für Jahr unter den stetig steigenden Kosten. Für astronomische „Gebühren“ stellen uns marktbeherrschende Wissenschaftsverlage wie Elsevier, Wiley oder Springer-Nature unsere Artikel zur Verfügung. Das ist doch paradox und müsste jedem logisch denkenden Menschen sauer aufstoßen.

Natürlich ist es bequem, praktisch jederzeit und innerhalb von wenigen Sekunden eine interessante Publikation lesen zu können. Klick, herunterladen. Klick, speichern. Wer kennt denn überhaupt noch das „alte“ Prozedere? Man durchforstet einschlägige Suchportale und stößt auf diese eine Publikation, die einem so viele Fragen beantworten könnte. Klick – „Diesen Artikel jetzt kaufen?“ In unserer Arbeitsgruppe mussten wir damals das Abstract ausdrucken und unserer HiWi auf den Schreibtisch legen. Diese besorgte dann zweimal in der Woche die gesammelten Artikel aus diversen Quellen (Universitätsbibliothek, Fernleihe, ...). Und mit etwas Glück hatten wir die Publikation nach zwei bis drei Tagen in unseren Händen.

Irgendwann hatten sich dann Universitäten und andere Forschungsinstitute mit Elsevier & Co darauf geeinigt, dass die Verlage Journalpakete zur Verfügung stellten. Gegen eine – nennen wir es mal – Gebühr. Seitdem sahen wir häufiger: Klick, jetzt herunterladen. Seitdem wähnen wir uns im „Freedom-Collection“-Paradies … wenn da nicht das kleine Problem wäre, dass die Verlage die „Gebühren“ in regelmäßigen Abständen erhöhen. Und lange wurde über deren Höhe geschwiegen.

Erst 2015 ließ Großbritannien die Hosen herunter und veröffentlichte eine Liste seiner Universitäten mit den jährlichen Kosten für Elsevier, Wiley, Springer und anderen. Nicht selten grienten dem Betrachter sechsstellige Pfund-Beträge entgegen, pro Verlag selbstverständlich. Oder die ETH Zürich: Im Jahr 2014 zahlte sie an die drei Marktführer gut sechs Millionen Schweizer Franken (etwa 5,7 Millionen Euro) – Tendenz steigend.

 

Illustr.: Michael Eisen

 

Aber es regte sich auch Widerstand. Die Uni Konstanz „trennte“ sich 2014 von Elsevier, um Lizenzkosten in fünfstelliger Höhe zu sparen. Leipzig folgte Anfang 2015. Und im Juli 2015 handelte das Konsortium Baden-Württemberg (ein Zusammenschluss von wissenschaftlichen Bibliotheken, Universitäten und Hochschulen des Landes) mit Elsevier eine günstigere Zentrallizenz aus.

Doch jetzt entsteht der Eindruck, dass Elsevier nicht mehr verhandeln mag. Anfang Dezember 2016 informierte die Uni Münster ihre wissenschaftlichen Angestellten über demnächst bevorstehende gravierende Änderungen im Paper-Paradies.

Was war geschehen?

Seit Mitte 2016 sitzt die sogenannte DEAL-Projektgruppe als inzwischen eingerichteter Repräsentant und Mandatsträger von über hundert deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Elsevier am Verhandlungstisch. 2017 will man sich Springer-Nature und Wiley ebenfalls zusammensetzen. DEALs Forderung an die Verlage ist klar und deutlich: Bundesweite transparente Lizenzverträge für das gesamte elektronische Zeitschriftenportfolio der großen Wissenschaftsverlage zu einem fairen Preis. Zudem sollen die Verträge eine Open Access-Komponente enthalten, nach der Elsevier in den Gesamtlizenzen unter anderem die Kosten für Open-Access-Veröffentlichungen mitberücksichtigt, welche die Forschungseinrichtungen schließlich selber tragen.

Aber jetzt erfahren wir: „Elsevier lehnt die zukunftsweisende, da kostentransparente Transformation zu Open Access ganz grundsätzlich mit der Begründung ab, dies entspräche nicht den Geschäftsmodellen des Verlags.“ Klingt unkooperativ – ist es auch. Für 830.000 Euro Lizenzgebühren pro Jahr (Uni Münster) hätte man durchaus etwas mehr Gesprächsbereitschaft erwarten dürfen.

Das dachten sich neben der Uni Münster auch andere Universitäten, wie beispielsweise Rostock, Göttingen oder Greifswald) – und zogen allesamt die Reißleine: Sie kündigten die laufenden Lizenzverträge zum 31.12.2016.

Und Elsevier? Dreht ab Januar den Paperhahn zu. Und sieht das Ganze natürlich ganz anders. Auf der Webseite des niederländischen Verlagsriesen verlautete es am 5. Dezember 2016: „Wir sind über die Anschuldigung überrascht, wir würden Wissenschaftsorganisationen damit drohen, ihren Zugang abzuschalten. Vielmehr waren es diese Institutionen selbst, die uns über ihre Absicht informiert haben, […] ihre auslaufenden individuellen Vereinbarungen nicht automatisch erneuern zu wollen. Selbstverständlich werden alle Institutionen, auch wenn sie ihre Verträge gekündigt haben, mit Zugang versorgt, so sie dies wünschen.“

Nach den Holländern sind unsere Forschungsinstitutionen also selber schuld! Warum mucken sie überhaupt auf? Aber gut, wenn sie Elseviers Bedingungen doch noch irgendwie akzeptieren, dann werden sie vielleicht gnädig sein und ihnen den Hahn wieder aufdrehen. Dann gibt’s wieder Apfelsaft für alle!

Die Wissenschaftler und Studierenden der Uni Münster et al. sitzen also ab Januar auf dem Trockenen. Die Uni selbst übt sich seitdem in Schadensbegrenzung, erklärt fast entschuldigend alternative Wege, um an Paper zu gelangen. „Wir möchten Sie um Verständnis für die Entscheidung zur Vertragskündigung bitten.“

Verständnis? Entschuldigt euch doch nicht dafür, dass ihr für uns und unsere Rechte kämpft. Ich bin dankbar und stolz auf euch. Ich verzichte gerne die nächsten fünf Jahre auf Apfelsaft, wenn er dann wieder fair und bezahlbar ist. Ich warte gerne drei oder vier Tage auf ein Paper, wenn es hilft, die Verlage wieder in diese Welt zurück zu holen.

Also auf ins Jahr 2017, und selbstbewusst zurück an den Verhandlungstisch. Und denkt daran: die „Karl-Ottos“ von Münster und den anderen Universitäten stehen hinter euch.

Prost!

Sigrid März



Letzte Änderungen: 23.01.2017