Rasiermesser-Variationen

7. Dezember 2022 von Laborjournal

Wissenschaftler, die in ihrer Forschung noch klassisch von Hypothesen ausgehen, kennen vielleicht den Namen des mittelalterlichen Philosophen Wilhelm von Ockham. Ja, genau – der mit dem „Rasiermesser“! Bis zum heutigen Tage steht „Ockhams Rasiermesser“ als Symbol für ein gewisses Sparsamkeitsprinzip innerhalb der wissenschaftlichen Methodik. Und das geht etwa so:

Man formuliere ein wissenschaftliches Problem. Dann notiere man ungebremst Hypothesen, wie das zugehörige Phänomen zustande kommen könnte. Fällt einem keine mehr ein, dann zücke man in Gedanken „Ockhams Rasiermesser“ und schäle damit aus dem Wust ungehobelter Hypothesen alles vermeintlich Unnötige und Überflüssige sauber weg. Am Ende nehme man die schlankeste aller alternativen Hypothesen und beginne, sie zu testen. Also diejenige, die mit den wenigstmöglichen Grundannahmen auskommt, das Problem aber immer noch hinreichend erklären kann.

So weit, so gut. Doch leider verstehen viele dieses Prinzip nicht ganz richtig: Denn damit ist keineswegs gesagt, dass die einfachste Hypothese immer auch die richtige ist. Vielmehr gibt „Ockhams Rasiermesser“ lediglich vor, welche von mehreren alternativen Hypothesen man im Zweifelsfall zuerst testen sollte – nämlich eben diejenige, die die wenigsten Variablen braucht.

Die Gründe dafür sind rein praktischer Natur: Denn je einfacher eine Hypothese gestrickt ist, desto leichter sollten dazu auch aussagekräftige Experimente zu entwerfen sein. Und umso leichter lässt sie sich daher theoretisch auch falsifizieren.

Und wenn Letzteres tatsächlich passiert? Diesen Beitrag weiterlesen »

Anschwellender Forschungsmüll

19. Januar 2022 von Laborjournal

Wie identifiziert man die best available science insbesondere in Zeiten, in denen der schon vorher beein­druckende wissen­schaftliche Müllberg durch „Covidi­za­tion“ noch weiter anschwillt? In denen durch die Inflation von hastig produzierten, teilweise per Presse­konferenz kommunizierten Ergebnissen eine Trennung von Signal und Rauschen immer schwerer wird – und Evidenz­synthese schon deswegen zum Scheitern verurteilt ist. Denn wo man Müll oben reinsteckt, kommt unten auch wieder Müll raus.

So schrieb unser Wissenschaftsnarr unter dem Titel „Wissenschaft berät Politik oder Survival of the Ideas that fit“ in unserem Heft 11/2020.

 

 

Veröffentlicht die Wissenschaft tatsächlich so viel Müll? Und dies auch schon vor und ganz ohne Corona?

Schaut man sich das Abstract des Papers „Slowed canonical progress in large fields of science“ der beiden US-Forscher Johan Chu und James Evans an, muss man das wohl unterschreiben (PNAS 118 (41): e2021636118). Darin heißt es:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Der ewige Ursprung des Lebens

12. Oktober 2021 von Laborjournal

Ende September brachte die Hiroshima University eine Pressemeldung mit dem Titel „Answering a century-old question on the origins of life“ heraus. Der Untertitel lautete: „A team of Japanese scientists found the missing link between chemistry and biology in the origins of life“. Ohne weiter auf den Inhalt oder das zugehörige Original-Paper in Nature Communications eingehen zu wollen: Was stört an dem Untertitel?

Schon der Untertitel suggeriert, dass die chemischen Reaktionen, die die Japaner beobachtet haben, sich vor Urzeiten tatsächlich als Vorstufe zur Entstehung des Lebens abgespielt hätten. Das jedoch kann die Origin-of-Life-Forschung in letzter Konsequenz gar nicht feststellen – und zwar schon rein prinzipiell.

Um dieses Dilemma, in dem die Forschung zum Ursprung des Lebens steckt, im Detail klarzumachen, bemühten wir bereits vor zwei Jahren in unserer Kolumne „Schöne Biologie“ die folgenden Beispiele: Diesen Beitrag weiterlesen »

Forschungsbetrug im eigenen Labor vermeiden? — Ein paar Daumenregeln.

