„The Scientist Who Scrambled Darwin’s Tree of Life“…

30. August 2018 von Laborjournal

… Diese Titelzeile im Magazin der New York Times machte mich neugierig. Wer das wohl sein soll? „Der wichtigste Biologe des 20. Jahrhunderts, von dem du noch nie gehört hast“, schreibt David Quammen in der NYT.

Und, wer ist es nun?

Es ist Carl Woese, der Ende 2012 verstorbene Experte für molekulare Phylogenie — obwohl dieser Begriff noch gar nicht existierte, als sich Woese mit der frühen Evolution von Bakterien zu beschäftigen begann.

 

Carl Woese, der „wichtigste unbekannte Biologe des 20. Jahrhunderts“, an Thanksgiving 2003. Er kam 1928 in Syracuse, New York, zur Welt, und promovierte an der Yale University in Biophysik. 1969 wurde er Professor für Mikrobiologie an der University of Illinois in Urbana-Champaign, wo er bis zu seiner Emeritierung blieb. Woese starb am 30. Dezember 2012.

 

Der wunderbare 7.500-Worte-Artikel stammt von David Quammen, einem mehrfach dekorierten Journalist und Buchautor. Er ist ein Exzerpt von Quammens neuestem Buch The Tangled Tree — A Radical New History of Life. Quammen liefert einen spannend zu lesenden Abriss über die Entdeckung der Archaeen samt deren Einordnung als neues Reich in den Tree of Life, über die Entstehung der molekularen Phylogenie als Forschungsdisziplin, über den horizontalen Gentransfer und seine Bedeutung für die Evolution — wie auch über die Person Carl Woese.

Quammen selber traf Woese nie, denn er begann erst zwei Jahre nach dessen Tod, sich mit dem Thema und dem Mann zu befassen. Also musste er sich seine Informationen in vielen Gesprächen mit denjenigen besorgen, die Carl Woese kannten. Aus deren Worten bekommt man ein ganz gutes Gefühl dafür, wie das war, als Woese und George Fox 1977 in einer Veröffentlichung die Archaebakterien neben den Eubakterien und den Eukaryoten als drittes Reich ankündigten.

Das Paper schaffte es zwar auf die Titelseite der New York Times und Woese stand für „15 Minuten im Rampenlicht“, so Quammen. Aber die Wissenschaftler hielten nichts von seinen Ideen. Ralph Wolfe, Mikrobiologe und ehemaliger Kollege von Woese, erinnert sich: „Wir bekamen viele Anrufe, alle negativ. Die Leute waren empört über diesen Unsinn. Was dazu führte, dass das ganze Konzept um mindestens zehn oder fünfzehn Jahre aufgehalten wurde.“ Und so verschwand der Forscher wieder in seinem Labor.

Woese hatte dennoch Recht, wie die Vergangenheit zeigte. Und obwohl seine Erkenntnisse das Bild vom Tree of Life drastisch veränderte, wurde der Forscher nie wirklich bekannt oder gar berühmt. Was, so Quammen, letztlich auch an seiner Persönlichkeit lag. Er sei ein eigensinniger Wissenschaftler gewesen — unbekannt, aber genial, schrullig, getrieben.

Was mich dann doch verwunderte. Ich selbst konnte Woese 2003 an seinem Wohnort Urbana (USA) persönlich treffen — kurz nachdem er den Crafoord-Preis (den ebenfalls ziemlich unbekannten kleinen Bruder des Nobelpreises) erhalten hatte. Carl Woese — damals mit zerzausten, weißen Haaren, knitterigem Gesicht und in legerer Kleidung — nahm sich drei Stunden Zeit für mich, obwohl es Thanksgiving war. Er wirkte weder schrullig noch eigensinnig. Entspannt, gesprächig, gut gelaunt war der Mann, er lachte viel. Ein sehr angenehmer Gesprächspartner — intelligent und dennoch geduldig, mir die Feinheiten seiner Ideen zu erklären. Und er war überzeugt, dass Darwin, wenn er denn zu der Zeit noch gelebt hätte, bei ihm — Woese — gearbeitet hätte.

