Vom Goldkind zum Gelackmeierten (2)

23. Mai 2017 von Laborjournal

Dass Doktoranden und Masterstudenten während ihrer Laborarbeit in ihren Arbeitsgruppen nicht immer fair behandelt werden, ist ein offenes Geheimnis. Entsprechend porträtierten wir in unserer aktuellen Heftausgabe 5/2017 unter dem Titel „Vom Goldkind zum Gelackmeierten“ die vier exemplarischen Fälle von Carsten, Juliane, Katrin und Florian [Namen geändert]. Die Moral aus den vier „Geschichten“ fasste unsere Autorin Juliet Merz in dem Artikel folgendermaßen zusammen:

Publikationen als Lockmittel und lapidare Verteilung von Autorenschaften: Was Carsten, Juliane, Katrin und Florian erlebt haben, ist nicht die Regel – aber auch keine Seltenheit. Carstens Idee wurde geklaut, Julianes Mitarbeit vertuscht und von Florian dreist abgeschrieben. Dahingegen musste sich Katrin die Lorbeeren mit einer anderen Doktorandin teilen, obwohl eigentlich nur sie die Arbeit erledigt hat. Wenn es um Autorschaften auf Papern in deutschen Laboren geht, wird die Gemeinschaftlichkeit gerne mal ad acta gelegt. Der Druck ist groß: Jeder möchte so viel publizieren wie möglich, um die wissenschaftliche Karriereleiter weiter nach oben zu klettern oder schlicht am Ball zu bleiben.

Wahrlich schreiben nicht alle Labore solche Geschichten. Im Zuge unserer Recherche stießen wir vielmehr immer wieder auf die Aussage: „Zu Autorenstreitigkeiten kann ich Ihnen nichts erzählen, da lief bei mir immer alles gut.“ Gut, dass es folglich doch noch viele ehrliche und rücksichtsvolle Arbeitsgruppen mit gerechten und aufmerksamen Professoren gibt. Dummerweise stehen heutzutage jedoch gerade Doktoranden, Postdocs und auch jüngere Professoren unter höllischem Zugzwang, viel und gut zu publizieren. Dass jeder auf Biegen und Brechen versucht, hierbei nicht auf der Strecke zu bleiben, ist geradezu nachvollziehbar. Eine Kultur des „Jeder ist sich selbst der Nächste“ kann dabei offenbar nicht immer vermieden werden.   

Umgehend bekamen wir zwei Rückmeldungen zu dem Artikel, in denen die Verfasserinnen uns ihre eigene, zum Thema passende Geschichte mitteilten. Hier die erste davon:

Liebe Laborjournal-Redaktion,

ich hätte da auch noch eine ziemlich skurrile Geschichte. Sie handelt von einem Professor, der einmal den ERASMUS-Kurs einer Master-Studentin (mir selbst) anerkennen sollte. Vor Beginn des ERASMUS-Semesters sandte ich ihm die Kursunterlagen zu, er antwortete aber nicht.

Na ja. Als es nach dem Auslandssemester um die Anerkennung ging, monierte er: „Da war ja gar kein Praxis-Teil dabei! Hier, meine Doktorandin braucht gerade eine Praktikantin für ein paar Experimente…“

Hm, okay. Zwei Monate später (und damit halb in ein so nicht geplantes Extra-Semester hinein) war das Labor-Praktikum rum, ich hielt eine Präsentation für die Arbeitsgruppe — und bestand schließlich auch die Abschlussprüfung beim Prof. Die Zeit bis zur Masterarbeit überbrückte ich danach mit einem anderen, diesmal bezahlten HiWi-Job.

Wieder einige Monate später kam mir zu Ohren, dass die Doktorandin ein Paper mit den Daten meiner Experimente bei Nature eingereicht hatte. Und dass sie mich zwar ohne Nachfrage als Ko-Autorin mit aufgeführt hatte, der Prof mich jedoch
ebenfalls ohne Nachfrage wieder runtergestrichen hatte. Mit einer Begründung à la „Nur ein bisschen bei den letzten Experimenten mithelfen — das reicht nicht“.