26. Mai 2021 von Laborjournal

Kürzlich fragte der Zürcher Neuropathologe und Prionen-Spezialist Adriano Aguzzi auf seiner Facebook-Seite:

Können wir bitte eine aufgeschlossene, ehrliche und tabufreie Diskussion über wissenschaftlichen Betrug führen? Wie man ihn verhindern kann, und wie man damit umgehen sollte?

Und er startete gleich selbst:

Ich fange mal selber an und behaupte, dass jeder, der denkt, so etwas könne in seinem Labor nicht passieren, sich besser auf böse Überraschungen gefasst machen soll. In meinem Labor ist es jedenfalls passiert.

Insgesamt kamen unter dem Posting noch 50 weitere Kommentare zusammen, die wir hier natürlich weder alle referieren noch zusammenfassen wollen. Einer allerdings gefiel uns besonders gut. Giovanni Giuliano, Forschungsdirektor an der Nationalen Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung (ENEA) in Rom, gab folgendes zu bedenken:

Ein paar Daumenregeln, die in meinem Fall funktioniert haben:

a) Datenmanipulation ist üblich (das Löschen „fehlgeschlagener Proben“ oder gänzlich „gescheiterter Experimente“ aus einem Datensatz ist die Norm, und keineswegs die Ausnahme).

b) Ein veröffentlichter Datensatz kann definitionsgemäß nicht das Universum aller möglichen Variationen repräsentieren, sondern nur diejenigen der Replikationen, die von einer bestimmten Person in einem bestimmten Labor durchgeführt werden.

c) Diese Variation sollte zumindest von einer anderen Person im selben Labor reproduzierbar sein, idealerweise jedoch von einer anderen Person in einem anderen Labor.

d) Wenn die Daten nicht zu deiner Hypothese passen, sei klug: Finde eine bessere Hypothese!

e) Sichere dir Kopien der Primärdaten und lasse sie von neuen Mitarbeitern in deinem Labor bei deren Projektstart erneut analysieren. Dies wirkt eine starke Abschreckung gegen Manipulation.

f) Biologie ist komplex. Egal wie klug du bist, keine biologische Hypothese passt zu all deinen Daten. Versuche demnach unabhängig davon das zu veröffentlichen, was du für gute Daten hältst – auch wenn sie nicht zu deiner Hypothese passen. Jemand anders wird dann entweder zeigen, dass deine Methodik falsch ist, oder eine bessere Erklärung für die Daten finden.

g) Wir sind alle Sünder: Wenn du jemanden dabei erwischst, wie er das Datenpolieren übertreibt, lasse sie oder ihn wissen, dass es um mehr geht als nur um eine Frage der Moral – es geht um Intelligenz! Wie es auf dem Apollo-Tempel in Delphi geschrieben steht: Μηδὲν ἄγαν (Nichts im Übermaß!).

Das lassen wir jetzt mal so stehen. Aber vielleicht weiß ja jemand noch die eine oder andere weitere „Daumenregel“…

Ralf Neumann

 

Mit Hilfe zur Hypothese

7. Oktober 2020 von Laborjournal

Albert Einstein sagte einmal: „Prinzipiell ist es falsch, wenn man versucht, eine Theorie allein auf beobachtbaren Quantitäten zu begründen. In Wirklichkeit geschieht das Gegenteil: Es ist die Theorie, die festlegt, was wir beobachten können.“

Sicherlich haben Sprüche wie diese mit dazu beigetragen, dass die reine Beschreibung von Beobachtungen — sofern sie keine Funktionsmechanismen oder Hypothesen mitliefern — gerne geringschätzig als „deskriptive Forschung“ abgekanzelt wird. Wie oft wurden (und werden) Anträge oder Artikel mit genau diesem Argument abgelehnt. Als ob deskriptive Forschung lediglich Forschung zweiter Klasse sei…

Was aber, wenn man etwas gar nicht beobachten kann? Wenn uns keinerlei Hilfsmittel den Blick auf das System erschließen? Wenn also in Umformung von Einsteins Zitat ganz trivial gilt: „Es sind die Methoden, die festlegen, was wir beobachten können.“

Einfaches Beispiel: Zunächst machte das Mikroskop Zellen überhaupt sichtbar — erst viele, viele Beobachtungen später formulierten Schleiden und Schwann die Zelltheorie. Mit der puren Beschreibung von Zellen gingen Hypothesen- und Theorienbildung folglich erst richtig los — und von da an gingen Beobachtung und Theorie unmittelbar Hand in Hand. Als zwei Seiten derselben Medaille quasi. Diesen Beitrag weiterlesen »

Wirklich nur kleine Lügen?

