Vorarbeiten oder schon Fehlverhalten?

6. Juli 2022 von Laborjournal

Ende letzter Woche erreichte uns eine Pressemitteilung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), in der sie wieder einmal über die Verhängung von sanktionierenden Maßnahmen wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens informierte. Es ging um drei verhandelte Fälle, bei denen sie – wie immer – die Namen der „Schuldigen“ nicht nennt. So heißt es etwa zu „Fall Nummer 2“ im Wortlaut:

Im zweiten Fall war einem Wissenschaftler vorgeworfen worden, er habe in einem Förderantrag zahlreiche relevante und bereits erzielte Forschungsergebnisse nicht als solche benannt, sondern als Forschungsziele und Teile des Arbeitsprogramms formuliert. Dadurch habe er zu einem bedeutenden Anteil Fördermittel für Arbeitsschritte beantragt, die bereits im Vorfeld durchgeführt worden seien. Der Untersuchungsausschuss stellte hier den Tatbestand der unrichtigen wissenschaftsbezogenen Angaben in einem Förderantrag und damit ebenfalls wissenschaftliches Fehlverhalten fest. Er würdigte dabei zwar, dass der Wissenschaftler umfassend und frühzeitig Fehler eingeräumt habe, hielt mit Blick auf den Anteil der betroffenen Passagen dennoch eine Sanktion für notwendig. Auf seinen Vorschlag sprach der Hauptausschuss auch in diesem Fall eine schriftliche Rüge und, da das Kernstück der wissenschaftlichen Arbeit vom Fehlverhalten betroffen sei, zudem einen einjährigen Ausschluss von der Antragsberechtigung aus.

Es ergab sich, dass ich am Rande eines Meetings einem gestandenen Bioforscher kurz diesen Fall referierte. Und dessen spontane Reaktion war genau diejenige, die ich insgeheim erwartet hatte: Er lachte kurz auf und rief aus: „Das macht doch jeder!“

Eben! Bereits vor elf Jahren beschrieben wir dieses „Antrags-Timing“ in unserer Heft-Kolumne „Inkubiert“ (LJ 7-8/2011: 8) folgendermaßen:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Kultursache Forschung?

16. Februar 2022 von Laborjournal

Naturwissenschaften sind objektiv. Ihre grundlegenden Erkenntnisse gelten unabhängig von Ort und Zeit. Eine Kinase phosphoryliert – ob in Honolulu, Honkong oder Horb am Neckar. Auch die Schwerkraft wirkt – zum Glück – auf Erden immer und überall. Das ist so, da gibt es nichts zu deuteln. Und auch die größten kulturellen Unterschiede ändern nicht die Bohne daran.

Ganz im Gegensatz zu gewissen Gepflogenheiten in Gutachterei und Forschungsförderung. Bisweilen kann man nur staunen, wie all die Kräfte, die aus der naturwissenschaftlichen Forschung gnadenlos verbannt sind, plötzlich wieder entfesselt werden. Auf einmal treibt er hier wieder sein Spiel, der „subjektive Faktor“.

Da werden Urteile abgegeben, Meinungen geäußert, es wird taktiert und spekuliert, bisweilen intrigiert – und wichtiger als Daten ist oftmals die Rhetorik. Da begegnet man Platzhirschen, Seilschaften, Lobbygruppen – und sogar ganzen „Forschungskulturen“, denen ein Projekt nun einmal passt oder eben nicht.

Zu negativ? Vielleicht überspitzt, okay! Aber wie sonst ist beispielsweise die folgende – wieder einmal wahre – Begebenheit zu erklären? Nach langen erfolgreichen Jahren in England kam ein deutscher Forscher als Arbeitsgruppenleiter an ein deutsches Institut. Und mit einem Schlag – es war wie verhext – wurden alle seine Anträge abgelehnt. Über Jahre hinweg.