Das Paper wurde am Ende tatsächlich angenommen, und so steht mein Name nun abgekürzt in der Danksagung einer Nature-Publikation, über die mir nichts mitgeteilt wurde und für die mir keine Gelegenheit zur Autorenschaft-rechtfertigenden Mitarbeit gegeben wurde — beispielsweise Ergebnisse meiner Experimente selbst auswerten, Grafiken erstellen, Methodenteil schreiben, etc…

Wie in den abgedruckten Geschichten auch, scheinen mir die „Wurschtigkeit“ des Profs sowie generell unterlassene Kommunikation die Hauptprobleme gewesen zu sein. Ob er schon mit meiner Laborarbeit spekuliert hat, als ich ihm den in der Tat sehr Theorie-lastigen Kurs vor dem ERASMUS-Semester präsentiert hatte, weiß ich natürlich nicht. Aber ich bin der Meinung, dass er eine Gelegenheit nach der nächsten ausgenutzt hat, um aus dem von ihm betreuten Projekt für sich selbst möglichst viel herauszuschlagen, ohne auch mir was zu bieten.

Die zweite Rückmeldung flatterte ungleich heftiger herein:

Liebe Laborjournal-Redaktion,

verzeihen Sie mir den zynischen Einstieg, aber: In welchem wissenschaftlichen Garten Eden sind Sie denn groß geworden?

„Was Carsten, Juliane, Katrin und Florian erlebt haben, ist nicht die Regel — aber auch keine Seltenheit.“ — Selten habe ich so einen ausufernden Euphemismus gelesen!

Das Interesse der Redaktion musste erst geweckt werden und es musste tatsächlich recherchiert werden, um überhaupt davon zu erfahren, dass es im (nur deutschen?) Wissenschaftsbetrieb so läuft? Ich bin inzwischen selbst seit einigen Jahren Postdoc und habe nie etwas anderes erlebt. Nicht persönlich und nicht von Freunden und Bekannten aus anderen Laboren.

Ich wurde einst auch mit der angeblich „gleich — bald — quasi schon fertigen Publikation“ gelockt, jung und dumm waren wir wohl alle mal. Auch meine harte Arbeit von immerhin sechseinhalb Jahren (Diplom- plus Doktorarbeit plus ein verzweifelt drangehängtes Jahr als Postdoc) schmort noch heute fertig geschrieben in einer Schublade meines „Doktorvaters“ (letzteres kann ich dank mangelnder Unterstützung und mangelnder Ahnung seinerseits nur sehr widerwillig tippen). Er selbst brauchte dieses Paper nicht dringend, und da ich nicht zu seinen Goldkindern zählte, gönnte er mir die Lorbeeren meiner Arbeit auch nicht.

Was er sich selbst und seinen anderen goldenen Kindern allerdings gönnte, waren sämtliche Protokolle, die ich etabliert hatte — und sogar gereinigte Proteine, die ohne mein Wissen aus meinem Freezer genommen wurden. Auch ich habe nur zufällig im Seminar davon erfahren, dass ein Mitarbeiter diese verwendet hatte, ohne mich zu fragen.

Als ich bei meinem Chef stand und einforderte, auf dem geplanten Paper genannt zu werden, wurde ich nur ausgelacht und mit den Worten hinausgeschickt: „Methoden und Proteine sind Laborinventar, da steht niemandem eine Autorenschaft zu!“

Eine andere Doktorandin hingegen erfreute sich am diametral entgegengesetzten Schicksal: Selbst hat sie fast nie die Pipetten geschwungen (O-Ton: „Wet lab ist nicht so meine Welt“), wollte aber natürlich Karriere machen. Wie gut, dass der Chef da noch alte Daten im Schrank hatte (von wo auch immer), die dann in ihrem Namen publiziert wurden.

Zugegeben, das ist nichts anderes, als im Artikel der aktuellen Ausgabe beschrieben wurde, aber ernsthaft überrascht kann doch davon niemand sein?! Und so traurig es ist: Diese Liste an Anekdoten könnte ich so lange weiter führen, bis eine ganze Laborjournal-Ausgabe voll damit wäre.

Ein anderer Aspekt, der nur mit einem kleinen Satz in dem Artikel anklingt („Um in der Wissenschaft zu bestehen, braucht man Kontakte und Hilfe vom Doktorvater“,[…]), wurde in meinem Fall stark vernachlässigt — aber das würde wohl einen eigenen Artikel verdienen.

