Wissenschaft zum Mitdenken — ein Experiment zum Public Outreach

18. November 2020 von Laborjournal

(Das Team von Science Bridge e.V. um den ehemaligen Kasseler Genetik-Professor und VBIO-Präsidenten Wolfgang Nellen hat ein ergebnisoffenes Forschungsprojekt zur Genom-Editierung via CRISPR-Cas entworfen, bei dem alle Interessierten in Echtzeit mitdenken und mitmachen können — und dabei idealerweise mitkriegen, wie Wissenschaft und Forschung wirklich funktionieren. Wolfgang Nellen hat uns gebeten, in unserer Leserschaft Werbung für das Mitmach-Projekt zu machen. Machen wir sehr gerne! So stellt er es selber vor:…)

 

Public Outreach, Bürger-Labore, Wissenschaftskommunikation, Citizen Science, Wissenschaftstransparenz — wie auch immer man es nennt, die Wissenschaft ist gefordert, mehr in die Öffentlichkeit zu gehen, verständlich (!) zu erklären und im besten Fall sogar Partizipation zu ermöglichen.

Wie auch andere versuchen wir von Science Bridge e.V. dafür neue Formate zu entwickeln. Dabei ist nicht immer leicht zu beurteilen, wie gut ein solcher Versuch gelingt — und schon gar nicht, Vorschläge zu bekommen, wie er sinnvoll optimiert werden kann. Wir wenden uns deshalb an die Leserinnen und Leser des Laborjournals für eine Art „Crowd-Peer-Review“. Sie können bei unserem unten folgenden Experiment selbst „mitspielen“, es jungen Studierenden empfehlen oder — noch besser — uns Ihre Meinung dazu sagen.

Und so sieht unser Mitmach-Projekt „Pauline und die Ausreißer“ aus:

Grundlagen

Wir haben vor Kurzem ein einfaches CRISPR-Cas Experiment für Schulen, für Praktika in den Bachelor-Studiengängen wie auch für die interessierte Öffentlichkeit entwickelt. Ausgangspunkt ist ein E.-coli-Stamm, der das lacZ-Gen auf einem Plasmid trägt und sich damit nach Zugabe von X-Gal blau anfärben lässt. Dieser Stamm wird mit einem weiteren Plasmid transformiert, das das Cas9-Gen, eine crRNA und eine tracrRNA codiert. Diesen Beitrag weiterlesen »

Eine kleine Lanze für Großprojekte

8. Januar 2020 von Laborjournal

Leider erlebt man das öfter: Viel Geld wird in groß­angelegte Forschungsinitiativen gepumpt — und am Ende kommt man den anvisierten Erkennt­nis­sen damit doch deutlich weniger nahe als ursprünglich ange­kündigt.

Viele Paper wurden inzwischen geschrieben, die an­geblich belegen, dass der „Impact pro For­scher­kopf“ im Schnitt umso mehr sinkt, je größer das ge­förderte Gesamtprojekt ist (zum Beispiel hier und hier). Und jedes Mal arbeiteten die Autoren auch ge­wis­se strukturelle und konzeptionelle Mus­ter heraus, die solche „Under­per­for­mance“ von Big-Science-Pro­jek­ten vermeintlich mitverursachen könnten. Diese zu re­fe­rieren, wollen wir für heute je­doch anderen über­las­sen…

Hier soll es vielmehr um die Nörgler gehen, die bei der Ankündigung eines teuren Großprojekts inzwi­schen schon fast reflexartig aus ihren Lö­chern kom­men und empört schreien: „Argh, so viel Geld für etwas, wo wahrscheinlich sowieso wieder nur ver­gleichsweise wenig rauskommt! Wie viele produk­ti­ve­re Small-Science-Projekte könnte man stattdessen da­mit finanzieren?“

Auweia! Als ob man immer schon vorher genau wüsste, welche Masse und Klasse an Erkenntnissen ein be­stimm­tes Projekt, ob groß oder klein, liefern kann. Und als ob man dann entsprechend punktgenau die billigstmögliche Förderung dafür kalkulieren könnte…

Klingt schon hier nicht mehr wirklich nach einem Forschungsprojekt, oder? Weil Forschung so eben nicht funktioniert. Gerade die Grundlagenforschung ist idealerweise ein Aufbruch ins Unbekannte. Man tastet sich sorgfältig in mehrere Richtungen vorwärts, landet immer wieder in Sackgassen, die auf den ersten Metern noch so vielversprechend und plausibel gewirkt hatten — und bekommt vielleicht irgendwann mal eine Ahnung von dem einen richtigen Pfad.

