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Schuldige Smartphones — oder doch nicht?

5. September 2018 von Laborjournal

(UPDATE VOM 7.9.2018: Über das Pressereferat des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, wo die unten referierte Studie entstand, erreichte uns eine Mail, in der die Autoren unter anderem „fehlgeleitete Interpretationen und Rück­schlüsse“ in unserem Blog-Artikel kritisieren. Wir haben den Text der Mail daher unmittelbar hinter dem ursprünglichen Blog-Beitrag eingefügt, damit sich die Leser ihr eigenes Bild machen können.)

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Offenbar kann man es nicht oft genug betonen: Wenn das vorausgehende Phänomen A mit Phänomen B korreliert, dann muss A noch lange nicht die Ursache für B sein. Das alte Dilemma zwischen Korrelation und Kausalität.

Wie irreführend es sein kann, wenn man hier nicht sauber trennt, zeigt gerade ein frisches Paper von Dortmunder Arbeitspsychologen mit dem Bandwurm-Titel „Protect Your Sleep When Work is Calling: How Work-Related Smartphone Use During Non-Work Time and Sleep Quality Impact Next-Day Self-Control Processes at Work“ (Int. J. Environ. Res. Public Health 2018, 15(8)).

Was sagt der Titel? Dass Arbeiten mit dem Smartphone nach Feierabend — also E-Mails checken, Kunden anrufen, „schnell“ nach irgendwelchen Infos surfen,… — und die Qualität des Nachtschlafs die Performance am nächsten Arbeitstag mitbestimmen. Letzteres ist eigentlich trivial: Ein jeder weiß wohl selbst, dass ihm die Arbeit schwerer fällt und er mehr Fehler macht sowie schneller erschöpft ist, wenn er sich in der Nacht davor allzu lange schlaflos im Bett gewälzt hat. Und Smartphones die Schuld für irgendwelche negative Performance zu geben, ist sowieso gerade en vogue.

Doch sind die Smartphones wirklich kausal „schuld“? Im Artikel wird jedenfalls suggeriert, dass sich die Smartphone-Arbeit nach Feierabend direkt auf die Leistungsfähigkeit am nächsten Arbeitstag auswirkt — und die Qualität des Nachtschlafs höchstens noch modulierend auf dieses Ursache-Wirkungspaar einwirken kann.

In der Discussion des Artikels klingt das etwa folgendermaßen:

Our findings indicate that work-related smartphone use can affect employees’ self-control processes on the following working day. […] Moreover, we found that the interaction between work-related smartphone use and self-control demands is moderated by sleep quality.

Zusätzlich wird der verursachende Effekt der feierabendlichen Smartphone-Arbeit sowie der lediglich modulierende des Nachtschlafs noch in Figure 1 illustriert:

Sagen wir’s gleich direkt: Wir halten das für falsch! Unserer Meinung nach haben sich die Dortmunder in dem mitunter durchaus verzwickten Geflecht aus Korrelationen, Kausalitäten und Wirkungen verheddert. Denn deren Daten lassen auch einen völlig anderen und zudem sehr plausiblen Schluss zu — und der geht so:

Die Autoren haben zwischen der unabhängigen Variable „Smartphone-Gebrauch“ und der abhängigen Variable „Arbeitsleistung am nächsten Tag“ die „Qualität des Nachtschlafs“ als dritte, modulierende Variable eingeführt. Das Problem mit einer solchen dritten Variable ist aber oftmals, dass sie sich sehr leicht als die Kernvariable entpuppen kann, welche die unabhängige und abhängige Variable überhaupt erst miteinander verbindet. Das scheint hier der Fall. Denn offenbar korrelieren „Smartphone-Gebrauch“ und „Arbeitsleistung“ ausschließlich über die Kernvariable „Nachtschlaf“ miteinander.

Dass dies tatsächlich so ist, dafür liefert die Studie selbst einen starken Hinweis: Wenn die Probanden in der Nacht trotz allem ausreichend und erholsam schliefen, hatte jegliche „Smartphone-Arbeit“ am Feierabend davor keinerlei negative Auswirkungen auf die Arbeitsleistung am nächsten Tag. Guter Nachtschlaf löschte also jegliche „Smartphone-Effekte“. Oder wie die Autoren selber schreiben:

On days when employees experience high sleep quality after having used their smartphones for work intensively, next-day self-control processes at work and associated levels of ego depletion are no longer affected.

Das klingt doch tatsächlich stark danach, dass vielmehr der Nachtschlaf als Kernvariable die Arbeitsleistung am nächsten Tag kausal beeinflusst — was, wie gesagt, eigentlich trivial ist. Der Nachtschlaf wiederum wird seinerseits durch viele Variablen kausal beeinflusst. Das mangelhafte „Abschalten“ wegen spätabendlicher Arbeit am Smartphone gehört sicherlich dazu, darüber hinaus aber — auch das wissen wir — noch eine Menge anderer Dinge: Abendlicher Streit mit dem Ehepartner, schlechte Nachrichten, ein üppiges und zu spätes Abendessen, womöglich manchmal sogar die Niederlage des Lieblingsvereins, und und und…

Auch diese Variablen korrelieren demnach ausschließlich über die Kernvariable „Nachtschlaf“ mit der Arbeitsleistung am nächsten Tag. Könnten die Dortmunder ja mal untersuchen, wenn es nicht sowieso schon jemand anders gemacht hat. Aber klar: Dem Smartphone-Gebrauch die Schuld an schlechterer Arbeitsleistung zu geben, gibt heutzutage schon mehr her.

