Der vergiftete Salat

1. September 2022 von Laborjournal

( … Ein Märchen aus unserem Archiv zum Thema Abhängigkeit von Nachwuchsforschern.)

Es war einmal ein Jungforscher in einem fernen Land, der sich in der Fremde zumindest schon einen kleinen Namen in der Erdbeerforschung [Forschungsthema geändert] gemacht hatte. Dafür wurden ihm ein schicker achteckiger Hut und ein schwarzer Samtkragen, fein verziert mit blau-goldener Seide, übergestreift. Just in dieser Zeit erreichte ihn aus heiterem Himmel das Angebot, selbstständiger Arbeitsgruppenleiter in seiner Heimat zu werden. Da erfasste ihn eine große Sehnsucht, und er flog voller Freude über ein großes Wasser in sein heimatliches Germanien zurück.

Kurz nach der Landung stand er vor seinem neuen Ordinarius, der ihm freudestrahlend einen bewilligten Drittmittel-Antrag entgegenhielt: „Hier habe ich für dich eine ordentliche Menge Sachmittel und Personalstellen. Du kannst gleich loslegen.“ Der Jungforscher konnte es nicht fassen. Er hatte doch noch gar keinen Drittmittel-Antrag eingereicht! Was war geschehen?

Der Ordinarius, ein langjähriger Spinatforscher [Forschungsthema geändert], hatte sich zuvor einen äußerst talentierten Junior-Salatforscher [Forschungsthema geändert]  geangelt – aus einem tollen Labor, wo die allerfeinsten Salate direkt für die Festtafel des Königs von Schweden samt dessen Freunde vom Karolinksa-Institut bereitet werden. Dieser junge Salatin hatte ein erstklassiges Salatrezept entworfen und war entsprechend von der Deutschen Förderstelle für Grünzeugforschung reich mit den notwendigen Zutaten bedacht worden. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Fabel vom Forscher, der traurig wurde…

18. August 2021 von Laborjournal

Es war einmal ein außergewöhnlich begabter junger Forscher. Dass er sein Handwerk in Rekordzeit lernte, war das eine. Viel mehr noch aber beeindruckte er mit seinem enormen analytischen wie auch kreativen Verstand. Wo die Kollegen schon lange vor der Komplexität gewisser Probleme kapituliert hatten, sezierte er mit spielerischer Leichtigkeit die entscheidenden Einzelteile heraus – und lieferte oft genug robuste Hypothesen und elegante experimentelle Strategien gleich mit.

Klar, dass solch ein Forscher bald sein eigenes Institut leitete. Und so entwickelte er Jahr um Jahr mit seinen Assistenten und Studenten immer wieder neue originelle Forschungsprojekte – und hatte auch stets Mittel und Stellen dafür.

Eines Tages jedoch merkte er, dass er inzwischen immer mehr Zeit und Mühe aufbringen musste, um den Geldfluss am Laufen zu halten. Kaum sprudelte ein Geldhahn mal eine Weile, versiegte der Strom auch schon bald wieder. Ein neuer musste also geöffnet werden, und dann umgehend wieder ein neuer…

Irgendwann fraß das Geldhahnöffnen auf diese Weise so viel Zeit, dass unser Forscher kaum mehr dazu kam, komplexe Forschungsprobleme tief und eindringlich zu durchleuchten – so wie früher eben. Am Ende ließ er es schließlich ganz. Denn glücklicherweise genügte ihm das schnelle Ausspinnen von flachen und naheliegenden Projekten, um gerade immer genug „Kurzsprudler“-Geldhähne am Laufen zu haben. (Die „Langsprudler“ hingegen schienen inzwischen ausgestorben.)

Seine Studenten dankten es ihm. Denn gerade die mussten wegen der schneller versiegenden Geldhähne jetzt umso hurtiger Resultate liefern, um nicht vollends auf dem Trockenen zu landen. Das wollte unser Forscher natürlich auf keinen Fall. Und so ersponn er auch deswegen nur noch seichte Projekte, bei denen die Ergebnisse schon durch die Oberfläche schimmerten.

Allerdings merkte kaum einer, wie er sich über all dies grämte. Und wenn er nicht gestorben ist, dann ist unser einstmals so brillanter Kopf heute umso trauriger, dass er schon lange nur noch mittelmäßige Forschung macht.

Ralf Neumann 

Foto: lukasbieri / Pixabay

(Der Artikel erschien bereits in unserer Printausgabe 1-2/2019 auf Seite 8.)

 

Von wem lernt man das Forschen?

2. Dezember 2020 von Laborjournal

Was lernen Labor-Frischlinge überhaupt von ihren Profs oder Gruppenleitern? Experimentelles Handwerk wohl nur selten — dazu haben diese in aller Regel zu lange selbst nicht mehr am Labortisch gestanden.