Natürlich rauft sich jeder Unternehmensberater ob solcher wackeliger „Kosten-Nutzen-Bilanzen“ die Haare. Aber würden gerade deren Methoden die Grundlagenforschung nicht in ihrem Kern zerstören? Und wäre dies am Ende nicht die schlechteste Bilanz von allen?

Zumal häufig vergessen wird: Gerade Großprojekt-Mittel sind immer auch fette Aus­bil­dungs­in­ves­ti­tionen — nicht zuletzt, weil insbesondere in solchen Big-Science-Netzwerken oftmals ganz besonderer Wert darauf gelegt wird (siehe beispielsweise hier). Jede Menge Doktoranden und Co. lernen hierbei, wie Wissenschaft und Forschung tatsächlich funktionieren — auch, ja vielleicht sogar gerade auf den letztlich weniger erfolgreichen Pfaden.

Und wer weiß, liebe Nörgler, ob am Ende nicht ausgerechnet einer, der gestern in einem solchen „bilanzmiesen“ Projekt ausgebildet wurde, morgen den nächsten Mega-Durchbruch liefert? Ginge es nach euch, wäre er womöglich gar nicht erst bis dahin gekommen.

Ralf Neumann

Der König ist tot, es lebe das Feld

4. September 2019 von Laborjournal

Es gilt als eines der berühmtesten Zitate von Max Planck — nicht zuletzt, weil es einige gar zu „Plancks Prinzip“ der Wissenschaftstheorie erhoben:

Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.

Drei US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler nahmen das mit dem „Sterben“ jetzt wörtlich — und haben Plancks Einsicht, dass der Tod prominenter Figuren oftmals die Bremsen für neue wissenschaftliche Wahrheiten löst, durch eine bibliometrische Analyse ansatzweise bestätigt.

Unter dem Titel „Does Science Advance One Funeral at a Time?“ veröffentlichten sie in American Economic Re­view (109(8): 2889-2920) ihre Nachforschungen darüber, was die Todesfälle von insgesamt 452 noch aktiven Biomedizinern, die ihr jeweiliges Forschungsfeld stark geprägt hatten, nachfolgend mit ebendiesen Feldern machten.

Fassen wir deren Ergebnisse kurz zusammen. Diejenigen, die bereits mit den „Starforschern“ kooperiert hatten und demnach eher in deren Strom schwammen, mussten nach deren Tod bezüg­lich der Zahl ihrer nachfolgenden Veröffentlichungen eine durchschnittliche Einbuße von neun Prozent hinnehmen. Was jetzt nicht gerade die Welt ist. Etwas stärker beeindru­cken die Verschiebungen auf der „anderen Seite“: Forscher, die bislang nicht mit dem jeweiligen „Promi“ kollaboriert hatten, konnten nach dessen Beerdigung im Schnitt um zwanzig Prozent mehr Artikel in dem jeweiligen Feld veröffentlichen.

Interessanterweise waren es jedoch weniger die „ewigen Konkurrenten“, die das Vakuum auf diese Weise mehr als ausfüllten. Vielmehr stiegen auffällig oft mehr oder weniger junge Kollegen aus anderen Gebieten neu ein — und brachten nicht nur eine frische und unvoreingenommene Denke ins Feld, sondern wurden mit ihren resultierenden Erkenntnissen auch bald überpro­por­tio­nal häufiger zitiert. Die Autoren der Studie schreiben dazu wörtlich:

To our surprise, it is not competitors from within a subfield who assume the mantle of leadership, but rather entrants from other fields who step in to fill the void created by a star’s absence. Importantly, this surge in contributions from outsiders draws upon a different scientific corpus and is disproportionately likely to be highly cited.

Jetzt kann man natürlich trefflich spekulieren, worin die Ursachen für solche Bremswirkung von Forscher-Lichtgestalten liegen könnten. Sitzen sie selbst mit ihrer „Anhängerschaft“ zu fett auf Schlüsselpositionen im Rahmen von Antrags- und Manuskript-Begutachtungen, sodass Neulinge mit alternativen inhaltlichen Konzepte viel schwerer „durchkommen“? Oder schreckt ein gut vernetz­ter Block von Anhängern rund um eine solche Lichtgestalt viele „Frischlinge“ schon von vorn­herein davon ab, den Versuch zu wagen, sich daneben im gleichen Feld zu etablieren?

Die Studienautoren jedenfalls halten sich klar davon fern, den Starforschern und ihren Gemeinden zu unterstellen, sie würden alternative Ideen mit bewusster Absicht blockieren. Vielmehr tendieren sie eher zu letzterer Erklärung:

It does not appear to be the case that stars use their influence over financial or editorial resources to block entry into their fields, but rather that the very prospect of challenging a luminary in the field serves as a deterrent for entry by outsiders.

