As Time Goes By …

6. Dezember 2023 von Laborjournal

Dass externe Reize in die Regulationsschleifen von Zellprozessen mit eingerechnet und oft genug sogar für deren konkrete Ausgestaltung genutzt werden, ist klar. Die prominentesten Beispiele für solche externen Faktoren sind sicherlich Licht und Temperatur; zuletzt traten in mehr und mehr Fällen auch mechanische Gegebenheiten in den Fokus.

Ein wenig stiefmütterlich scheint die Forschungsgemeinde bislang hingegen den Faktor Zeit ins Kal­kül genommen zu haben. Oder genauer gesagt: Wie vor­ge­­gebene Zeitspannen für das Einrichten konkreter Regu­la­tions­­mechanismen genutzt wer­den.

Ein nettes Beispiel, über das wir bereits an anderer Stelle berichtet hatten, dreht sich um die Transkription. Im Reagenzglas hatte man für das Aneinanderreihen der einzelnen Nukleotide zu fertigen mRNA-Strängen eine Geschwindigkeit von 30 bis 60 Nukleotid-Verknüpfungen pro Sekunde ermittelt. Doch damit stand man unverhofft vor einem Rätsel. Dieses wurzelte darin, dass die Exon-Blöcke der meisten eukaryotischen Gene bekanntlich durch nicht-codierende Intron-Abschnitte unterbrochen werden – wodurch sie teilweise weit voneinander getrennt liegen. Die Zelle jedoch muss zunächst ein Primärtranskript des gesamten Gens inklusive aller Introns erstellen, aus dem erst nachfolgend die Exons zur funktionellen mRNA zusammengespleißt werden. Und da die Primärtranskripte aufgrund ihrer Exon-Intron-Strecke – wie gesagt – bisweilen sehr lang sein können, braucht die Zelle für deren Produktion ordentlich Zeit.

Okay, und wo ist das Problem?   Diesen Beitrag weiterlesen »

Beliebtes Gen zum „Schattenparken“

29. August 2014 von Laborjournal

Weil’s so schön war, gleich noch ein Beispiel zu den verschlungenen Pfaden, die gewisse Gene  bisweilen evolutionsgeschichtlich einschlagen. Und gleichsam ein eindrucksvolles Lehrstück zu „Natürlichkeit“ und Nutzen des horizontalen Gentransfers (HGT).

Hauptdarsteller diesmal sind Farne. Diese tummeln sich ja bekanntlich am liebsten an den schattigeren Plätzchen des Waldbodens — weswegen sie für ihre lichtgetriebenen Entwicklungsschritte (Photomorphogenese) logischerweise besonders empfindliche Lichtsensoren brauchen. Schon hier wird’s interessant: Die allermeisten heutigen Farne nutzen für die „Schattensicht“ einen Photorezeptor namens Neochrom, der wiederum aus zwei Photorezeptoren besteht, die beide aus höheren Pflanzen wohl bekannt sind — ein Rotlicht-empfindliches Phytochrom fusioniert mit einem Blaulicht-absorbierenden Phototropin.

Vor ewigen Zeiten mussten wohl irgendwelche Organismen gemerkt haben, dass sich aus den beiden Photorezeptoren ein besonders empfindlicher Super-Lichtsensor bauen ließe, mit dem man auch im Halbdunkel gut gedeihen könne — das jedenfalls war zunächst die Hypothese des Doktoranden Fay-Wei Li samt seiner Chefin Kathleen Pryer von der amerikanischen Duke University. Also machte sich Li schließlich auf, in den Sequenzdatenbanken nach potentiellen unfusionierten Nachkommen genau derjenigen alten Phytochrome und Phototropine zu suchen, aus denen die Farn-Vorfahren einst erstmals ihren hybriden Super-Schatten-Lichtsensor zusammengebastelt hatten.

Li ließ seine Programme die Datenbanken rauf und runter suchen — fand aber nicht einen Kandidaten. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die zwei Welten der Genetik und der Biochemie

25. April 2014 von Laborjournal

Es soll ja vorkommen, dass hin und wieder ein eingefleischter Biochemiker im Vortrag eines dezidierten Genetikers sitzt. Oft genug sitzt er dann da, hört zu, denkt mit — und wartet vergeblich auf den Clou.

So trug etwa kürzlich ein Genetiker vor, wie er in Fliegen mit auffälligen Verhaltensstörungen eine Chromosomenregion kartiert hatte, in dem offenbar ein Gen liegt, dessen Ausfall den Defekt direkt mitverantwortet. Fünfzehn Vortragsminuten später hatte er das Gen identifiziert, fünf Minuten darauf hatte er es sequenziert — und in den restlichen zehn Minuten beschrieb er, wie er durch gezielte Mutationen in eben jenem Gen verschieden starke Ausprägungen der Verhaltensstörung induzieren konnte — und wie er die „schlimmsten“ Verhaltensmutanten durch Einbringen des „gesunden“ Gens retten konnte. Klar, dass am Ende des Vortrags der Genetiker sein Publikum glücklich und zufrieden ob dieser runden Story anstrahlte.