(Der daraus entstandene Interviewtext samt einer kurzen Zusammenfassung von Woeses Arbeit stand übrigens Anfang 2013 anlässlich seines Ablebens auch hier im Blog.)

Nachdem ich den NYT-Artikel gelesen hatte, kaufte ich mir sofort das Buch. Ich habe zwar erst ein Viertel geschafft, kann es aber dennoch wirklich empfehlen. Und es sollte übersetzt werden für ein größeres Publikum. Denn Quammen hat eine super Schreibe. Es gelingt ihm, die Forschung von Woese und all seiner Kollegen, aber auch vieler anderer Wissenschaftler lebendig werden zu lassen. Er liefert Details, ohne langatmig zu werden; er schreibt witzig… Aber lesen Sie selber!

Wann ist Schluss mit Zitieren?

4. November 2014 von Laborjournal

Ihn muss man schon lange nicht mehr zitieren

Jeder Labor-Biologe stellt mit dem pH-Meter seine Puffer ein. Muss er daher später in seinen Veröffentlichungen den dänischen Chemiker Søren Peder Lauritz Sørensen zitieren — weil dieser 1909 erstmals das Konzept der pH-Skala vorstellte?

Oder nehmen wir Johannes Thal. 1577 beschrieb der Erfurter Arzt und Botaniker erstmals die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Gut vierhundert Jahre später avancierte Thals „Pflänzchen“ bekanntlich zu dem Modellorganismus der Pflanzenforschung schlechthin. Allein die Literaturdatenbank Web of Science listet heute 95.000 Artikel unter dem Stichwort „Arabidopsis„. Wahrscheinlich hat nicht einer Thal in der Referenzliste.

Sørensen und Thal könnten folglich zu den meistzitierten Männer der wissenschaftlichen Literatur gehören — tun sie aber nicht. Und das ist auch richtig so. Denn irgendwann gehören Dinge einfach zum allgemeinen (Fach-)Wissen oder Handwerk, so dass die entsprechenden Zitierungen ziemlich überflüssig, ja sogar eher peinlich wirken.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Darwins Schattenmann

27. November 2013 von Laborjournal

Vor ziemlich genau 100 Jahren starb Alfred Russel Wallace, der neben Darwin lange vergessene Ko-Entwickler der Theorie von der Natürlichen Selektion als Triebkraft der Evolution. Die New York Times feierte ihn mit diesem netten Animationsvideo:

(Von hier.)

„Evolution — A Progression of Scientific Thought“…

10. September 2013 von Laborjournal

…, dargestellt als umfassende historische Infographik über den Fluss der Ideen und Konzepte zur Evolution seit Darwin (und davor):

 

(Hier klicken für zoombare PDF-Version!)

(Von Tania Jenkins, Miriam Quick and Stefanie Posavec für die European Society for Evolutionary Biology)

 

Sehr schön zu sehen, wie einzelne Ideen über die Zeit zusammenfließen, auseinanderdriften, sich aufspalten, an Komplexität zunehmen oder gar komplett versanden. Wie Wissenschaft bei großen Themen eben funktioniert…

Schwierige Evolution

23. Juli 2013 von Laborjournal

Mal wieder ein Video, das mit den gängigsten Mythen und Missverständnissen über Evolution aufräumen will:

Diesmal von TEDEducation.

Ganz nett gemacht, aber offenbar selbst nicht ganz frei von Missverständnissen. Diesen Beitrag weiterlesen »

Wachstum, Vielfalt, Chaos… und Tod

3. Januar 2013 von Laborjournal

Zwei ganz große Persönlichkeiten der Biowissenschaften erlebten das neue Jahr nicht mehr: Rita Levi-Montalcini (r.) und Carl Woese (l.).