Womöglich ist das aber auch einfach der ganz normale Lauf der Forschung, wie einer der Autoren im Interview sinniert. Denn wahrscheinlich waren die schwerfälligen alten Platzhirsche von heute selbst einmal vor neuen Ideen sprühende Jungforscher, die sich damals ihrerseits solch einer alten Garde gegenüber sahen.

Max Planck wird da vielleicht selbst keine Ausnahme gewesen sein.

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Die Techniker verlangt Nicht-Wirksamkeitsnachweis von Homöopathie — und erntet einen Shitstorm

7. März 2017 von Laborjournal

Wenn jetzt jede Menge Leute der Techniker Krankenkasse (TK) den Rücken kehren würden — sie könnte sich kaum beschweren nach dem fürchterlichen Eigentor, das sie sich letzte Nacht mit dem folgenden Tweet geschossen hat:

 

 

Eigentlich haben wir ja eher Probleme mit sogenannten Shitstorms, aber denjenigen, den die TK damit umgehend auf Twitter erntete, hat sie sich wahrlich wohlverdient. Im folgenden ein paar Beispiele von vielen — fangen wir mit den eher „ernsthaften“ an:

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Und so weiter…

Die Frage nach der derart peinlich zur Schau gestellten Unwissenschaftlichkeit der TK muss einem tatsächlich Angst machen. Weswegen — wie gesagt — sich natürlich sofort einige Kunden Gedanken über einen Austritt machen:

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Und so weiter…

Nicht abwegig, dass einige damit tatsächlich ernst machen werden.

Wieder andere versuchen, das Kind beim Namen zu nennen. Und haben wohl auch damit keineswegs Unrecht:

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Und so weiter…

Tja — und wie wohl kaum anders zu erwarten, reagiert ein weiterer, sehr großer Teil mit Sarkasmus:…

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Und so weiter…

Oder sie weisen auf das Paradox hin, dass etwa Brillen trotz nachgewiesener Wirksamkeit und großer Nachfrage nicht (!) von der TK et al. erstattet werden:

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Und so weiter…

Heute morgen gegen halb Neun räumte die TK dann endlich ihren Mega-Fauxpas ein — ein bisschen patzig zwar, aber immerhin:

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Und fügte etwas später noch an:

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Wobei jetzt schon sicher ist, dass mit dem Ergebnis dieses „Gesprächs“ die „Aufregung“ wohl kaum auf Null runtergefahren werden kann. Zu tief hat die TK das Kind im Brunnen versenkt — und sich daher den Schaden, die sie als Krankenkasse davontragen wird, leider redlich verdient.

Das einzig Schöne an der Affäre jedoch ist, wieviele Leute angesichts solch erschreckender Ignoranz mit dem Resultat schroffer Missachtung von faktenbasierter Wissenschaft sofort auf die Barrikaden gehen. Es ist zwar „nur“ ein Tweet einer Krankenkasse. Aber der reicht, dass einem angst und bange um unser Gesundheitssystem werden kann.

Die vielen krankenversicherten Twitterer dagegen machen einem Hoffnung, dass diese Angst am Ende unbegründet sein wird.

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Zitat des Monats (16)

3. Dezember 2013 von Laborjournal

Der Konstanzer Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß schrieb 2000 in einem Essay für die Zeitschrift Gegenworte zum Thema „Exzellenz in der Forschung“::

Ist Wissenschaft möglich ohne Durchschnittlichkeit oder Mittelmaß? Vermutlich nicht. […] Damit Exzellenz wirklich werden kann, muss viel Qualität gegeben sein; und damit Qualität wirklich werden kann, muss viel Mittelmaß gegeben sein. Allein Exzellenz, nichts anderes, wollen wäre nicht nur wirklichkeitsfremd, sondern für die Entstehungsbedingungen von Exzellenz vermutlich fatal – sie verlöre die wissenschaftliche Artenvielfalt, aus der sie wächst. […] Es ist das breite Mittelmaß, das auch in der Wissenschaft das Gewohnte ist, und es ist die breite Qualität, die aus dem Mittelmaß wächst, die uns in der Wissenschaft am Ende auch die Exzellenz beschert.

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(Von Hugh MacLeod.)

 

Zitat des Monats (14)

20. September 2013 von Laborjournal

Vor einigen Wochen schrieb der australische Wissenschaftstheoretiker John Wilkins auf seinem Blog Evolving Thoughts zur „Wissenschaftlichen Methode“:

I’ve often noted that there is no such single thing as “scientific method” […]. But there are several things that science does that are worthy of the name: the use of observational evidence, the use of abductive and inductive reasoning to generalise and explain, and the use of deductive reasoning to winkle out the implications of the foregoing. Terms like “theory construction”, “disciplinary matrix” and “research program” are fancier ways to say just this.