Scientific Excellence only?

8. Februar 2018 von Laborjournal

Erinnert sich noch jemand daran, als vor ziemlich genau elf Jahren der European Research Council (ERC) seine Arbeit aufnahm? Mit großer Euphorie wurde diese Förderinstitution der Europäischen Union damals aufgenommen. Grundlagenforschung in ihrer reinsten Form sollte sie quer durch Europa fördern. Und das alleinige und alles entscheidende Kriterium für positive Förderbescheide: Scientific Excellence!

Scientific excellence only — „Ausschließlich wissenschaftliche Exzellenz“ —, so lautete denn auch die Überschrift eines Interviews mit dem frisch gebackenen ERC-Generalsekretär Ernst-Ludwig Winnacker, das damals in FTEinfo, dem Forschungsmagazin der Europäischen Kommission, erschien. Und auch im Interview selbst ließ Winnacker keinen Zweifel daran, welches das einzige Hauptkriterium sei, auf das Europas jüngste und sehnsüchtig erwartete Forschungsinstitution ihre Förderentscheidungen stützen werdeEin paar Zitate daraus:

Wissenschaftliche Exzellenz  das ist das Kriterium.

Das ist typisch für die gesamte Organisation  die einzige Grundlage ist wissenschaftliche Exzellenz.

Und wenn das gesamte Geld nach England geht, dann ist das in Ordnung. Keiner wird sich beschweren, solange die Bedingung der wissenschaftlichen Exzellenz erfüllt ist.

Das ist doch, was wir alle die ganze Zeit über wollten: Exzellenz durch Wettbewerb.

Gut, die Botschaft war weithin angekommen — und natürlich weithin für gut befunden. Und die folgenden Jahre sollten zeigen, dass der ERC nach den starken Worten sein selbst auferlegtes Schlüsselkriterium „Scientific Excellence only“ auch wirklich in die Tat umsetzte. Wobei…

… Tatsächlich erhielten wir eine E-Mail, die uns zu diesem Thema doch ein wenig die Augenbrauen hochziehen ließ. Eine junge deutsche Biochemikerin beschrieb darin ihre Frustration über die eigenen Erfahrungen mit den Förderrichtlinien des sogenannten Starting Grants, den der ERC explizit für „talented early-career scientists“ eingerichtet hat. Und wir müssen zugeben: Zu einem gewissen Grad hat sie recht mit ihrer Klage.   

Die junge Dame ist 30 Jahre alt und arbeitet an einem deutschen Forschungsinstitut. Ihre Forschungsarbeit war so erfolgreich, dass sie bereits ihre Habilitation abschließen konnte — was ihr damit tatsächlich sehr früh gelangSie hat bereits elf Originalarbeiten und zwei Reviews für angesehene Journals verfasst, weitere fünf Manuskripte sind in der Begutachtung. Außerdem hatte sie bereits zwei sehr kompetitive Stipendien erhalten und erfolgreich eigene Fördermittel eingeworben. Also dachte sie, dass es wohl nicht ganz vermessen sei, sich für einen ERC Starting Grant zu bewerben. Wer weiß, vielleicht würden ihre bisherigen Leistungen und vor allem ihr eingereichter Forschungsplan ja tatsächlich als „exzellent“ beurteilt werden…

Doch so weit kam es nicht mal annähernd! Sie scheiterte schon, bevor sie überhaupt eine First-Stage Application schreiben konnteDer simple Grund dafür war, dass ihre wissenschaftliche Karriere offensichtlich zu schnell vorangeschritten war. Denn als sie die Richtlinien des Programms durchlas, musste sie überrascht feststellen, dass wissenschaftliche Exzellenz offenbar doch nicht das einzige Kriterium für die Bewilligung eines Starting Grants war. Vielmehr mussten Bewerber zudem ihren Doktorgrad zwischen zwei und sieben Jahren vor der Deadline für die Anträge erworben haben. Es mag angesichts der inzwischen ebenfalls abgeschlossenen Habilitation seltsam erscheinen, aber unsere junge Biochemikerin wurde tatsächlich erst eindreiviertel Jahre vor der Antrags-Deadline promoviert.

Also schrieb sie einen Brief an den ERC, wie auch an das deutsche WissenschaftsministeriumDer entscheidende Satz in der Antwort lautete: „Die Förderrichtlinie des ERC zielt explizit auf Kandidaten, die etablierter sindEs wird angenommen, dass dies in den ersten zwei Jahren nach der Promotion nicht mehrheitlich der Fall ist.“

Gut, das Wörtchen „mehrheitlich“ vermeidet hier die Blamage. Denn mit dem Kriterium „Zwei Jahre nach der Promotion“ hätte auch Georges Köhler für das Projekt, das am Ende zur Entwicklung der monoklonalen Antikörper und letztlich zum Nobelpreis führte, keinen ERC Starting Grant bekommen können. Bekanntlich begann er es unmittelbar nach seiner Promotion. Und Francis Crick hatte seine Doktorarbeit noch nicht einmal geschrieben, als er mit James Watson die DNA-Struktur entschlüsselte.

Geht es nicht auch in jüngerer Zeit einigen Forschern genauso wie Crick? Verschieben nicht immer wieder insbesondere diejenigen das Zusammenschreiben der Doktorarbeit auf „irgendwann später“, die gerade mit ihren Resultaten in hochkompetitiven Feldern extrem erfolgreich sind — weil sie lieber erstmal ihren experimentellen „Lauf“ weiter fortsetzen wollen?

Dem Autor dieser Zeilen sind einige solche „Doktorarbeits-Verschieber“ aus der jüngeren Vergangenheit bekannt. Sicher kann man in solchen Fällen sagen: Sind sie doch selber schuld! Aber sind nicht gerade die oftmals die exzellentesten?

Ihre E-Mail schloss unsere Jungforscherin jedenfalls mit den Sätzen:

Es wäre einfacher gewesen, eine Ablehnung meines Antrags zu akzeptieren, als auf diese Weise überhaupt keine Chance zu haben.

Und was bleibt aus ihrem Beispiel als Schlussfolgerung für diejenigen, die versuchen möchten, ihre erste unabhängige Forschungsgruppe über einen Starting Grant des ERC aufzubauen? Ja, du musst auf jeden Fall exzellent sein — aber auch nicht zu schnell!

Ralf Neumann

(Illustr.: Fotolia / freshidea)

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