24. Juni 2020 von Laborjournal

Forschung sei stets auf der Suche nach Wahrheit, heißt es ein wenig pathetisch. Dennoch greifen Forscherinnen und Forscher gerne zu kleinen Lügen — vor allem dann, wenn sie ihre Paper schreiben. Denn wären sie immer und überall grundehrlich, müssten sie die „Storys“ ihrer Erkenntnisse in den allermeisten Fällen nach ähnlichem Muster erzählen wie im Folgenden dieser Pflanzenforscher hier:

„Eigentlich hatten wir den Verdacht, dass Substanz X die Entwicklung von Wurzelhaaren beeinflusst. Doch als wir sie testeten, passierte nix mit den Wurzelhaaren. Zum Glück fiel uns bei älteren Pflanzen jedoch auf, dass mit den Blättern irgendetwas nicht stimmte: Die Leitbündel waren etwas weniger stark verzweigt als normal. Aus der Literatur weiß man nun aus völlig anderen Zusammenhängen, dass Substanz X die Aktivität einiger Kinasen blockiert. Zugegeben, wir hatten X getestet, weil wir ursprünglich vermuteten, dass Kinasen eine Rolle bei der Wurzelhaarbildung spielen. Jetzt scheint dies aber eher bei der Leitbündel-Differenzierung der Fall zu sein. Was ja auch nicht schlecht ist, oder?“

Klar, dieses hypothetische Szenario würde so nie in einem Journal stehen. Dort würde man eher eine „Story“ nach dem folgenden — verkürzten — Schema lesen:    Diesen Beitrag weiterlesen »

Hypothesen im Herz

15. Januar 2020 von Laborjournal

Was ist wichtiger in der Forschung: Antworten zu finden oder die richtigen Fragen zu stellen? Viele favorisieren Letzteres, da sie Fragenstellen in einem Aufwasch sehen mit dem nach­fol­gen­den Formulieren testbarer Hypothesen. Und Hypothesen gelten ja schließlich als das Kernstück der Forschung schlechthin.

Hand auf’s Herz, wie oft sind Sie tatsächlich zu diesem Kern vorgestoßen? Wie oft haben Sie tatsächlich eine Hypothese formuliert?

Anhand dieser Frage lassen sich womöglich grob vier Klassen von Forscherinnen und Forschern einteilen:

1) Diejenigen, die erstmal gar keine Hypothesen aufstellen wollen. Stattdessen sammeln sie blind (sie selber sprechen lieber von vorurteilsfrei) Daten, einfach weil es technisch geht. Siehe etwa Metagenom-Projekte und Co. Standard-Spruch dieser Spezies: „Wir liefern Daten, aus denen man dann charakteristische Muster herauslesen kann — und mit denen kann man dann wiederum Hypothesen aufstellen.“ „Hypothesen-generierende Forschung“ nennt sie das Ganze dann.

2) Diejenigen, die sich an gängige Hypothesen dranhängen. Sie bestätigen hier ein Detail oder fügen dort eines hinzu, entwickeln kaum eigene Hypothesen, machen noch weniger Vorhersagen und testen am Ende praktisch gar nichts.

3) Diejenigen, die sich Hypothesen förmlich abringen. Diese erlauben sogar einige testbare Voraussagen, jedoch reicht dies gerade, um die eigene Forschung am Laufen zu halten. Deshalb werden sie eifersüchtig gehortet — und man bekommt sie erst nach vielen Tests glatt poliert im fertigen Paper präsentiert.

4) Diejenigen, die mehr gute Hypothesen samt testbarer Vorhersagen aufstellen, als sie selbst bearbeiten können — und diese daher auch mitteilen. Diese seltene Spezies beginnt dann auch mal einen Vortrag mit: „Hört zu, ich hab’ mir die Literatur zum Thema X angeschaut, darüber nachgedacht und ein paar vorläufige Experimente gemacht. Von daher scheint mir, dass die ganze Story so und so geht. Allerdings, sicher bin ich mir natürlich nicht — also lasst uns das mal gemeinsam durchdenken…“ Oder macht es wie der Zürcher Entwicklungsbiologe Konrad Basler, der vor einigen Jahren in der PLoS Biology-Rubrik „Unsolved Mysteries“ für alle Kollegen eine umfassende Arbeitshypothese zur Evolution des Hedgehog-Signalwegs samt einer ganzen Reihe abgeleiteter und testbarer Vorhersagen vorgestellt hat (Bd. 7(6): e1000146).

