Talent? Oder Glück gehabt?

19. Juli 2023 von Laborjournal

Ihnen wurde nichts auf dem Silbertablett serviert? Sie haben Blut, Schweiß und Tränen literweise in Ihren Werdegang investiert und die Konkurrenz wohlverdient auf hintere Plätze verwiesen?

 

Jetzt, in diesem Moment, in dem Sie ganz allein vorm Bildschirm sitzen – Hand aufs Herz: Halten Sie sich auf die eine oder andere Weise nicht auch für cleverer, fähiger oder kompetenter als so manch ein Nebenmann und so manch eine Nebenfrau? Also, der Schreiber dieses Newsletters tut es. Schließlich beruht sowohl Ihr als auch mein Erfolg hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich – auf unseren persönlichen Eigenschaften: Wir sind talentiert, smart, fleißig, willensstark, leidensfähig und risikobereit! Und hatten – der Wahrheit halber – gelegentlich ab und zu vielleicht auch ein Fünkchen Glück.

Willkommen in der Welt psychologischer Kontexteffekte! Denn objektiv betrachtet sind weder Sie noch ich besonders begabt: Persönliche Eigenschaften wie Talent und Intelligenz sind Gauß-verteilt. Das heißt, zwei Drittel der Bevölkerung liegen innerhalb einer Standardabweichung um den jeweiligen Mittelwert, 95 Prozent innerhalb von zwei Standardabweichungen.  … Hier geht’s weiter >>

Alte Dampflok „Wissenschaft“

22. September 2021 von Laborjournal

Ursachen für die wachsenden Verstöße gegen die wissen­schaftliche Integrität sind eine eklatante Ungleich­verteilung von Macht, systemische Fehlanreize durch die Bevorzugung quantitativer Indizes bei der Leistungsevaluation sowie zu schwache Kontrollmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten. Dieses Fazit referierte Bettina Dupont in unserem Online-Artikel „Kein Platz für Opportunisten und Narzissten“, in dem sie ein Positionspapier aus dem Umfeld der Deutschen Psychologischen Gesellschaft zum Thema „Unethisches Verhalten in der Wissenschaft“ vorstellte.

Zu diesem Artikel beziehungsweise zu diesem Thema erhielten wir die folgende Zuschrift, die wir unserer Leserschaft nicht vorenthalten wollen:

Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrte Frau Bettina Dupont,

danke für den Artikel. Beim Lesen kam mir ein Bild in den Sinn, das die Situation in der Wissenschaft oder vielmehr deren Wesen für mich recht gut beschreibt. Ich stelle mir die Wissenschaft – in meinem Fall die „Life Sciences“ – als eine alte Dampflok vor, die viel Getöse und viel Qualm macht. Sie kommt voran, wenn auch nur sehr schwerfällig und steif. Ihr Kesselfeuer ernährt sich von Karriere-Träumen, eine schier unerschöpfliche Energiereserve. Ihre Energiebilanz ist aber mehr als ungünstig. Die Heizer haben viel zu tun. Wenn sie fleißig sind, dann dürfen sie den feinen Herrschaften in ihren wohligen Pullman-Salonwagen kurzeitig Gesellschaft leisten. Vielleicht wird ihnen ja auch irgendwann einmal ein dauerhafter Platz zugeteilt und ein junger Traum schafft es in den Führerstand.

Lohnt es sich, diesem alten Stahlmonster ein „Upgrade „zu geben, oder ist es nicht sinniger, gleich einen modernen Triebwagen mit vielen Sitzmöglichkeiten und besserer Energiebilanz zu besorgen?

Ich kann sie gerade ganz deutlich durch all den Qualm und Dreck sehen, die alte Dampflok. (Ich stecke gerade in einer SFB-Begutachtung und mein Vertrag endet zum x-ten Mal).

Beste Grüße

(Der Autor der Zuschrift ist der Redaktion bekannt.)

(Foto: National Heritage Memorial Fund UK)

 

„Impactitis“…

5. März 2020 von Laborjournal

… — schon seit Langem hat sich diese heimtückische Krankheit in Forscherkreisen weiter verbreitet, als es Covid-19 wohl jemals schaffen wird. Und auch ihre schlimmsten Symptome sind weithin bekannt: Anfangs völlig unbemerkt schleicht sich das infektiöse Agens in das Kreativitätszentrum des armen Forscheropfers und polt es langsam aber sicher um — bis der „Patient“ mit seinem ganzen wissenschaftlichen Schaffen nicht mehr danach strebt, möglichst „Großes“ zu entdecken, sondern vielmehr nur noch den Phantomen möglichst „hoher“ Publikationen in High-Impact-Zeitschriften nachläuft.

Ein fataler Irrweg, der in der Summe zwangsläufig die Qualität des wissenschaftlichen Fortschritts untergraben muss — und gegen den bislang noch keine wirklich wirksame Therapie in Sicht ist. Wer sollte die auch entwickeln, wenn gerade diejenigen, die sich besonders effizient in den High-Impact-Journalen tummeln, dafür erst recht belohnt werden? Von Berufungskommissionen, Forschungsförderern, Journal-Editoren, Preis-Jurys,…

Sprichwörtlich kann ja bisweilen schon ein wenig Einsicht der erste Schritt zur Besserung sein. Zumindest schaden kann sie nicht. Hier also ein paar Dosen „Einsicht“:

(1) Relativ gesehen müssen High-Impact-Journals weitaus am häufigsten bereits publizierte Artikel wieder zurückziehen — oftmals wegen Fälschung.