Ralf Neumann


Update vom 7.9.2018:

Die Antwort der Autoren

Sehr geehrte Reaktion, sehr geehrter Herr Neumann,

leider sind scheinbar einige methodische Missverständnisse bei der Interpretation unserer im IJERPH veröffentlichten Studie „Protect Your Sleep When Work is Calling: How Work-Related Smartphone Use During Non-Work Time and Sleep Quality Impact Next-Day Self-Control Processes at Work” entstanden. Gerne helfen wir dabei, diese Missverständnisse zu beseitigen.

In der Studie wird das Zusammenwirken von beruflicher Smartphone-Nutzung, Schlafqualität und Selbstkontrollanforderungen bei der Arbeit am Folgetag auf Erschöpfung am Folgetag untersucht. Die Variablen werden zu verschiedenen Messzeitpunkten erhoben und die Zusammenhänge anhand von Mehrebenen-Regressionsanalysen geprüft. Auch wenn Mehrebenen-Regressions­ana­lysen nicht die Überprüfung von Kausalität erlauben — das möchten wir an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen —, erlauben sie doch genauere Schlussfolgerungen als reine Korrelationsanalysen.

Selbstverständlich haben wir denkbare vermittelnde Wirkmechanismen von Schlafqualität nicht einfach vergessen. Die Studie konzentriert sich jedoch sehr bewusst auf Moderations- statt auf Mediationseffekte von Schlafqualität. Beide sind theoretisch begründbar und schließen sich nicht gegenseitig aus. Ihre Vermutung, dass Smartphone-Nutzung und „Arbeitsleistung“ (Anmerkung: vermutlich beziehen Sie sich dabei auf die Erschöpfungssymptome? Arbeitsleistung ist kein Bestandteil der Studie) ausschließlich über den Schlaf miteinander korrelieren, lässt sich mit einem Blick in die Korrelationstabelle überprüfen: Laut der Tabelle besteht zwischen beruflicher Smartphone-Nutzung und Schlafqualität sowohl auf der within-person-Ebene als auch auf der between-person-Ebene keine Korrelation (rwithin = -0.02, n.s.; rbetween = -0.01, n.s.). Auch eine Regressionsanalyse ergibt keinen signifikanten direkten Effekt von Smartphone-Nutzung auf Schlafqualität in unserer Studie.

In den Moderationsanalysen werden die Haupteffekte der Prädiktoren auf Erschöpfung am Folgetag (die allerdings nicht Thema der Studie sind) in den Regressionsmodellen kontrolliert, wie Sie der Tabelle 2 entnehmen können. So hat beispielsweise die Schlafqualität einen signifikanten direkten Effekt auf Erschöpfung am Folgetag. Die wechselseitige Wirkung von Smartphone-Nutzung, Schlafqualität und Selbstkontrollanforderungen geht jedoch über die direkten Effekte in der Vorhersage von Erschöpfung hinaus.

Noch einmal zusammengefasst: Das Ziel der Studie war es zu untersuchen, inwieweit berufliche Smartphone-Nutzung dazu beiträgt, dass Arbeitnehmer sich am Folgetag stärker durch Selbstkontrollanforderungen bei der Arbeit belastet fühlen, also sensibler auf diese Belastungsform reagieren und überproportional starke Erschöpfungssymptome aufweisen. Dieser Interaktionseffekt wird durch die Schlafqualität moderiert. Es besteht also eine Dreifach-Interaktion. Denn: Nicht alle Menschen schlafen automatisch schlecht, nachdem sie ihr Smartphone für berufliche Zwecke genutzt haben. Schlafen sie gut, wird der Umgang mit Selbstkontrollanforderungen am Folgetag nicht beeinflusst. Schlafqualität hat also eine Pufferfunktion in der Beziehung zwischen Arbeitsbelastungen und Erschöpfung, die — wie Sie sicher wissen — bereits in anderen psychologischen Studien nachgewiesen wurde (z. B. Diestel, Rivkin, & Schmidt, 2015). Dennoch kann mangelnder Schlaf grundsätzlich auch eine vermittelnde Variable in diesem Zusammenhang spielen. Hier sei noch einmal betont: Moderator- und Mediatorwirkungen von Variablen schließen sich nicht gegenseitig aus (siehe zum Beispiel Sonnentag & Fritz, 2015).

Wir hoffen, dass die der Studie zugrunde liegenden statistischen Berechnungen für Sie nun besser nachvollziehbar sind. Gerne unterstützen wir auch bei weiteren Unklarheiten. Bei tiefergehendem Interesse empfehlen wir beispielsweise die Studien „Mehrebenen-Analysen in der psychologischen Forschung“ (Nezlek, Schröder-Abé, & Schütz, 2006) und „Diary studies in organizational research“ (Ohly, Sonnentag, Niessen, & Zapf, 2010).

Mit Blick auf die fehlgeleiteten Interpretationen und Rückschlüsse in Ihrem Artikel und die verbesserbare Präzision hinsichtlich der integrierten Variablen (Arbeitsleistung ist nicht Be­stand­teil der Studie) bitten wir Sie höflich darum, den Artikel anzupassen.

Mit besten Grüßen aus Dortmund,

Eva Mühle
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund

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