„Kai meint ja nur“: Genießen wir den Parlamentarismus

28. Mai 2019 von Laborjournal

(Alle zwei Wochen verschicken wir einen Newsletter [kann man über diese Seite abonnieren!]. Diesen leitet unser Herausgeber Kai Herfort des öfteren mit einem derart herrlichen politischen Editorial ein — viel zu schade, um sie nur den Newsletter-Abonnenten zu präsentieren. Also bringen wir seine Editorials von nun an auch hier im Blog — selbst wenn oder gerade weil sie bisweilen schamlos die Grenzen unseres Stammfelds „Forschung und Wissenschaft“ sprengen …)

 

Liebe Leserinnen und Leser,

die Europawahl setzt in Deutschland einen lange anhaltenden Trend fort: Jeder Umweltskandal, jede Umweltkatastrophe kostet die etablierten Parteien ein paar Prozente. Fukushima, Diesel skandal und Braunkohle sind nur die prominentesten Beispiele.

Merken die das nicht?

Jedes Mal aber liegt der eigentliche Skandal darin, dass sich die Regierenden vor der Industrie ducken. Also ist es in Wirklichkeit nur ein Skandal: Die Bundesregierungen opfern seit Jahr­zehn­ten den Umwelt- und Lebensschutz ihrer Bürger einer ungehemmt kapitalistischen Indus­trie­politik. Der Verlust von Arbeitsplätzen wird stets demjenigen als Menetekel an die Wand gemalt, der hier einen Politikwechsel verlangt. Immer mehr Bürger durchschauen dieses abgenutzte Spiel und mani­fes­tieren das auf den Stimmzetteln, die ihnen immer wieder mal in die Hand gegeben werden. Und die Regierungsparteien? Die klagen: „Wir haben es leider nicht geschafft, unsere Inhalte dem Wähler nahezubringen.“

Doch, das haben sie! Und deswegen werden sie nicht mehr gewählt.

Personell wechseln die etablierten Parteien munter durch, inhaltlich jedoch verharren sie in Schockstarre. Dabei könnten wir Volksparteien eigentlich gut brauchen. Volksparteien heißen so, weil sie die Meinungen eines großen Teils des Volkes vertreten und deshalb von ihnen gewählt werden. Wenige große Parteien machen das Regieren leichter und schneller als viele kleine. Je mehr Parteien sich in den Parlamenten tummeln, desto mehr regiert der Kompromiss. Inzwischen gibt es bald für jedes Anliegen eine eigene Partei: Umwelt, Wirtschaftsliberalismus, Industrie­freund­lichkeit und freie Fahrt, Soziale Gerechtigkeit, Xenophobie, Tierschutz, demnächst wahr­scheinlich noch gesunde Ernährung, Sport und Modelleisenbahnen.

Zu Ende gedacht, landen wir irgendwann dabei, das Volk bei jeder einzelnen Entscheidung zu befragen — à la Schweiz. Aber dann, liebe Leser, vergessen wir mal ganz schnell die Gentechnik – egal ob grün oder rot. Und Tierversuche gibt es höchstens noch am Pantoffeltierchen. Dafür dürfen Sie sich dann schon mal einen schicken Waffenschrank nebst Inhalt bei Amazon aussuchen. Aber seien Sie vorsichtig beim Reinigen Ihrer Vollautomatischen. Wenn da was passiert, werden Sie nämlich hingerichtet.

Genießen Sie den Parlamentarismus, solange es ihn noch gibt. Und lesen Sie dazu Laborjournal. Das passt, unterhält und bildet ungemein.

(Editorial des Laborjournal-Newsletters vom 27.5.2019)

Neues Tempo bei Tierversuchsanträgen

18. Dezember 2017 von Laborjournal

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In unserer September-Ausgabe 9/2017 berichtete unsere Autorin Karin Hollricher, wie das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz (TLV) die Bearbeitung von Anträgen auf Tierversuche unverhältnismäßig lange verschleppte. Zum einen verstieß das Amt damit gegen gesetzlich festgelegte Fristen — zum anderen sorgte es damit logischerweise für große Verärgerung unter den betroffenen Forschern. Vorläufiger Höhepunkt war ein Brief an den Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, in dem die Wissenschaftler unter anderem schrieben:

„Insgesamt ist die Lage für die Jenaer Lebenswissenschaftler verzweifelt. […] Wir fürchten nicht bloß um den erfolgreichen Abschluss eigener Projekte, sondern um die Zukunftsfähigkeit des Standortes.“

Das war ungefähr auch der Zeitpunkt, zu dem Karin Hollricher mit ihrer Recherche der ganzen Angelegenheit begann. Allerdings sollte sich diese zunächst als nicht ganz einfach erweisen, denn wie sie letztlich selbst im Artikel schrieb:

Die Wissenschaftler, zu denen wir Kontakt aufnahmen, erklärten durchweg, das Thema sei von höherer Stelle mit dem Prädikat „nicht öffentlich“ versehen worden.