Dann meldete sich der Biochemiker und fragte: „Okay, Sie wissen jetzt, dass das Gen für das gesunde Verhalten notwendig ist. Aber wie steuert nun das Genprodukt das Verhalten? Was tut es in der Zelle? Wo und wie entfaltet es welche Funktion? Welcher Mechanismus steckt dahinter?“ Der Genetiker hob die Schultern, raunte leise, dass er dazu keine Hinweise habe — und grinste nunmehr leicht blöde weiter ins Publikum.

Da waren sie also wieder mal aufeinander geprallt — die beiden Welten der Genetik und der Biochemie. Und der konzeptionelle Kernunterschied zwischen beiden wurde erneut mehr als deutlich: Der grundlegende Ansatz des Genetikers ist zu studieren, wie ein System variiert oder ausfällt, wenn einzelne Komponenten gestört oder defekt sind — um dann daraus zu schließen, welche Komponenten bei welchen Prozessen mitspielen. Im Gegensatz dazu versucht der Biochemiker zu entschlüsseln, wie die Komponenten eines Systems zusammengehören und wie die daraus resultierenden Interaktionen die Funktion des Systems bewerkstelligen.

Beides komplementäre experimentelle Ansätze, um komplexe Systeme zu entschlüsseln. Und natürlich umso effektiver, je besser man sich versteht.

(Foto: pholidito / Fotolia)

 

 

Gen-Patent gekippt

15. April 2010 von Laborjournal

Nach über zwölfjährigem Hickhack kippte Ende März ein US District Court in New York die Patente der Firma Myriad auf die Brustkrebs-Gene BRCA 1 und 2 (siehe hier und hier). Gründe dafür gibt es einige. Erst kürzlich etwa beschrieben US-Forscher in Genomics (Epub ahead of print) just am Beispiel von BRCA1, wie absurd solche Patente auf menschliche Gene in ihren Applikationen tatsächlich sein können  (siehe unten). Der englische Wissenschaftsautor Ben Goldacre referierte das Paper in seiner Guardian-Kolumne „Bad Science„, und Christine Käppeler übersetzte den Text für die Wochenzeitung Der Freitag („Ihr Gen gehört uns“).  Am Ende des Artikels heißt es:

Unlängst erschien in der Zeitschrift Genomics ein Paper mit dem Titel „Metastasizing patent claims on BRCA1“. Es geht dem tatsächlichen Ausmaß der Patente nach, die auf das BRCA1-Genom 1998 gewährt wurden. Was dabei herausgefunden wurde, ist wirklich absurd. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die „Monster“ kehren zurück

25. Februar 2010 von Laborjournal

Nature hatte letzte Woche einen lesenswerten Aufsatz mit dem Titel „Evolution: Return of the Hopeful Monsters“ im Heft (Bd. 463, 864-67; Volltext hier online, mit Registrierung). Darin geht es um die langsame Abkehr von dem Prinzip, dass Evolution ausschließlich graduell durch stetiges Anhäufen von Mutationen voranschreite. Ein Prinzip, mit dessen Universalitätsanspruch der deutschstämmige Jude Richard Goldschmidt bereits 1940 in seinem Buch „The Material Basis of Evolution“ aufräumen wollte. Doch damals bügelten die Großkönige der Evolutionsbiologie um Ernst Mayr und Co. Goldschmidts Theorie von den „Hopeful Monsters“ brüsk und nachhaltig ab.

Seit kurzem jedoch häufen sich Daten, wegen derer man kaum mehr umhin kommt, sich an Goldschmidts hoffnungsvolle Monster zu erinnern. Diesen Beitrag weiterlesen »

Das „Gott“-Gen und andere

29. Januar 2010 von Laborjournal

Unser Video zum Wochenende, diesmal insbesondere für alle Freunde der englischen Ex-Komikertruppe Monthy Python: Ex-Mitglied John Cleese doziert in seinem Podcast als „Scientist at Work“ (2008) über das „Gott“-Gen und noch ein paar andere mehr…

Glückwunsch zum Hundertsten, liebes „Gen“!

2. November 2009 von Laborjournal

DNAcake

Bemerkt haben es bisher nur wenige: Das „Gen“ wird Hundert. 1909 führte der dänische Botaniker Wilhelm Ludvik  Johannsen in seinem Buch Elemente der exakten Erblichkeitslehre den Begriff „Gen“ in die Biologie ein. Gleichzeitig schuf er die kategoriale Unterscheidung zwischen Genotyp und Phänotyp — der genetischen Einheiten eines Organismus auf der einen Seite und seinen körperlichen Merkmalen auf der anderen Seite. Diesen Beitrag weiterlesen »