Der Autor dieser Zeilen erinnert sich jedenfalls mit großem Amüsement an die Momente aus seiner eigenen Laborzeit, in denen „sein“ Prof plötzlich ins Labor schwebte — und fragte: „Ich hab‘ gerade etwas Zeit, kann ich bei irgendwas helfen?“ Jedes Mal zuckten wir dann kurz zusammen, um uns sogleich betont lässig zurückzulehnen: „Danke, aber ich mach‘ heut‘ eh nur Auswertung…“ — „Hm, ungünstig! Muss gleich runter in den Dunkelraum, und da ist schlecht zu zweit zu arbeiten….“ — „Ach, schade! Muss gerade zwei Stunden auf meine Proben warten…“ – …

Oh Mann, der Chef hat mal wieder selbst was versucht…

Oder es läuft so, wie kürzlich ein Bekannter berichtete: „Unser Chef nimmt sich jedes Jahr eine ganze Woche, um selbst zu experimentieren. Das ganze Labor liegt dann lahm, weil wir ihn um Himmels willen nicht alleine lassen können und ihm alles zeigen müssen. Und am Ende, wenn er wieder in sein Büro verschwindet, müssen wir das ganze Chaos aufräumen, das er hinterlassen hat.“

Das Experimentelle ist es also weniger, was die „Chefs“ den Frischlingen beibringen. Aber sicher doch alles andere, was praktische Wissenschaft ausmacht: Daten sauber analysieren, interpretieren und einordnen; die richtigen Fragen ableiten; Hypothesen entwickeln; Teststrategien entwerfen; die Notwendigkeit von richtigen Kontrollen und genügend Wiederholungen klarmachen;… Oder?

Offenbar nicht wirklich. US-Sozialwissenschaftler haben mit den ihnen eigenen Methoden vielmehr Folgendes festgestellt: Junge Doktorandinnen und Doktoranden lernen sämtliche (!) Fähigkeiten und Fertigkeiten der experimentellen wissenschaftlichen Arbeit vier- bis fünfmal besser, wenn sich Postdocs oder fortgeschrittene Prä-Docs um sie kümmern, als wenn die „Chefs“ sie direkt betreuen. Weshalb sie folgern, dass demnach in der Doktoranden-Ausbildung eine Art „Kaskaden-Modell“ am zielführendsten sei (PNAS 116 (42) 20910-16).

Womit Rolle und Bedeutung von Postdocs und Senior-Docs für den gesamten Wissenschaftsbetrieb nochmals deutlich aufgewertet werden.

Ralf Neumann

 

Wer hat hier eigentlich Talent?

23. Oktober 2019 von Laborjournal

Junge Talente. Wenn man sich so umhört, könnte man fast meinen, dass Wohl und Gedeih der Wissenschaft einzig von ihnen abhängen. Nicht zuletzt, da schon länger Programme zur Förderung besonders begabter Jungforscher wie Pilze aus dem feuchten Herbstboden schießen.

Das ist zwar sicher gut so, da gerade der wissenschaftliche Nachwuchs bis vor einiger Zeit doch arg vernachlässigt wurde — meist zugunsten der etablierten Platzhirsche. (Ganz abgesehen davon, dass er ja sowieso zu schlecht bezahlt wird.) Das Problem bei der ganzen Sache ist jedoch erstmal ein anderes: Bevor man Talent fördern kann, muss man es erkennen. Und zwar nicht erst, wenn jemand bereits seine ersten wissenschaftlichen Fußstapfen in irgendwelchen angesehenen Journalen hinterlassen hat. Nein, viel früher. Möglichst ganz am Anfang schon.

In einer idealen Welt müsste Chef oder Chefin jeden „Neuankömmling“ im Labor gerade in den ersten Monaten ganz besonders begleiten. Denn wenn da mit den richtigen Leuten nicht die richtigen Dinge passieren, nimmt der begabte Nachwuchs ganz schnell sein Talent und geht woanders spielen.

Doch die Welt ist nicht ideal — Chefs oftmals schon gar nicht. Und so ereignen sich immer wieder Fälle wie der folgende:

Eine Master-Studentin kommt frisch ins Labor und beginnt ein neues Projekt. „Zum Antesten“, steckt der Chef einem Kollegen. „Wäre zu riskant für unsere Docs und Postdocs, die brauchen doch was Sicheres, mit Ergebnisgarantie.“

Kaum hat die Studentin die ersten positiven Ergebnisse, nimmt der Chef ihr jedoch prompt das Projekt ab und übergibt es einem Postdoc. „Der kriegt das schneller hin, hat ja auch mehr Erfahrung“, sagt er seinem Kumpel. „Um der Wissenschaft willen“, sagt er der Studentin.

Mit dem nächsten „riskanten Projekt“ dasselbe: Die Studentin hat schnell erfolgsversprechende Ergebnisse — und Postdoc Nummer 2 übernimmt. Und man mag es kaum glauben, aber das Muster wiederholt sich ein drittes Mal — sehr zur Freude von Postdoc Nummer 3.

Wer hier wirklich Talent hat, erkennt der aufmerksame Leser schnell — der „Chef“ offenbar nicht. Das Ende vom Lied: Der Master-Studentin bleibt nichts anderes übrig, als eine fürchterliche Patchwork-Arbeit zu schreiben — und macht hernach Karriere in der Software-Branche.