Logisch, dass des Forschers Frust stieg und stieg. Als er fast schon resignierte, sollte er aber doch noch Glück haben …

Ein alter Freund aus der Zeit in England war in einem anderen europäischen Land zu einem richtigen „Boss“ aufgestiegen. Und der sorgte nun dafür, dass unser Forscher einen Ruf an sein Institut erhielt. Zugleich riet er ihm, schon vor dem Umzug Anträge an die nationale Förderorganisation seiner neuen Forschungsheimat zu schicken. Da es eilig war, reichte unser Forscher einfach seine abgelehnten deutschen Anträge in leicht modifizierter Form ein – und erhielt die höchste Bewilligung im gesamten Land.

„Objektiv“ kann man wohl kaum zu derart unterschiedlichen Bewertungen von ein und demselben kommen. Was unserem Forscher demnach vielmehr passierte: Er hatte die „Kultur“ gefunden, die zu seiner Forschung passt.

Ralf Neumann

(Illustr.: N. Dzhola)

 

Über den Unsinn, Forscher nach Höhe ihrer Fördermittel zu beurteilen

28. Juli 2021 von Laborjournal

Why you shouldn’t use grant income to evaluate academics“ war der Titel des Kurzvortrags, den Dorothy Bishop, Professorin für Experimentelle Psychologie an der Universität Oxford, kürzlich bei einem Meeting zum Thema „Irresponsible Use of Research Metrics“ hielt. Darin räumte sie auf mit der allzu simplen Logik, aufgrund derer die Summe der eingeworbenen Forschungsmittel inzwischen ein immer größerer Evaluations-Faktor geworden ist.

Wer viel Geld bewilligt bekommt, der kann nicht schlecht sein – so der Kerngedanke dahinter. Zumal die Kandidaten mit den entsprechenden ja immer wieder jede Menge kritische Kollegen überzeugen muss. Ganz klar also: Wo nach eingehender Prüfung stetig Geld hinströmt, da muss auch Qualität sein.

 

Auch mit teurer Technologie erntet man bisweilen nur tiefhängende Früchte.

 

Bis heute, so stellt Dorothy Bishop dazu klar, habe man keinerlei belastbare Korrelation zwischen Antragshöhe und Antragserfolg feststellen können – unter anderem, da bei letzterem einfach zu viel Glück und Zufall im Spiel ist. Man würde daher vor allem dafür belohnt, wie viel Glück man hat. Und das sei letztlich ziemlich demoralisierend für die Forscher, da sie sich nicht auf faire Weise evaluiert fühlen.

Wir nahmen dies in einem früheren Blog-Beitrag einmal folgendermaßen aufs Korn:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Förderung zum Beantragen einer Förderung

8. September 2020 von Laborjournal

In der E-Mail heute eine Pressemeldung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover – Überschrift: „EU-Förderung: 9 Millionen Euro für Meeresforschung“. Ein internationales Forscherteam aus Tiermedizin, Bioakustik, Populationsbiologie, Schiffsbau und Ingenieurwesen wird demnach im EU-Förderprogramm Horizon 2020 über vier Jahre mit 9 Millionen Euro gefördert. Davon geht eine Million Euro an das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo).

So weit, so gut. Eine Fördermeldung wie viele andere. Was uns jedoch stutzen ließ, war der letzte Absatz der Meldung, wo es heißt:

In der Antragsphase wurde das ITAW mit einer Förderung aus dem Europa-Programm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur unterstützt. Die Mittel stammen aus dem Niedersächsischen Vorab der VolkswagenStiftung. Siebert sagt: „Die Antragsphase war sehr aufwändig. Dank der Förderung war es möglich, dass sich ein Mitarbeiter auf die Vorbereitung des Antrages konzentrieren und die Projekttreffen mit unseren zahlreichen internationalen Partnern organisieren konnte. Das war unter anderem ausschlaggebend für den Erfolg des Antrages!“

Dass man bei Antragstellung innerhalb des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation wahre Monster an Bürokratie bezwingen muss, ist ja hinlänglich bekannt. Ebenso ist es bei einigen Mega-Förderprogrammen durchaus üblich, dass man aus vielen kleinen Vorab-Anträgen eine Handvoll vorauswählt, die dann mit einer entsprechenden Vorab-Förderung des betreffenden Fördergebers erst die vollständigen Groß-Anträge produzieren. Schon hierbei ist ja fraglich, ob dies tatsächlich die effizienteste aller erfolgsversprechenden Verfahrensvarianten darstellt. Aber dass die Hannoveraner jetzt offensichtlich die Förderung eines Dritten brauchten, um die Antragsphase für die eigentliche Projektförderung überhaupt bewältigen zu können – das kann’s doch nun wirklich nicht sein! Zumal sie ja trotz allen Aufwands auch hätten leer ausgehen können.

