Editorial

Biotech-Börse (2): Die Aktien der Winzlingsfirmen

(8.12.16)  „Die Aktien vieler börsennotierter Life-Science-Firmen steigen. Immer weiter, seit Monaten.“ – So hieß es vor einer Woche an dieser Stelle. Welche Aktien aber sind das konkret – und: Soll man diese kaufen? Zum Beispiel die von der schwäbischen Curetis AG?
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Die bisherige Kursentwicklung der Curetis-Aktie

Hurra, die Zinsen steigen – das freut die Sparbuchbesitzer (falls es da draußen noch welche gibt) und ärgert die Häuslebauer. Am heutigen Donnerstag beraten die europäischen Zentralbanker turnusgemäß darüber, ob der Leitzins weiterhin auf dem Rekordtief von null Prozent bleibt, welches die EZB im März dieses Jahres festgelegt und im September nochmal bekräftigt hat. Glaubt man den Ankündigungen des EZB-Direktoriumsmitglieds Yves Mersch, dann wird die gemeinsame Währungsbehörde der EU- Währungsunions-Mitglieder jedoch allmählich ihre ultralockere Geldpolitik beenden – und den Leitzins sukzessive hochsetzen. Das zumindest ließ der Luxemburger Mersch Anfang Dezember verlauten.

Ob’s schon heute soweit ist? Das erfahren Sie heute nachmittag aus den Nachrichten. Doch ob der Leitzins erstmal weiter bei null oder künftig doch bei 0,25 oder gar üppigen 0,5 Prozent stehen wird – für den Normalsterblichen ist dies auch schon egal. Er erhält auf der Bank kaum Zinsen für sein Erspartes, und der längerfristige Zinseszins-Effekt kommt somit auch nicht so recht zum Tragen.

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Um dem müden Leitzins und damit der schleichenden Geldentwertung ein Schnippchen zu schlagen, sind Alternativen angesagt. Wieso? Ganz einfach: Die Inflationsrate wird im laufenden Jahr rund 0,4 Prozent erreichen – und das bedeutet konkret, dass Sie mit den, sagen wir mal, 5.000 Euro, die Sie im Januar 2016 angespart hatten, noch Weihnachtsgeschenke im Wert von 4.980 Euro kaufen können. Ist leider so. Es steht 5.000 Euro drauf, es sind aber nur 4.980 Euro drin. Die restlichen 20 Euro sind weg. Einfach verpufft. Nullzinspolitik plus Inflationsrate. Ätsch!

Welche alternativen Geldanlagen gibt es? Immobilien? Keine schlechte Idee – aber nur, wenn Sie sechsstellige Summen Ihr Eigen nennen. Festgeld auf Jahre zinsgebunden? Okay, damit gehen Sie null Risiko ein – doch falls die Zinsen demnächst steigen, verharrt ihr Festgeldzins auf dem mit Ihrer Bank vereinbarten, niedrigem Niveau.

Die Alternative zu alledem heißt: Aktien. Deren Besitz ist riskant, nervenaufreibend und im schlechtesten Fall verlustträchtig. Wenn’s hingegen gut geht, dann bieten Aktien ein weicheres und kuscheligeres Ruhekissen als jede andere Geldanlage. Langfristig seien mit Aktien regelmäßig sechs bis acht Prozent Rendite drin, hört man immer. Komisch nur, dass immer dann, wenn man selber mal welche kauft, diese erstmal über Monate an Wert verlieren. Doch das könnte auch eine klassische „Einzelfallbeobachtung“ sein.

Wie auch immer: Sollten Sie mit einer Aktienanlage liebäugeln, so ist es nicht das Schlechteste, auf die weisen Ratschläge André Kostolanys (1906-1999) zu vertrauen. Dessen elementare Grundphilosophie war erstens, dass der Aktienkäufer sein jeweiliges Investment inhaltlich verstehen müsse. Und zweitens, dass ein späterer Kursanstieg dieser Aktien aufgrund positiver Entwicklungen „vorstellbar“ sein müsse.

Wie wäre es also, ganz im Sinne Kostolanys, mit Biotechaktien? Inhaltlich sollte man durchaus verstehen, was so eine Biotechfirma treibt, und vorstellbar ist gerade in der volatilen Life-Science-Branche ohnehin alles. Um mit Kostolany zu sprechen: In Biotechaktien ist jede Menge „Phantasie“ drin… - von mehreren hundert Prozent Zuwachs bis zum Totalverlust ist alles vorstellbar.