Ich habe den Fehler gemacht, mich selbstständig um meine Doktorarbeit zu kümmern, als ich merkte, dass mein Chef kein Interesse an dem Projekt mehr hatte. Ich habe mir im Institut Input von Dritten geholt, jedoch meinen Chef immer informiert. Dass ich dazu noch, wie oben beschrieben, mein Recht einforderte und generell ein selbstdenkender Mensch bin, hat folglich nicht dazu beigetragen, dass ich zu den „Goldkindern“ gehörte. Ich war immer das Arbeitstier, zu dem der Chef kam, wenn er etwas ordentlich und gewissenhaft erledigt haben wollte. Ansonsten war ich unten durch.

Die erwähnte Publikation verstaubt weiterhin, und Kontakte in der Branche wurden mir auch nie zuteil. Es ging sogar so weit, dass ein Kollege eine prestigeträchtige Postdoc-Position vermittelt bekam, um damit eine logische Weiterführung meiner Doktorarbeit anzugehen — auch wenn es sich von seinem bisherigen Projekt thematisch wie methodisch meilenweit unterschied.

Dazu steht dann (für mich) passend in der gleichen Ausgabe der Bericht über den „Fall Tina Wenz“ – die trotz offensichtlichen sowie inzwischen nachgewiesenen und eingestandenen Betrügereien („Fehlverhalten“ klingt hier viel zu nett!) einen hochdotierten Job in der Industrie abgesahnt hat. Entschuldigung für den unsachlichen Ausbruch: Aber da kommt mir nur noch das Kotzen!

Die tolle Industrie, die auch mir persönlich ständig sagt „Sie können doch nichts! Warum haben Sie denn erst als Postdoc publiziert und nicht in der Doktorarbeit? Was sollen wir denn mit jemandem, der zwar promoviert ist und jetzt auch publiziert, aber noch keinen Tag in der echten Welt gearbeitet hat?“

Ach so, ja, stimmt natürlich — Betrug steht noch nicht in meinem CV. Vielleicht wäre ja das der noch fehlende Karriere-Booster….

Ein zusätzliches Fazit wäre also: Harte Arbeit und Ehrlichkeit führen im (deutschen) Wissenschaftsbetrieb nicht zum Erfolg — sondern vielmehr dazu, dass man nach jahrelanger harter Arbeit auf sich allein gestellt ist und eigentlich schon zu Promotionszeiten Karriereselbstmord begeht. Am Ende gewinnen dann logischerweise immer die, die am lautesten schreien und sich am effektivsten bei den ach so tollen Professoren einschleimen.

Und wenn das tatsächlich noch ernsthaft einen in der Redaktion wundert: Geht raus in die echte Forscherwelt und berichtet davon, wie es wirklich ist in der deutschen Wissenschaft. Geht zu den Doktoranden und den Postdocs — nicht den „Goldkindern“, sondern zu den „Gelackmeierten“, die sind nämlich in der Überzahl. Berichtet nicht nur von den tollen Ergebnissen der so harmonischen Forscherteams. Schaut auch mal unter die polierte Oberfläche — dort regiert meist nur noch Hauen und Stechen.

Und wenn euch so harte Aussagen immer noch überraschen, dann muss ich mit dem gleichen Zynismus schließen, mit dem ich begonnen habe: Seid Ihr naiv – ist ja richtig süß! 😉

Okay. Und auch wenn wir selbst hier einiges Fett abbekommen haben: Wir nehmen gerne noch weitere Beispiele von „Gelackmeierten“ entgegen. Wirklich selten scheinen sie ja nicht zu sein. Entweder gleich hier unten im Kommentarfenster — oder via Mail an redaktion@laborjournal.de.

 

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Ein Gedanke zu „Vom Goldkind zum Gelackmeierten (2)“

  1. MgCl sagt:

    Mir ist es zweimal unabhängig voneinander passiert (einmal während der Diplomarbeit, einmal während der Doktorarbeit), dass meine Vorgesetzten bzw. Institutsleiter meine Daten frisiert und manipuliert haben, damit sie „sexier“ aussehen und hochrangiger veröffentlicht werden können.

    Auf meinen Einwand, dass das nicht okay sei, wurde ich gefragt, ob ich einen Abschluss haben will oder nicht. Beschwerden bei höheren Stellen wurden nicht bearbeitet („Da sind wir nicht zuständig“).

    Von daher: Kein Einzelfall!

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