Keine Frage, sind es Momente wie die letzteren, in denen deutlich wird, dass das Hypothesen­aufstellen tatsächlich das Herzstück der Wissenschaft ausmacht.

Ralf Neumann

(Zeichnung: Peter Kapper)

 

Der König ist tot, es lebe das Feld

4. September 2019 von Laborjournal

Es gilt als eines der berühmtesten Zitate von Max Planck — nicht zuletzt, weil es einige gar zu „Plancks Prinzip“ der Wissenschaftstheorie erhoben:

Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.

Drei US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler nahmen das mit dem „Sterben“ jetzt wörtlich — und haben Plancks Einsicht, dass der Tod prominenter Figuren oftmals die Bremsen für neue wissenschaftliche Wahrheiten löst, durch eine bibliometrische Analyse ansatzweise bestätigt.

Unter dem Titel „Does Science Advance One Funeral at a Time?“ veröffentlichten sie in American Economic Re­view (109(8): 2889-2920) ihre Nachforschungen darüber, was die Todesfälle von insgesamt 452 noch aktiven Biomedizinern, die ihr jeweiliges Forschungsfeld stark geprägt hatten, nachfolgend mit ebendiesen Feldern machten.

Fassen wir deren Ergebnisse kurz zusammen. Diejenigen, die bereits mit den „Starforschern“ kooperiert hatten und demnach eher in deren Strom schwammen, mussten nach deren Tod bezüg­lich der Zahl ihrer nachfolgenden Veröffentlichungen eine durchschnittliche Einbuße von neun Prozent hinnehmen. Was jetzt nicht gerade die Welt ist. Etwas stärker beeindru­cken die Verschiebungen auf der „anderen Seite“: Forscher, die bislang nicht mit dem jeweiligen „Promi“ kollaboriert hatten, konnten nach dessen Beerdigung im Schnitt um zwanzig Prozent mehr Artikel in dem jeweiligen Feld veröffentlichen.

Interessanterweise waren es jedoch weniger die „ewigen Konkurrenten“, die das Vakuum auf diese Weise mehr als ausfüllten. Vielmehr stiegen auffällig oft mehr oder weniger junge Kollegen aus anderen Gebieten neu ein — und brachten nicht nur eine frische und unvoreingenommene Denke ins Feld, sondern wurden mit ihren resultierenden Erkenntnissen auch bald überpro­por­tio­nal häufiger zitiert. Die Autoren der Studie schreiben dazu wörtlich:

To our surprise, it is not competitors from within a subfield who assume the mantle of leadership, but rather entrants from other fields who step in to fill the void created by a star’s absence. Importantly, this surge in contributions from outsiders draws upon a different scientific corpus and is disproportionately likely to be highly cited.

Jetzt kann man natürlich trefflich spekulieren, worin die Ursachen für solche Bremswirkung von Forscher-Lichtgestalten liegen könnten. Sitzen sie selbst mit ihrer „Anhängerschaft“ zu fett auf Schlüsselpositionen im Rahmen von Antrags- und Manuskript-Begutachtungen, sodass Neulinge mit alternativen inhaltlichen Konzepte viel schwerer „durchkommen“? Oder schreckt ein gut vernetz­ter Block von Anhängern rund um eine solche Lichtgestalt viele „Frischlinge“ schon von vorn­herein davon ab, den Versuch zu wagen, sich daneben im gleichen Feld zu etablieren?

Die Studienautoren jedenfalls halten sich klar davon fern, den Starforschern und ihren Gemeinden zu unterstellen, sie würden alternative Ideen mit bewusster Absicht blockieren. Vielmehr tendieren sie eher zu letzterer Erklärung:

It does not appear to be the case that stars use their influence over financial or editorial resources to block entry into their fields, but rather that the very prospect of challenging a luminary in the field serves as a deterrent for entry by outsiders.

Womöglich ist das aber auch einfach der ganz normale Lauf der Forschung, wie einer der Autoren im Interview sinniert. Denn wahrscheinlich waren die schwerfälligen alten Platzhirsche von heute selbst einmal vor neuen Ideen sprühende Jungforscher, die sich damals ihrerseits solch einer alten Garde gegenüber sahen.

Max Planck wird da vielleicht selbst keine Ausnahme gewesen sein.

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Welche Forschung ist exzellent?