In den kommenden Wochen stellen wir hier in loser Folge weithin unbekannte deutsche Biotechfirmen vor, deren Aktien für jedermann zu erwerben sind, der ein Aktiendepot sein eigen nennt. Ob deren Kauf jedoch im jeweiligen Fall empfehlenswert ist, müssen schon Sie selbst entscheiden – wir haften natürlich nicht für die Handlungen unserer Leser.

Ein Grünschnabel auf dem Börsenparkett ist die 2007 gegründete Curetis AG aus Holzgerlingen; im November 2015 erfolgte der Börsengang (IPO) und spülte den Schwaben um Vorstandschef Oliver Schacht 40 Millionen Euro in die Kriegskasse. Curetis ist bis heute offenbar so unbekannt, dass die Firma noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag besitzt.

Südwestlich von Stuttgart entwickeln die Curetis-Mitarbeiter Molekulardiagnostika. Herz der schwäbischen Technologie ist das PCR-basierte „Unyvero“- Diagnostiksystem; mittels Einwegkartuschen werden „innerhalb weniger Stunden“ etwa bei stationär behandelten Krankenhauspatienten Infektionen durch diverse Mikroorganismen beziehungsweise die Marker für eventuell vorhandene Antibiotikaresistenzen nachgewiesen. Laut Curetis würden derartige Analysen mit herkömmlichen Methoden „Tage oder Wochen“ dauern.

Weitgehend fertig entwickelt sind laut Curetis die Verfahren zum Nachweis von  Lungenentzündungen sowie zum Nachweis von Gelenk- und Weichteilinfektionen; weitere, etwa zum Nachweis von Sepsis, sollen in den kommenden Monaten und Jahren folgen. Die Firma beschäftigt nach eigenen Angaben circa 80 Mitarbeiter und wird von Epigenomics-Mitgründer Oliver Schacht geleitet. In den ersten neun Monaten 2016 machte die Firma einen Umsatz von 1,1 Millionen Euro und einen nahezu zehnmal so großen Nettoverlust (minus 10,7 Millionen Euro).

Mit anderen Worten: Curetis zehrt bislang von den (unter anderem durch den Börsengang erhaltenen) Finanzreserven. Diese belaufen sich derzeit auf rund 35 Millionen Euro. Von einem Nettogewinn kann wohl über Jahre hinaus noch keine Rede sein. Auch wenn CEO Schacht nicht müde wird, die angeblich „führende Position“ seiner Firma zu betonen, deren „kommerzielle Expansion sowohl in Europa und als auch in den USA“ man weiter vorantreibe – auf dem Papier stehen derzeit winzige Umsätze und horrende Verluste. Da kann Schacht noch so sehr mit finanztechnischen Buzzwords um sich werfen und die mit einigen Medizintechnik- und Pharmafirmen abgeschlossenen Kooperations- und Vertriebsvereinbarungen herauskehren.

Wie hat sich die Curetis-Aktie vor diesem zumindest finanziell nicht gerade positiven Hintergrund entwickelt? Mit einem Wort: schlecht. Ihr Kurs ist seit dem Börsengang der Holzgerlinger Aktiengesellschaft im Spätherbst 2015 stetig gefallen, von anfangs rund 10,50 Euro sind derzeit noch 6,41 Euro übrig. Das ist ein Wertverlust von stattlichen 39 Prozent. Schlimmer noch: Mittelfristig ist nicht zu erkennen, dass eine Trendumkehr bevorstünde.

Doch an der Börse regiert ja bekanntermaßen nicht die Rationalität, sondern die Gier (gemäß Kostolanys Motto: „Die Börse hängt nur davon ab, ob es mehr Aktien als Idioten oder mehr Idioten als Aktien gibt.”) – und daher wird sich so mancher risikobereite Anleger mit profundem biotechnologischem Hintergrundwissen wohl auch ein paar Curetis-Papiere ins Portfolio legen – man weiß ja nie – und ein anderer berühmter Börsenguru wird ja nicht müde, Folgendes zu betonen:

„Wenn ein Unternehmen gut läuft, wird die Aktie letztendlich folgen.”

Dieser Spruch stammt von Waren Buffett, dem zweitreichsten Mensch der Erde. Buffet wurde mit dem Kauf und Verkauf von Aktien zum Milliardär. Es ist allerdings derzeit nicht bekannt, ob es bei Curetis künftig gut laufen wird, und auch nicht, ob Buffet Curetis-Aktien im Depot liegen hat.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 07.02.2017