(2) Die Mehrheit der Paper in High-Impact-Blättern werden unterdurchschnittlich zitiert; ihre hohen Impact-Faktoren erreichen sie vielmehr durch wenige Zitations-Blockbuster.

(3) Viele wirklich einflussreiche Studien wurden überhaupt erst jenseits des Zweijahres-Fensters zitiert, in dem sie für die Berechnung des Impact-Faktors mitzählen.

(4) Veröffentlichung in einem High-Impact-Journal ist nicht äquivalent mit wissenschaftlichem Wert. Erst kürzlich zeigte eine Studie, dass wirklich neue Erkenntnisse („novel“) sogar eher in Low-Impact-Zeitschriften erscheinen (Research Policy 46(8): 1416-36).

Bleibt als Ergebnis dieser vier kleinen Therapie-Dosen: Artikel in High-Impact-Journalen repräsentieren also keinesfalls automatisch die beste Forschung, nicht selten sogar ganz im Gegenteil.

Und, wie geht es jetzt Ihrer „Impactitis“? Fühlt sich die eine oder der andere vielleicht schon ein bisschen besser?

Ralf Neumann

Illustr.: iStock / z_wei

Gutachten immer und überall

3. Dezember 2019 von Laborjournal

 

 

Wohl kaum eine andere Berufsgruppe wird derart oft und ausgiebig evaluiert wie die Forscher. Diplom- und Doktorarbeit, Bewerbungsgespräche und Berufungskommissionen — geschenkt, das gibt‘s woanders auch. Dann aber jedes einzelne Manuskript und jeder Förderantrag — das macht bisweilen Dutzende von kritischen bis kleinkarierten Gutachten im Jahr, die man erst mal schlucken muss. Dazu noch die regelmäßigen Berichte an Förderorganisationen, Verwaltung, Fakultätsleitung oder Trägergesellschaft — alles ebenfalls durchaus existentiell hinsichtlich Finanzierung, Gehalt, Verteilung von (Service-)Pflichten, Gewährung von Rechten und anderem mehr. Und wenn einer dann noch lehrender Forscher ist, muss er sich auch noch der Bewertung seiner Lehrleistung durch Studenten und Institutskollegen stellen…

Zusammen macht das eine Evaluationslast, über die eine US-Professorin einmal schrieb:

Nimmt man die Menge und Intensität all dieser Evaluationen, muss man sich wundern, ob ohne ein titanisches Ego überhaupt jemand diesen Prozess überleben kann. Allerdings, die meisten können!

Natürlich wird man bei dieser Evaluationsmasse auch immer wieder mit ungerechten, schlampigen, rüden und manchmal auch schlichtweg dummen Antworten konfrontiert. Das kann einen dann — je nach Naturell — auch mal richtig wütend oder niedergeschlagen werden lassen.

Dennoch muss man als Forscher über kurz oder lang grundsätzlich akzeptieren, dass Gutachten von ihrer reinen Intention her kritisch sein sollen. Schlussendlich sollte diese Kritik in einer idealen Welt mit perfekt funktionierendem System die Arbeit der Forscher am Ende des Tages gar verbessern helfen.

Doch gerade die Egos vieler Jungforscher müssen dies erst lernen und begreifen — vor allem den Unterschied zwischen schonungslos kritischen, aber dennoch konstruktiven Gutachten einerseits sowie rein bösartiger Gutachter-Willkür auf der anderen Seite.

Die erwähnte US-Professorin dokumentiert das sehr nett in folgender kleinen Anekdote:

Immer wieder kam einer meiner Mitarbeiter wegen eines vermeintlich absolut grausamen Gutachtens völlig zerknirscht zu mir. Und fast genauso oft habe ich dann nach eigenem Durchlesen gedacht: „Großartiges Gutachten. Mit richtig hilfreichen Kommentaren.“

Ralf Neumann

Nach Leistung fördern! Aber wie Leistung messen?

27. November 2014 von Laborjournal

Bekanntlich kommen die medizinischen Fakultäten an deutschen Universitäten in den Genuss einer leistungsorientierten Verteilung von Landesforschungsmitteln. Klar, dass die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) diese Praxis niemals grundsätzlich in Frage stellen würde. Ein wenig Kritik übte sie jetzt aber schon.

„600 Mio. Forschungsgelder pro Jahr fehlverteilt?“ überschrieb die AWMF kürzlich eine Pressemitteilung. Und führte dann im Vorspann weiter aus:

AWMF fordert sachgerechte Zuweisung von Landesmitteln: Über 600 Mio. Euro an Forschungsgeldern aus Landeszuschüssen werden jedes Jahr an den medizinischen Fakultäten nach wissenschaftlich nicht ausreichend validen Leistungskriterien vergeben.

Anlass der Pressemitteilung — so stellte sich heraus — war die Delegiertenkonferenz der AWMF am 15. November in Frankfurt, bei der offensichtlich Christoph Herrmann-Lingen, Direktor an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Göttingen, als Sprecher der AWMF-Kommission für Leistungsevaluation in Forschung und Lehre zum Thema referierte.

Wie die AWMF jedoch darauf kommt, dass ausgerechnet 600 Mio. Euro fehlverteilt würden, erklärt sie zumindest in der Pressemitteilung nicht. Ebenso wenig verliert sie ein Wort darüber, wie gravierend die Fehlverteilungen tatsächlich sind — wurde größtenteils „krass“ fehlverteilt, oder hauptsächlich „nur ein bisschen“. Schade, das wäre interessant gewesen!

Stattdessen springt der Text ohne Differentialdiagnose unmittelbar weiter zu möglichen Therapien: Diesen Beitrag weiterlesen »