19. Juli 2018 von Laborjournal

Gehen wir die Frage mal mit einem Gedankenexperiment an: Stellen Sie sich vor, Sie begutachten Forschungsanträge für einen großen europäischen Forschungsförderer. Und nehmen wir an, dieser Förderer hätte als Leitlinie ausgegeben, dass einzig „wissenschaftliche Exzellenz“ als Kriterium für die Entscheidungen gelte. Das Anwendungspotenzial der Projekte sei unerheblich, es gebe keinerlei thematische Prioritäten und auch der Grad an Interdisziplinarität spiele keine Rolle. Nur die pure „Exzellenz“!

Okay, verstanden! Sie nehmen sich also die Anträge vor. Der erste formuliert eine brillante neue Hypothese zu einem Phänomen, für das die „alte“ Erklärung erst kürzlich spektakulär in sich zusammengefallen war.

Der nächste dagegen visiert eine „ältere“, ungemein attraktive Hypo­these an, die sich bislang aber jedem rigorosen experimentellen Test entzog — und genau diese quälende Lücke wollen die Antragsteller jetzt auf höchst originelle und einleuchtende Weise füllen.

Der dritte präsentiert einen klaren Plan, wie sich gewisse neue Erkenntnisse für eine völlig neue Methode rekrutieren ließen — eine Methode, die, wenn sie dann funktionierte, ganze Batterien neuer Experimente zu bislang „verschlossenen“ Fragen ermöglichen würde.

Der vierte kombiniert verschiedene vorhandene Tools und Ressourcen auf derart geschickte Weise, dass die Antragsteller damit in der Lage sein würden, riesige Datenmassen zu erheben, zu ordnen und zu analysieren — ein „Service“, mit dem das gesamte Feld zweifellos einen Riesensprung machen würde.

Der fünfte schließlich will auf überzeugende Weise sämtliche zu einem bestimmten Kontext publizierten Daten re- und meta-analysieren, um dann mit dem Paket ein möglichst robustes Simulationsprogramm zu entwickeln — ein Programm, das sicher mannigfach die Entwicklung neuer Hypothesen ermöglichen würde…

Jetzt halten Sie erstmal inne. „Mir war bisher nicht bewusst, auf welche verschiedene Arten Wissenschaft exzellent sein kann“, denken Sie. „Genauso wie exzellente Äpfel, Birnen und Orangen alle exzellentes Obst darstellen. Und die soll man ja bekanntlich nicht miteinander vergleichen.“

Ralf Neumann

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Kaffeefahrten statt Meetings

12. Oktober 2017 von Laborjournal

Auch wir Laborjournalisten besuchen hin und wieder Meetings. Erst kürzlich hatte einer von uns wieder das Vergnügen.

Doch einmal im Auditorium, formierten sich während der einzelnen Vorträge wiederholt Gedanken in seinem Hirn wie etwa: „Ah ja, EMBO Journal, vor fünf Jahren ungefähr“. Oder: „Natürlich, die alte Science-Story. Auf die ist er immer noch stolz. Aber kam da seitdem gar nichts mehr nach?“

Zum Schluss gab es schließlich die Closing Lecture vom vielfach gepreisten Großmeister des Faches höchstpersönlich. Einen Review seiner letzten drei Reviews lieferte er ab — brillant vorgetragen, zugegeben. Dennoch die Story kannten wirklich alle — und das schon seit langem. Dafür hätte er sich nicht für vier lange Tage von Frau und Enkelkindern verabschieden müssen…

Kann es denn Sinn von Meetings sein, fast ausschließlich Nachlesbares zu präsentieren? Früher einmal war das nicht so, da wurde tatsächlich öfter noch Work in Progress diskutiert. Aber heute?

Ein italienischer Forscher schrieb denn auch vor kurzem dazu: „Meetings sollten kein Forum sein für artig abgeschlossene Arbeiten, vielmehr sollten sie als Bühne dienen, um neue, durchaus auch gewagte Hypothesen vorzustellen und zu diskutieren.“

Recht hat der Mann. Und er hat weiterhin recht, wenn er noch anfügt: „Heute sind Meetings nur noch dazu nützlich, um Freunde zu treffen, neue Leute kennenzulernen oder Kooperationen zu planen. Deswegen ziehe ich selbst mittlerweile die Kaffeepausen den offiziellen Präsentationen deutlich vor.“

Da gibt es dann wenigstens heißen Kaffee, bei all dem kalten in den Vorträgen.

Vielleicht sollte man sich doch überlegen, statt teuren Meetings einfach gleich ausgedehnte Kaffeefahrten zu organisieren, um die Leute zusammenzubringen…