Rita Levi-Montalcini starb am 30. Dezember als älteste noch lebende Nobelpreisträgerin (1986, zusammen mit Stanley Cohen) im Alter von 103 in Rom. Mit der Entdeckung und Isolierung des Nervenwachstumsfaktors NGF, wie auch später des Epidermalen Wachstumsfaktors EGF, lieferte sie entscheidende Grundlagen für die Entschlüsselung des Konzepts der Entwicklungssteuerung durch Polypeptid-Wachstumsfaktoren. Mehr dazu in den Nachrufen etwa hier, hier und hier.

Am gleichen Tag starb in Urbana, Illinois, 84-jährig Carl Woese, „Vater der Archaeen“ und entscheidender Pionier der molekularen Systematik und Evolutionsforschung durch Sequenzvergleiche. Woese erhielt zwar keinen Nobelpreis (dafür aber unter anderem den Crafoord-Preis), war aber für die moderne Biologie womöglich noch prägender als Levi-Montalcini. Warum, das enthüllt unter anderem ein Gespräch, welches unsere Mitarbeiterin Karin Hollricher vor knapp zehn Jahren mit Woese führte (Laborjournal 4/2003: 28-32) — und das wir hier nochmals präsentieren: Diesen Beitrag weiterlesen »

Best of Science Cartoons (8)

1. Dezember 2012 von Kommentar per Email

Ein Leser lachte sich angeblich über folgendes Werk schlapp (Draufklicken vergrößert):

via deviantART/claudec

Der vorbereitete Geist

27. Juni 2012 von Laborjournal

… ein alter Spruch, für dessen Wahrheit die Forschung immer wieder neue Belege liefert.

Wie war das etwa mit den kleinen regulativen RNAs. Jede Menge Forscher dürften in ihren RNA-Gelen „komische Signale“ nahe der Lauffront gesehen haben. „Unspezifische Abbau-Produkte“, war deren Diagnose. Schließlich ist RNA deutlich instabiler als DNA, und RNAsen lauern auch quasi überall. Und so dachten sie nicht weiter darüber nach — auch wenn „kleine RNAs“ im nächsten und übernächsten Gel wieder vorneweg liefen.

Wer weiß, wie viele von ihnen sich letztlich mit der Hand kräftig vor die Stirn klatschten, als Ende der Neunziger klar wurde, dass die Zelle ganz gezielt solche kleinen RNAs produziert, um damit die Expression ihrer Gene feinzusteuern? Typischer Fall von nicht-vorbereitetem oder zu eng fokussiertem Geist.

Auf ganz ähnliche Weise dürften sich in den letzten Tagen wiederum andere Forscher an die Stirn geklatscht haben. Diesen Beitrag weiterlesen »

Wer ist dein Lieblingsforscher?

27. November 2011 von Laborjournal

Na ja, klingt ein wenig komisch als Übersetzung von „Who is your favourite scientist?“ Doch sei’s drum, diese Frage stellte der Filmemacher Brady Haran nacheinander ausgewählten Wissenschaftlern an der Nottingham Trent University — und machte darüber kleine Video-Spots mit lauter netten Zeichnungen. Zum Beispiel diesen hier mit Uni-Vizekanzlerin Yvonne Barnett über ihr „Idol“ Gregor Mendel:

Die Videos zu den übrigen genannten „Super-Role Models“ wie etwa Einstein (natürlich!), Richard Feynman (klar!), aber auch dem Mikrobiologen Stanley Falkow oder Rosalind Franklin gibt’s auf der Website www.favscientist.com.

Dennoch vermissen wir noch jede Menge weitere Idole, Vorbilder, „Helden“ oder wie auch immer man sie nennen mag. Allen voran etwa Charles Darwin, Robert Koch, Marie Curie…

Und wen vermisst ihr, werte Leserinnen und Leser?

Rappin‘ Evolution

29. März 2010 von Laborjournal

Die Analytica ist vorbei, die LJ-Redakteure schnaufen erstmal durch — und hören sich zum Beispiel das Album  „The Rap Guide to Evolution“ von Baba Brinkman an. Besprechung vielleicht im nächsten Lab Times (heißt, Leser-Rezensionen sind herzlich willkommen)