Oder haben wir diesen letzten Absatz irgendwie falsch verstanden?

Ralf Neumann

(Illustr.: iStock / erhui1979)

Wie ambitioniert hätten Sie’s denn gerne…?

6. November 2019 von Laborjournal

Und schon wieder beschleicht „Forscher Ernst“ ein Gefühl von Gutachter-Willkür…

(Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier. Zeichnungen von Rafael Flores.)

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Die netten Gutachter von nebenan

22. Mai 2019 von Laborjournal

Als der Autor dieser Zeilen noch Nachwuchsforscher war, begab es sich, dass er mit seinem damaligen Chef ein Manuskript einreichte. Und wie es so üblich war, schlugen sie zugleich eine Handvoll gut bekannter Kollegen vor, die sie für die Begutachtung des Inhalts als besonders geeignet hielten. Beim entsprechenden Journal saß jedoch einer der ärgsten Kompetitoren der beiden im Editorial Board. Schlichtweg ignorierte dieser die Liste und beauftragte umgehend zwei „Experten“ mit dem Peer Review, die selbst eine unvereinbare Konkurrenzhypothese zur Lösung des betreffenden Problems verfolgten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…

Glücklicherweise wurde es am Ende gar nicht „böse“. Die Gutachter aus dem „anderen Lager“ bewerteten das Manuskript völlig fair und frei von niederen Motiven — und so erschien das Paper einige Zeit später mit nur kleinen Änderungen.

Schöne Anekdote, oder? Zumal dieser Ausgang rein instinktiv auf diese Weise nicht unbedingt zu erwarten war.

Dass diese gegenläufige Erwartung damals dennoch prinzipiell in die richtige Richtung ging, haben inzwischen mehrere Studien unabhängig voneinander bestätigt. Übereinstimmend kamen sie nach Durchmusterung der dokumentierten Begutachtungsgeschichten von zig hunderten eingereichten Manuskripten zu derselben Schlussfolgerung: Von den Einreichern vorgeschlagene Gutachter bewerten Manuskripte im Schnitt signifikant besser und empfehlen deutlich häufiger deren Veröffentlichung, als wenn Editoren die Reviewer gänzlich unabhängig aussuchen. (Siehe etwa hier, hier und hier.)  Diesen Beitrag weiterlesen »

Zehnmal #Forscherfrust

28. Februar 2019 von Laborjournal

In der vergangenen Woche eröffneten wir auf Twitter den Hashtag #Forscherfrust. Unsere zehn Beispiele für entsprechende Frusterlebnisse rund um das Forscher-Dasein sind hier nochmals zusammengetragen:

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Wenn jemand noch weitere Beispiele loswerden will — entweder hier unten im Kommentarfenster oder unter dem Hashtag #Forscherfrust auf Twitter.

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Die Crux mit dem Projekt

7. Februar 2019 von Laborjournal

Wer Geld für seine Forschung haben will, muss einen Projektantrag stellen. Sicher, wenn es ein bisschen größer sein soll, heißt das Ganze auch mal „Programm“ oder „Initiative“. Aber woraus setzen sich diese in aller Regel zusammen? Genau, aus lauter Einzel-Projekten! Schon lange ist Forschung auf diese Weise nahezu ausschließlich in Projekten organisiert. Das Projekt ist die Keimzelle einer jeden Forschungsförderung.

Paradox ist das schon. Denn zumindest in der reinen Grundlagenforschung kann nur „projektiert“ werden, was noch unbekannt ist. Andernfalls wäre es keine. Oder anders gesagt: Sonst wäre das Projekt kein Forschungsprojekt. Zugleich muss das Unbekannte aber bekannt genug sein, um ein Forschungsvorhaben überhaupt in Form eines Projektes organisieren zu können. Schließlich lässt sich nur mit einem hinreichenden Maß an Bekanntem vorweg eine klare Forschungsplanung hinsichtlich Zielvorgaben, zeitlichem Ablaufen, finanzieller und personeller Ressourcen et cetera entwerfen. Dummerweise gilt aber ohne solch einen klaren Plan nix als Projekt — und wird auch nicht gefördert.