Und die drei Postdocs? Sind heute immer noch Postdocs.

Ralf Neumann

(Eine etwas andere Version dieses Textes erschien bereits in unserer Printausgabe Laborjournal 11/2008.)

Foto: iStock / Imgorthand

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Die Geschichte eines idealen Peer Review

19. August 2019 von Laborjournal

Ist das Gutachterwesen via Peer Review am Ende? Viele sehen es so. Langsam, intransparent und unzuverlässig sei das klassische Peer-Review-Verfahren, meinen sie — und ange­sichts der Möglichkeiten des Internets sowieso nicht mehr zeitgemäß. Vom Missbrauchs-Potenzial ganz zu schwei­gen. Abschaffen solle man es daher, fordern sie. Ein jeder veröffentliche ohne Vorab-Begutachtung, was er habe — die Community würde schon schnell und kompetent darüber urteilen.

Dazu die folgende, wahre Peer-Review-Geschichte:

Ein der Redaktion gut bekannter Forscher schickte in seinen frühen Jahren das fertige Manuskript eines Kooperationsprojekts an das Journal seiner Wahl — und wartete… Es dauerte etwa drei Monate, bis die Nachricht des Editorial Office eintraf, inklusive den Urteilen und Kommentaren zweier anonymer Gutachter.

Reviewer No. 1 machte es kurz. Sehr kurz. In zwei Sätzen schrieb er sinngemäß: „Gutes Paper. Genau so veröffentlichen.“ Natürlich war dies das erhoffte Ergebnis, aber trotzdem war unser Forscher nicht wirklich glücklich über diese Art und Weise. Tatsächlich kroch ihm ein Gefühl der Enttäuschung in die Eingeweide: „Nur zwei Sätze? Keine Kommentare zum Inhalt? Hat der das Manuskript überhaupt gelesen?“

Plötzlich hatte unser Forscher einen Verdacht. „Könnte es sein, dass Reviewer No. 1 Professor Schneider ist? Vor über dreißig Jahren war er einer der Pioniere des gesamten Feldes, ist aber heute schon längst im Ruhestand…“ Es sprachen einige Indizien dafür. Aber eigentlich war es auch egal. Diesen Beitrag weiterlesen »

Plötzlich ist alles nur noch mittelmäßig…

16. November 2016 von Laborjournal

Kann es sein, dass die “Publish or Perish”-Regel einen geradezu zwingt, “suboptimale” Forschung zu machen? Auch wenn man es eigentlich gar nicht will?

Wie das passieren kann? Vielleicht etwa so:

Labor-0815Der Großteil an Personal- und Projektmitteln wird inzwischen bekanntermaßen befristet vergeben. Und die Fristen sind zuletzt ziemlich kurz geworden. Was folgt, ist auch bekannt: Doktoranden, Postdocs und alle anderen, die noch nicht am Ende der Karriereleiter angekommen sind, brauchen Veröffentlichungen, um es nach dem Ablauf der aktuellen Bewilligungsrunde hinüber in die nächste zu schaffen. Und auch was dies bewirkt, liegt auf der Hand: Der Ehrgeiz der angehenden bis fortgeschrittenen Jungforscher ist immer weniger darauf ausgerichtet, möglichst robuste und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, sondern zunehmend darauf, so schnell wie möglich irgendwelche Veröffentlichungen zu produzieren.

Die Folge ist, dass im Schnitt die Anzahl niederklassiger und nicht-reproduzierbarer Ergebnisse zunimmt, während wirklich hervorragende Forschung in dem gleichen Tempo mehr und mehr schwindet.

Aber das ist nicht alles. Denn auch die Chefinnen und Bosse, die es eigentlich mal besser gelernt und praktiziert haben, werden selbst unmerklich zum Teil dieses Spiels — vor allem die, die sich tatsächlich um ihre Mitarbeiter sorgen. Denn was machen sie, um ihren Studenten und Mitarbeitern die schnellen Veröffentlichungen zu ermöglichen, die sie weiter in der Karriere-Spirale halten? Sie versorgen sie mit perfekt gestylten und risikoarmen Mainstream-Projekten, deren Ergebnisse quasi mitten auf dem Weg liegen — mit der Garantie baldiger und sicherer Publikationen…

Bis sie plötzlich merken, dass ihre Forschung auf diese Weise zu einem absolut vorhersehbaren und mittelmäßigen Geschäft heruntergekommen ist. Keine wirklich spannenden Ergebnisse mehr, keine überraschenden Einsichten oder wegweisende Innovationen — stattdessen nur noch das Hinzufügen kleiner Detailkrümel zu einem wohlbekannten Prozess hier oder zu einem bereits gut beschriebenen Phänomen dort.

Wie gesagt: Gewollt realisiert keiner solch ein Szenario…

Best of Science Cartoons (33)

17. Februar 2015 von Laborjournal

… Aus der Reihe „Die Tücken des Wissenschaftssprechs“ (daher lässt man ihn auch besser in Englisch stehen):

Von Hilda Bastian (www.hildabastian.net) via Sci-Med Cartoonery