Editorial

"Steigt der Bauchumfang, sinkt der Testosteronspiegel"

(3.5.16) Erhöht die Einnahme von Testosteron die Lebenserwartung? Sinkt der Testosteronspiegel wirklich, wenn der Mann altert? Mario Rembold hat beim Rostocker Epidemiologen Robin Haring nachgefragt.  
editorial_bild

© EUFH-MED

Im Ranking des Aprilheftes war die Klinische Chemie & Laboratoriumsmedizin an der Reihe. Weil die beteiligten Autoren dieses Rankings an den unterschiedlichsten Themen forschen, kam eine ziemlich bunte Liste der 50 meistzitierten Köpfe heraus. Darunter auch der Epidemiologe Robin Haring, der Androgenen auf der Spur ist. Derzeit arbeitet er an der EUFH in Rostock. Haring leitet aber auch noch ein DFG-Projekt an der Unimedizin Greifswald, wo er bis vor kurzem seinen Arbeitsschwerpunkt hatte.

Neben wissenschaftlichen Publikationen schreibt Haring auch Sachbücher und tritt gelegentlich bei Science Slams auf. Laborjournal hat mit ihm über das Männerthema Testosteron gesprochen.

Laborjournal: Diesmal hatten wir mit der Klinischen Chemie und Laboratoriumsmedizin einen ziemlich heterogenen Aufhänger für unser Ranking. Was genau haben Sie mit diesem Gebiet zu tun? Sie sind ja eigentlich Epidemiologe.

Editorial

Robin Haring: Ja, mit Blick auf Ihr Ranking fand ich das interessant, weil da im Grunde genommen unsere ganze Arbeitsgruppe aus Greifswald gelandet ist. Da musste ich schon ein wenig schmunzeln. Der Institutschef Matthias Nauck auf Platz 3, der Arbeitsgruppenleiter und Endokrinologe Henri Wallaschofski auf Platz 2 und auch Nele Friedrich, als aktives Arbeitsgruppenmitglied auf Platz 5.

Der Grund, warum unsere Arbeitsgruppe in diesem Ranking so präsent ist, war letztendlich die SHIP-Studie mit 4.000 Probanden aus Vorpommern, die dort seit über zehn Jahren untersucht werden [SHIP steht für Study of Health in Pomerania; Anm. d. Red.].

Die SHIP-Studie hat einen sehr umfangreichen Datenschatz zu bieten. Dazu gehören eine ganze Reihe von Hormonmessungen, zum Beispiel Prolaktin, IGF-1, IGFBP-3, Testosteron, DHEAS und SHBG, mit denen dann endokrinologisch-epidemiologische Fragestellungen erforscht wurden. Im Zentrum stand dabei die Frage, ob Hormone als Risikomarker für häufige klinische Endpunkte, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dienen könnten. Aus dieser Forschungsagenda sind dann eine ganze Reihe von Publikationen hervorgegangen.

Testosteron wird oft überschätzt

Sie persönlich interessieren sich vor allem für das Testosteron und waren im Analysezeitraum unseres Rankings als Erstautor an einem Paper beteiligt, das Ihnen sehr am Herzen liegt.

Haring: Genau, das ist die Mendelian-Randomization-Studie, die Sie da ansprechen (Andrology 2013 1(1): 17-23). Das war auch eine der letzten Studien, um diese ganze Forschungsagenda und meine aktive Zeit in Greifswald abzuschließen. Dahinter steckt ein methodischer Ansatz, um so etwas wie Kausalität in der Epidemiologie ergründen zu können. Hierzu klopft man Beobachtungszusammenhänge mit Hilfe genetischer Informationen auf ihre mögliche Kausalität hin ab.

Man sagt, dass der Testosteronspiegel bei Männern mit dem Alter sinkt. Und dass die niedrigen Testosteronspiegel schlecht für die Lebenserwartung sind. Nun haben Sie genau diesen kausalen Zusammenhang zwischen Testosteron und der Lebenserwartung bei Männern aber gar nicht nachweisen können. Dazu haben Sie ja auch Sachbücher geschrieben – eines trägt den Titel „Die Männerlüge“.

Haring: Das war im Grunde auch meine Motivation, ins populäre Sachbuch zu gehen und die Welt der reinen Wissenschaft zu verlassen: Um die Erkenntnisse der Fachwelt breiter zu kommunizieren, da ich sie als sehr interessant empfinde. Wir sehen aktuell ja auch in Deutschland einen Anstieg der Testosteronverkäufe. Unter Schlagwörtern wie „alternder Mann“ und „demographischer Wandel“ rückt das Thema Testosteron inzwischen immer zentraler in die Medien. Da lautet die Botschaft des Buches, dass Testosteron an vielen Stellen überschätzt wird.

Niedrige Testosteronspiegel: nur ein Epiphänomen

Zum Anstieg der Testosteronverkäufe: Damit meinen Sie jetzt nicht nur den Konsum für Dopingzwecke, sondern vor allem als Medikament, also die Verschreibungszahlen. Weil man damit dem sinkenden Testosteronspiegel entgegenwirken will, der angeblich die Lebenserwartung verkürzt. Was ist denn nun dran an der Sache? Ein Zusammenhang zwischen Testosteron und Lebenserwartung besteht ja durchaus, oder?

