Editorial

Untypische Modellorganismen

(1.2.16) Die Ackerschmalwand ist keine typische Pflanze. Na und? Drosophila ist kein typisches Insekt, die Maus kein typischer Säuger. "Repräsentativ" kann die Evolution halt nicht.
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Arabidopsis ist ein Freak unter den Pflanzen, erklärten kürzlich Forscher um den Leipziger Christian Wirth (siehe hier). Die Forscher werteten die Globale Datenbank für Pflanzenmerkmale aus, eine Ressource des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie, Jena, und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung. Merkmale von zwei Millionen Pflanzen sind in dieser Datenbank gespeichert. Unter anderem kam dabei heraus, dass die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, also die Modellpflanze schlechthin, ein krasser Außenseiter ist.

Ein schlechtes Modell?

Aber ist Arabidopsis deshalb ein "schlechter" Modellorganismus? Müssen Pflanzenphysiologen jetzt ihre Labor-Blumenkübel umpflügen, um Platz für irgendeine andere, repräsentativere Art zu machen? "Das Ende einer Laborkarriere" also, wie der Deutschlandfunk ein wenig sensationsheischend titelte?

Natürlich nicht.

Editorial

Denn der Begriff "Modellorganismus" ist missverständlich. Organismen, die tatsächlich repräsentativ für eine übergeordnete Gruppe wären, hat die Evolution gar nicht hervorgebracht, ja, sie kann sie nicht hervorbringen. Denn "die Natur" hat nicht irgendwo in magischen Sphären ein Idealbild einer Pflanze abgelegt, wie sich das manche Naturphilosophen früher einmal vorgestellt hatten. Vielmehr zeigt jeder Organismus eine einzigartige Kombination aus abgeleiteten und ursprünglichen Merkmalen. Je nachdem, welche Eigenschaften ein Forscher besonders interessant findet, erscheint ein Organismus mal mehr, mal weniger repräsentativ für seine Gruppe.

Aber gibt es denn typische Modellorganismen?

Mag sein, dass Arabidopsis wirklich eine ungewöhnliche Pflanze ist – aber geht es da anderen Modellorganismen besser? Gehen wir einige der VIP-Modelle doch mal kurz durch.

Ist Drosophila melanogaster ein repräsentatives Insekt? Sicher nicht. Beispielsweise werden in der frühen Embryonalentwicklung die Körpersegmente der Taufliege mehr oder weniger gleichzeitig entlang der Längsachse angelegt – durch ein raffiniertes Spiel aus Gradienten von Transkriptionsfaktoren und Proteinen. Bei anderen Insekten, wie etwa dem Käfer Tribolium, verläuft die Segmentierung dagegen ein wenig anders. Posteriore Segmente werden im Käferembryo nach und nach angebaut, nicht auf einen Schlag festgelegt.

Und der Nematode Caenorhabditis elegans, ist der wenigstens ein idealtypischer Repräsentant der Fadenwürmer? Nein. C. elegans ist ein Zwitter (mit gelegentlichem Auftreten von Männchen), was sehr praktisch für die Laborzucht ist. Aber eben nicht typisch, denn die meisten Nematoden sind zweigeschlechtlich. Überhaupt gibt es bei den Fadenwürmern eine schier ungaubliche Vielzahl von Formen und Lebensweisen, zu Wasser und zu Land, parasitisch und freilebend. Es wäre absurd, eine einzige Art auf den Sockel zu heben, als singulären Repräsentanten von geschätzt einer Million Nematodenarten.

Freaks und Sonderlinge

Und wie sieht's bei den Fisch-Modellen aus? Ist der Zebrabärbling Danio rerio ein typischer Knochenfisch? Auch nicht unbedingt. Die genetischen "Schalter" für die Geschlechtsentwicklung bei Labor-Danios z.B. sind reichlich obskur: Die Zuchtstämme haben die geschlechtsbestimmenden Genom-Regionen ihrer wilden Verwandten offenbar verloren. Die genetischen Mechanismen, die einen Labor-Zebrabärbling zum Männchen oder zum Weibchen machen, sind vertrackt, klar bestimmte Geschlechtschromosomen wie bei anderen Fischen gibt es nicht.

Und der Krallenfrosch Xenopus laevis, ist der wenigstens ein repräsentatives Amphib? Nein, der ist tetraploid. Noch so ein Freak.

Schließlich Mus musculus: Auch ein Individualist. Die spätere Embryonalentwicklung der Labormaus verläuft zum Beispiel ausgesprochen exzentrisch. Und ob Mausexperimente als Modell für das Säugetier Mensch herhalten können, daran gibt es sowieso starke Zweifel. Die Maus, ein typischer Säuger? Sicher nicht.

Praktisch, nicht typisch

Modellorganismen heißen eben nicht so, weil sie typisch oder repräsentativ für ihre taxonomischen Gruppen wären – sondern einfach deshalb, weil sie sich aus ganz pragmatischen Gründen etabliert haben, weil man gut mit ihnen arbeiten kann. Sie sind meist robust, fruchtbar in Gefangenschaft und stellen keine ungewöhnlichen Ansprüche an ihre Haltungsbedingungen. Zebrabärbling- und C. elegans-Larven sind zudem noch transparent, so dass man die frühe Entwicklung von Organen leicht verfolgen kann.

Die Beobachtungen an Modellorganismen kann man mal mehr, mal weniger auf verwandte Arten übertragen. Die Pflanzenforscher müssen sich also nicht grämen, weil sie scheinbar eine "falsche", untypische Modellpflanze ausgewählt haben. Repräsentativ sind die tierischen Modelle nämlich auch nicht. Können sie gar nicht sein.

 

Hans Zauner
Illustration: (c) Sinitar /  Fotolia



Letzte Änderungen: 28.04.2016