Nur nicht zu viel spekulieren!

28. September 2022 von Laborjournal

Seien wir mal ehrlich: Funktionierten nicht viele wichtige Arbeiten in der Geschichte der Biologie im Wesentlichen nach dem folgendem Muster:

„Leute, wir haben da ein paar ziemlich coole Beobachtungen gemacht. Wir verstehen zwar noch nicht wirklich, was da ganz genau dahinter steckt – aber lasst uns doch schon mal spekulieren, was sie bedeuten könnten.“

… Und am Ende kam wirklich Großes dabei heraus.

Nehmen wir als ein Beispiel von vielen den englischen Chemiker Peter Mitchell. Seine Veröffentlichung in Nature, in der er vor über sechzig Jahren erstmals die chemiosmotische Theorie als potenziellen Kernmechanismus der zellulären Energiegewinnung vorstellte, hätte damals genauso gut unter dem Titel „Wie ich denke, dass die ATPase arbeitet“ erscheinen können – so sehr spekulierte er aus einer Handvoll Beobachtungen einen potenziellen Mechanismus zusammen. Und wie das oft passiert, wenn jemand derart ausführlich spekuliert, erntete auch Mitchell sofort heftigen Gegenwind unter den Fachkollegen.

Dennoch gilt seine Arbeit von 1961 als Klassiker. Als der chemiosmotische Mechanismus der ATP-Synthese später endgültig geklärt war, stellte sich zwar heraus, dass Mitchell in einigen Aspekten falsch gelegen hatte – viel entscheidender aber war, dass er mit seinem spekulativen Modell der weiteren Forschung grundsätzlich die richtige Richtung vorgegeben hatte. Und das sah letztlich auch das Nobelpreis-Komitee so: 1978 durfte sich Mitchell den Preis für Chemie abholen.

Die Gretchenfrage stellt sich nun von allein: Wie groß wären die Chancen, dass Mitchell ein derart spekulatives Paper im Jahr 2022 veröffentlichen könnte? Oder dass er damit Forschungsmittel einwerben könnte? In einer Zeit also, in der die Geldgeber Projekte vor allem dann fördern, wenn die Entschlüsselung von Mechanismen im Rahmen klarer Zwischenziele und strikter Zeitpläne winkt? Und in der die Journals Manuskripte mit abgeschlossenen und vollständigen „Stories“ klar favorisieren?

Die Chancen von Mitchell und Co. stünden heute wohl eher schlecht. Zu stark ist der Druck von Journals und Fördergebern, finale Erklärungen für die beobachteten Phänomene zu liefern. So stark, dass sich womöglich bald nur noch wenige trauen, „den Mitchell zu machen“ – und wie dieser die eigenen „coolen Beobachtungen“ einfach mal via „educated guess“ weiterzuspinnen.

Schade eigentlich!

Ralf Neumann

(Illustr.: Freepik)

 

Karge Zimmer oder quirlige Glastempel?

20. März 2013 von Laborjournal

Forscher gehen mit der Zeit. Und so dürfte ein Klischee wohl langsam out sein: Dass der Forscher im Allgemeinen ein verschrobener Eigenbrötler ist. Liebenswert besessen von eigenwilligen Ideen und stets im einsamen Kampf mit exklusiven Gedanken und komplexen Theorien, die erfolgreich zu durchdringen nur er alleine in der Lage ist. Und denen er stets in kleinen, kargen und dunklen Zimmern nachgeht.

Nein, heute ist der Forscher — will er noch erfolgreich sein — vor allem als Kommunikator und Netzwerker gefragt. Schließlich lautet das Motto schlechthin: Allzeit kooperationsbereit! Ist ja irgendwie auch logisch, wo die Techniken immer spezieller werden und nicht zuletzt dadurch Forschung immer stärker ins interdisziplinäre Teamwork getrieben wird. Oder bekommt der Zoologe von heute ohne Bioinformatiker, Microarray-Experten und Massenspektroskopiker etwa noch gute Paper?

Zum Glück haben die Forschungsplaner längst reagiert und errichten daher, wo auch immer neu gebaut werden muss, tolle neue und vor allem interdisziplinäre Forschungszentren. Diesen Beitrag weiterlesen »