Zellen sind schlampig

27. März 2018 von Laborjournal

Wenn man sich als Fachmagazin für biologisch-medizinische Forschung etabliert, bleibt es nicht aus, dass man bisweilen auch fachliche Fragen gestellt bekommt. Und die sind manchmal gar nicht ohne. Vor allem, weil man ja offenbar deswegen gefragt wird, da „Freund Google“ keine schnelle Antwort liefert.

Ganz in diesem Sinne fanden wir vor Kurzem etwa folgende Frage in unserer Redaktions-E-Mail:

Liebe Redaktion,

mein Sohn lernt in der Schule gerade Translation und genetischen Code. Dies habe ich zum Anlass genommen, mit ihm das Rätsel „Kennen Sie den? Der übergangene Code-Knacker“, LJ 5/2017, anzuschauen. Das hat uns auf folgende Frage gebracht:

Wieso funktioniert die Translation in einem zellfreien System auch ohne Startcodon?

Tja. Tatsächlich findet man bei „Freund Google“ und auch sonst so gut wie überall, dass in der mRNA nach einer untranslatierten Leader-Sequenz zwingend das Start-Codon AUG kommen muss, damit das Ribosom sie richtig binden und im korrekten Leseraster mit der Translation beginnen kann. Gute Frage also, wie das im erwähnten Rätsel angesprochene Poly-U-Experiment, mit dem Heinrich Matthaei im Labor von Marshall Nirenberg das Triplett-Prinzip des genetischen Codes entschlüsselte, überhaupt funktionieren konnte. Schließlich gab Matthaei lediglich blitzeblanke Poly-U-RNA-Stränge zur Translation in das ansonsten Zell- und mRNA-freie E. coli-Extrakt — von Startcodons nicht der Hauch einer Spur. Wie konnten ihm danach dann trotzdem fix und fertig translatierte Poly-Phenylalanin-Ketten im Filter hängenbleiben — ganz wie es das Phenylalanin-Triplett UUU vorsieht?

Es dauerte ein Telefonat und noch ein klein wenig länger, bis unser Chefredakteur folgende Antwort zurückmailen konnte:

Biologische Prozesse sind eigentlich immer etwas „fuzzy“ und funktionieren nie hundertprozentig schwarz oder weiß! Das heiß im konkreten Fall, dass die Ribosomen auch RNAs ohne Startcodon transkribieren können — allerdings mit viel schlechterer Affinität und Effizienz. In der Zelle kommt das praktisch nicht vor, da die RNAs mit Startcodon gnadenlos in der Überzahl sind und die Ribosomen aufgrund ihrer starken Affinität immer wieder sofort neu besetzen. Die wenigen RNAs ohne Startcodon sind da völlig chancenlos.

Im Poly U-Experiment von Matthaei dagegen waren überhaupt keine RNAs mit Startcodon vorhanden, dafür aber ein riesiger, völlig unphysiologischer Überschuss an homogener Poly U-RNA. Daher konnten die Ribosomen am Ende trotz der geringeren Affinität aufgrund der fehlenden Konkurrenz durch andere RNAs genügend Poly U-RNA transkribieren — jedenfalls genug, dass Matthaei damit das Triplett-Codon UUU für Phenylalanin nachweisen konnte.

Zudem spielten auch die gegenüber der intakten Zelle stark veränderten physiologischen Bedingungen in Matthaeis Test eine gewisse Rolle — vor allem die Magnesium-Konzentration. Dazu mehr hier: https://tinyurl.com/yalvbdt4.

Ein klein wenig konnte „Freund Google“ am Ende also doch helfen.

Dennoch muss man sich wundern, dass dieses durchaus wichtige „Startcodon-Problem“ bei all den vielen Beschreibungen des Poly-U-Experiments praktisch völlig außer Acht gelassen wird. Zumal man ja mit der „Fuzziness“ — oder auf deutsch: Schlampigkeit — der Translation noch etwas ganz Generelles über biochemische und zellbiologische Prozesse in der Zelle lernen kann.

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LJ-Biotechnica-Tagebuch (VII): Chemie-Nobelpreis update

8. Oktober 2009 von Laborjournal

Wir sind kaum  am Stand angekommen, da steht plötzlich Jürgen Brosius da. Brosius, ein alter Bekannter der Laborjournal-Redaktion, ist Professor und Molekularbiologe an der Uni Münster. Und er arbeitete einst jahrelang als Postdoc im Labor von Harry Noller in Kalifornien.

Jürgen Brosius (r.) erklärt, warum Harry Noller den Chemie-Nobelpreis eher verdient hätte.

Jürgen Brosius (r.) erklärt, warum Harry Noller den diesjährigen Chemie-Nobelpreis eher verdient hätte.

Damit war klar, worum sich das Gespräch zuerst drehen wurde: Warum wurde Harry Noller nicht bei der gestrigen Vergabe des Chemie-Nobelpreises mitberücksichtigt? Diesen Beitrag weiterlesen »

LJ-Biotechnica-Tagebuch (V): Chemie-Nobelpreis

7. Oktober 2009 von Laborjournal

11:30 Uhr. Chefredakteur N. kommt zurück von einem Gespräch mit LISA. Leider kein charmantes Wesen aus Fleisch und Blut, LISA steht vielmehr für Life Science Austria. Und an deren Stand begegnete N. nur Männern.

"Komm schon! Wer hat ihn denn nun, den Chemie-Nobelpreis?..."

"Komm schon! Wer hat ihn denn nun, den Chemie-Nobelpreis?..."

„Könnten mal schauen, ob der Chemie-Nobelpreis schon raus ist“, raunt N. Kollegen H. über die Schulter zu, der gerade am Rechner sitzt. Der tippt www.nobelprize.org in den Browser — und nichts passiert.

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