Es passt also nicht wirklich zusammen: Das Ideal von Forschung als offener, durch reine Neugier gelenkter Prozess einerseits — und die Projektierung von Forschung andererseits. Zumal in der Forschung auch anfängliche Zielvorgaben schnell und flexibel umformuliert werden können müssen, wie auch ein beträchtliches Risiko zu scheitern bewusst eingeschlossen ist.

Für ein Projekt dagegen ist das Vorwegnehmen von offensichtlich Neuem zu Beginn eines Prozesses unvermeidbar. Der Vorstellung von Wissenschaft als Prozess fortlaufender Entdeckungen widerspricht dies jedoch fundamental. In Projekten kann man naturgemäß nicht einfach nur von irgendwelchen Prämissen ausgehen — und dann durch fortlaufende Exploration schauen, was daraus wird. Ebenso wenig, wie sich Änderungen leicht hinnehmen lassen. Wie könnten Projekte sonst auf die ihnen innewohnende Art alle möglichen Unsicherheiten minimieren?

Daher stellen sich zwei Fragen: Wie kann man etwas vorweg bestimmen, das man gerade durch die Forschungstätigkeit entdecken will? Und welche Art Wissenschaft könnte überhaupt projektierbar sein? Letzteres mag funktionieren, wenn man ganz konkrete Fälle analysiert und auf jegliche Form der Generalisierung verzichtet. Forschung, die allerdings genau dieses Ziel verfolgt — nämlich ein generalisierendes Modell oder eine übergeordnete Theorie zu entwerfen —, ist in der Organisationsform „Projekt“ denkbar schlecht aufgehoben.

             Ralf Neumann

 

Forschungsanträge à la Sisyphus

12. November 2018 von Laborjournal

„Der Wahnsinn des Antragschreibens“ war Thema unseres letzten Postings unten. Zuvor hatten wir in unserer Heft-Kolumne „Inkubiert“ bereits einen ganz anderen Fall von „Antrags-Wahnsinn“ kommentiert (siehe LJ 1-2/2016). Wir bringen den Kommentar hier nochmals in überarbeiteter Form:

Wenn es um das Antragswesen wissenschaftlicher Projektförderung geht, scheint Effizienz oftmals kein hervorstechendes Merkmal zu sein. Zumindest bestärken einzelne Beispiele immer wieder diesen Eindruck.

Nehmen wir etwa den folgenden Fall, den der belgische Linguist Jan Blommaert in seinem Blog Ctrl+Alt+Dem beschrieb. Demnach ging er so richtig in die Vollen, als vor Monaten im EU-Rahmenprogramm „Horizon 2020“ ein bestimmtes Projektthema ausgeschrieben wurde. Umgehend stürzte er sich zusammen mit seinem Leuten in umfangreiche inhaltliche Vorarbeiten und heuerte überdies europaweit geeignete Partner für das geforderte „Internationale Konsortium“ an.

Logisch, dass für die notwendigen Meetings schnell mal Hunderte von Arbeitsstunden und mehrere Tausend Flugkilometer draufgingen. Ein Mitarbeiter aus Blommaerts Team kümmerte sich etwa monatelang quasi hauptamtlich um Koordination, Vorbereitung und schlussendliche Realisierung des Antrags. Dazu erhielt er umfassende Hilfe von zwei Leuten aus der Uni-Verwaltung: einem professionellen „Grant Writer“ und einem eigens angestellten Fachmann für EU-Angelegenheiten.

Dies alles und noch viel mehr summierte sich am Ende zu einem Riesenhaufen produktiver Zeit und Geld, die mit höchster Wahrscheinlichkeit völlig umsonst investiert — und damit verschwendet — waren. Denn eine Woche, nachdem sie den Antrag fix und fertig abgeschickt hatten, erhielten Blommaerts und Co. aus Brüssel die Nachricht, dass insgesamt 147 Anträge eingegangen seien, wovon jetzt ganze 2 — ZWEI! — bewilligt würden.