Haring: Niedrige Testosteronspiegel sind assoziiert mit Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Diabetes, dem Metabolischen Syndrom oder Bluthochdruck. Das bedeutet aber nicht, dass niedriges Testosteron alle ins Grab treibt oder dass wir gar Testosteron ins Trinkwasser geben müssten. Das war auch unser Forschungsauftrag: Zu verstehen, was da genau passiert. Und dabei kam raus, dass niedrige Testosteronspiegel nur ein Epiphänomen sind, also ein sekundäres Erscheinungsbild einer hohen Belastung durch Risikofaktoren. Ganz wesentlich drückt dabei das Übergewicht auf den Testosteronspiegel.

Sie erklären das auf unterhaltsame Art bei einem Science Slam. Da zeigen Sie auf, dass der Testosteronspiegel gar nicht infolge des Alterns abnimmt, sondern stattdessen mit Faktoren wie Übergewicht negativ korreliert ist.

Haring: Exakt. Der direkte Zusammenhang zwischen Testosteronspiegel und dem Körperbau gehört zu den wichtigsten evidenzbasierten Erkenntnissen der epidemiologischen und auch der klinischen Testosteronforschung. Wenn der Bauchumfang steigt, sinkt der Testosteronspiegel und umgekehrt.

 Kann man das stoffwechselphysiologisch erklären?

 Haring: Das hat mit der Konversion zwischen Östrogen und Testosteron zu tun. Dieses Wechselspiel wird durch die Körperfettansammlung gestört; dabei wird dem Körper dann Testosteron entzogen und vermehrt in Östrogen verwandelt.

 Also korreliert der niedrige Testosteronspiegel nur deshalb mit dem Älterwerden, weil ältere Menschen eher dazu neigen, ein paar Fettreserven zu bilden.

 Haring: Völlig richtig. Deshalb sind sinkende Testosteronspiegel keine schicksalhafte Programmierung; keine Biologie, die dem Mann eingeschrieben ist, wie man es oft in Lehrbüchern findet, wonach der Testosteronspiegel ab dem 40. Lebensjahr jährlich um zwei Prozent sinkt. Nein, das passiert im Zuge einer zunehmenden Ansammlung belastender Risikofaktoren. Vorneweg das Übergewicht. Dass der Mann mit 40 langsam den Normalgewichtsbereich verlässt, das ist ja eine übliche Beobachtung. Studien zeigen aber auch, dass Männern, die es schaffen, ihr Normalgewicht bis ins hohe Alter hinein zu halten, keine sinkenden Testosteronspiegel zeigen. Da ist alles in Ordnung! Wenn der Mann es schafft, auch im Alter frei von Risikofaktoren zu bleiben, ist auch der Testosteronspiegel stabil.

 Jetzt nehmen wir mal an, ich schaffe es einfach nicht, auf meine Linie zu achten. Dann sinkt der Testosteronspiegel, weil ich zu viel Körperfett habe. Kann es dann nicht trotzdem sinnvoll sein, wenigstens den Testosteronspiegel medikamentös wieder auszugleichen?

 Haring:Der Versuch, niedrige Testosteronspiegel mit spezifischen Symptomen zu assoziieren, ist bisher recht erfolglos verlaufen. Dazu gibt es im New England Journal of Medicine die größte bislang publizierte Studie, die European Male Aging Study (EMAS), mit vielen tausend Männern aus acht europäischen Ländern (Vol. 363(2): 123-35). Man wollte Symptome wie Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Vitalitätsverlust, Potenzstörungen und Libidominderung syndromisch mit niedrigen Testosteronspiegeln verknüpfen. Und das ist dieser Studie auch nicht so recht gelungen. Am Ende sind nur drei leichte Assoziationen zu sexuellen Symptomen übriggeblieben. Aber gerade diese Symptome zeigen in Substitutionsstudien keine eindeutigen Verbesserungen. Daher ist die Diskussion um den potenziellen Nutzen und mögliche Risiken der Testosteron-Therapie immer noch unentschieden.

"Ich bin Präventions-Fan"

 Kann Testosterongabe umgekehrt denn negative Auswirkungen haben? Zumindest das Doping im Sport mit anabolisch wirksamen Substanzen gilt doch als gesundheitsschädlich. Und bei Prostatakrebs senkt man sogar die Testosteronproduktion medikamentös, weil das Hormon die Proliferation der Metastasen fördern kann.

 Haring: Da sprechen Sie ganz verschiedene Themen an. Diese extrem hohen Testosterondosen, die man aus dem Amateurkraftsport kennt, sind unphysiologisch und gesundheitsschädlich. Das wissen wir schon seit mehreren Jahrzehnten. Bei medizinischen Anwendungen will man aber in den Normalbereich reintherapieren. Das sind noch nicht diese unphysiologisch hohen Dosen, wie im Amateursport. Trotzdem empfehlen die Leitlinien zur Testosterontherapie, den PSA-Spiegel als Marker für Prostatakrebs immer parallel zu erheben. Auch wenn Metaanalysen keinen Zusammenhang zwischen einer Testosterongabe und der Entwicklung eines Prostatakarzinoms zeigen konnten, gilt der Prostatakrebs als einer der größten Vorbehalte gegenüber der Testosterontherapie.

 Sie halten nicht allzu viel von Testosterongaben und setzen mehr auf eine gesunde Ernährung, oder?

 Haring: Ja, ich bin Präventions-Fan. Daher lautet mein Ratschlag, den gesunden Lebensstil in den Fokus der eigenen Anstrengungen zu stellen. Das dankt einem im Alter nicht nur der Testosteronspiegel, sondern schenkt auch noch bare Lebenszeit!

 

Interview: Mario Rembold

Robin Harings Buch "Die Männerlüge: Wie viel Testosteron braucht der Mann?"  ist 2015 im Braumüller-Verlag erschienen (ISBN: 978-3991001461).





Letzte Änderungen: 24.06.2016