Es herrschte also eine Art „Maulkorb-Erlass“.

Am Ende war der Ärger der Beteiligten aber offenbar stärker, so dass unsere Autorin letztlich doch genug Informationen bekam, um die Hintergründe der ganzen Angelegenheit in ihrem Artikel ausführlich darstellen zu können. Und auf diesen wollen wir diejenigen, die sich für die weiteren Details interessieren, jetzt auch verweisen…

Der eigentliche Grund, warum wir die Geschichte an dieser Stelle nochmals „aufwärmen“, ist vielmehr eine E-Mail, die uns gerade von einem der Betroffenen erreichte. Darin schreibt er:

Liebe Frau Hollricher,

zu Ihrem Artikel über die nicht bearbeiteten Tierversuchsanträge in Jena nun doch eine positive Rückmeldung. Der Dekan teilte uns auf der letzten Fakultätsratssitzung mit, dass in den letzten Wochen fast alle Anträge bearbeitet und der größte Teil auch bewilligt wurde. Das Problem mit dem Bearbeitungsstau sei praktisch gelöst. Der Vorsitzende der Tierkommission meinte sogar kürzlich, dass die Anträge zügig bearbeitet werden, seit die Problematik öffentlich gemacht wurde.

Ein schöner Erfolg! Wie gut, dass es in Deutschland eine freie Presse gibt.

Ihnen ganz herzlichen Dank, dass Sie sich der Sache angenommen haben! […]

Tatsächlich ein schöner Erfolg — und irgendwie passend zur Weihnachtszeit.

Ralf Neumann

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Heute im Sonderangebot: Transgene Versuchstiere!

16. Juni 2015 von Laborjournal

Beim heutigen „Nach-potentiellen-Artikelthemen-Surfen“ stieß ich auf einen frischen Bericht des… na ja, sagen wir „Biotechnologie-kritischen“ Instituts Testbiotech e.V. Thema des Berichts sind „Patente auf Tiere und neue Gentechnikverfahren“ — Untertitel: „Gewinninteressen führen zu steigender Zahl von Tierversuchen“.

Klar, der Bericht hat eine bestimmte, durchaus auch ideologisch geprägte Stoßrichtung. Schließlich steht dem Verein mit Christoph Then der langjährige Gentechnik-Experte von Greenpeace Deutschland vor. Dennoch blieb ich bei dem Kapitel „Lukrative Märkte für gentechnisch veränderte Versuchstiere“ für längere Zeit hängen. Darin heißt es wörtlich:

Für diese „Tierversuchsmodelle“ hat sich ein lukrativer Markt entwickelt. US-Firmen wie Applied StemCell, Creative Animodel und Cyagen Biosciences bewerben ihre gentechnisch veränderten Versuchstiere aggressiv und bieten entsprechende Tiere wie Sonderangebote im Supermarkt an. […] Die Firma Creative Animodels bietet u.a. Mäuse an, die an Krebs erkranken und Affen als Versuchstiere für Potenzmittel. Die Firma Cyagen Biosciences lockt sogar mit Werbegeschenken: Für gentechnisch veränderte Mäuse gibt es 10% Prozent Nachlass und zusätzlich ein Stofftier oder eine Kaffeemaschine. Werden neue Kunden geworben, gibt es einen Gutschein für Apple. Mäuse werden bei Cyagen Biosciences ab US-$ 17 250 manipuliert, Ratten kosten mindestens US-$ 18 250 (Preise 2013). Anfragen von möglichen Kunden werden strikt vertraulich behandelt.

Nachfolgende Abbildungen stammen von den Websites der verschiedenen Unternehmen (www.appliedstemcell.com/, www.creative-animodel.com/, www.cyagen.com/) die im Mai 2015 besucht wurden, sowie aus den Newslettern der Firmen (zwischen 2013 und 2014).

Von den erwähnten Abbildungen hier nur drei der Firma Cyagen Biosciences:

Fehlt nur noch „Order three, get FOUR!“. Spätestens dann werden transgene Tiere tatsächlich genauso feilgeboten wie bedruckte Kaffepötte oder T-Shirts. Sicher, vielleicht muss das so funktionieren in der freien Marktwirtschaft. Dennoch beschlich mich bei der Lektüre ein ziemlich flaues Gefühl…

Schon in der Einleitung des Berichts äußert Testbiotech die Befürchtung, dass angesichts der reinen technischen Machbarkeit die Frage nach der tatsächlichen Notwendigkeit für Tierversuche immer mehr in den Hintergrund gedrängt zu werden drohe. Das Geschäftsgebahren der oben erwähnten Firmen liefert zumindest keine Indizien dagegen.