Man braucht keine allzu komplizierte Mathematik, um die hirnlose Ineffizienz dieses gesamten Manövers aufzuzeigen. Man multipliziere nur grob die ausschließlich mit Steuergeldern bezahlte Arbeitszeit samt übriger Kosten von Blommaert und Co. mit der Zahl der insgesamt 145 abgelehnten Anträge, addiere dazu die Brüsseler Kosten für Verwaltung und Begutachtung — und setze diese für nahezu Nix investierte Summe wiederum in Beziehung zu den 6 Millionen Euro Gesamt-Fördervolumen. Eine verheerende Bilanz, oder?

Und jetzt haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, welches Signal eine Ablehnungsquote von 98,7 Prozent für die Forscher generell bedeutet…

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Vertrauen ist gut! Kontrolle besser?

4. April 2017 von Laborjournal

Die Geschichte vom wahrscheinlich kürzesten Projektantrag der gesamten Forschungsgeschichte ist mittlerweile gut bekannt: Zehn Jahre, bevor Otto Warburg im Jahre 1931 den Nobelpreis für „die Entdeckung der Natur und der Funktion des Atmungsferments“ erhielt, ließ er seine Sekretärin lediglich die folgenden paar Worte schreiben:

 

Warburg unterzeichnete, ließ den Antrag an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft schicken — und bekam umgehend das Geld ohne weitere Nachfrage.

(Die Ironie an der Geschichte ist, dass Warburg ein paar Monate später nicht mal ein Brot für die 10.000 Mark kaufen konnte; die Hyperinflation im Dezember 1922 hatte das Geld in Nullkommanichts vollkommen entwertet. Doch dies nur am Rande — hier soll’s jetzt vielmehr um folgendes gehen:…)

Offenbar hatten die Forschungsförderer zu diesen, Warburgs Zeiten noch Vertrauen in ihre Forscher. Das heißt, zumindest in diejenigen Exemplare ihrer Gattung, die bereits bewiesen hatten, dass hinter ihren Projektideen in aller Regel tatsächlich Substanz steckt. Denn dass Warburg zu den hellsten Forscherköpfen seiner Zeit gehörte, wussten damals auch die Mittel-Verwalter in der Weimarer Republik. Folglich schien auch keiner von ihnen daran zu zweifeln, dass Warburg das Geld sinnvoll verwenden würde — auch ohne die geringste Ahnung zu haben, was genau er damit erforschen wollte.

Klar, dass einem mit Blick auf das aktuelle Forschungsförderungssystem jetzt jede Menge ketzerische Fragen auf der Zunge liegen:

► Hat sich dieses Vertrauen in einen Forscher, der seine Leistungsbereitschaft und Originalität bereits hinlänglich gezeigt hatte, etwa nicht gelohnt?

► Welchen Unterschied hätte es gemacht, wenn Warburg wochenlang damit gebunden gewesen wäre, einen „ordentlichen“ Projektantrag mit all dem üblichen prophetischen Pipapo zu schreiben — und dann erstmal monatelang zu warten?

► Welchen Unterschied hätte es gemacht, wenn Warburg — wie heute üblich — zwischenbegutachtet, bibliometrisch überprüft und sonstwie evaluiert worden wäre?

Auf letztere zwei Fragen ahnen wir die Antwort: Warburg hätte einen gehörigen Teil seiner Zeit von der Forschung abziehen müssen, um Berichte und Folgeanträge zu schreiben. Und einen weiteren ordentlichen Teil hätte er dafür opfern müssen, um in dem heute üblichen „Asthma-Stil“ den für erfolgreiche Antragstellungen notwendigen Publikationsstrom aufrecht zu erhalten.

Man muss kein Hellseher sein, dass Warburgs Genius dies als unzumutbare Gängelung empfunden hätte — und dass im gleichen Atemzug dessen Spaß und Begeisterung für seine Arbeit stark gelitten hätten.

Nicht gerade das Szenario, in dem Nobelpreise gedeihen — oder?

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