Paper zurückgezogen — und wen soll ich jetzt zitieren?

11. Dezember 2015 von Laborjournal

Schon seit einiger Zeit muss der Zürcher Pflanzenforscher Olivier Voinnet ein Paper nach dem anderen wegen inkorrekter Abbildungen zurückziehen oder zumindest großflächig korrigieren. Zwischenstand sind momentan zwölf „Corrections“ und sieben „Retractions“.

Dennoch sticht die letzte Retraction heraus. Mitte November zog The Plant Journal den Artikel „An enhanced transient expression system in plants based on suppression of gene silencing by the p19 protein of tomato bushy stunt virus“ in Übereinkunft mit den Autoren Olivier Voinnet, Susana Rivas, Pere Mestre und David Baulcombe vollends zurück, nachdem sie ihn bereits im Juni erstmals korrigiert hatten. Das jedoch ist nicht wirklich der Punkt. Viel erstaunlicher ist die Tatsache, dass der Artikel bis dahin bereits über 900-mal zitiert worden war.

Was heißt das?

Der Artikel beschreibt erstmals eine neue und einfache Methode zur effektiven Steigerung der transienten Expression von eingebrachten Fremdgenen in Pflanzen. Basis dafür ist die Ko-Transfektion mit dem Gen für das Virusprotein P19, welches allgemein das posttranslationale Gene Silencing in Pflanzenzellen hemmt. Das P19-System steigert also die Expression des Fremdgens, indem es die natürliche Expressionsbremse der Pflanzenzelle blockiert.

Über 900 Zitierungen, wie gesagt. Die muss es doch großteils dafür gegeben haben, dass trotz der unzulässig manipulierten Abbildungen die Methode funktioniert. Und tatsächlich twitterte Sophien Kamoun, Laborleiter am Sainsbury Lab in Norwich/UK:

Das scheint also tatsächlich nicht die Frage. Allerdings ergibt sich daraus ein ganz anderes Problem, das Dmitri Nusinow vom Donald Danforth Plant Science Center in Creve Coer, Missouri/USA, via Twitter folgendermaßen ausdrückt:

 

Berechtigte Frage — denn schließlich gilt ein zurückgezogenes Paper per definitionem als augenblicklich aus dem Scientific Record gelöscht. Wen sollen die zahlreichen P19-Anwender also künftig zitieren? Die Erstbeschreibung der Methode gilt — aus guten Gründen! — als gelöscht. Woanders steht sie offensichtlich nicht in ausreichendem Detail beschrieben, da alle nachfolgenden Anwender — zu Recht — auf die Erstbeschreibung verwiesen.

Soll man sich jetzt also darauf einigen, stattdessen einen der ersten Anwender zu zitieren? Wohl kaum — denn zum einen stünde die Methode dort auch nicht vollständig drin, und zum anderen bekäme der betreffende Artikel auf diese Art sicher viel mehr Zitierungen als er tatsächlich verdient. Oder erklärt man die Methode einfach zum allgemeinen Wissen, das man nicht mehr zu zitieren braucht — und muss wegen der Details trotzdem weiter in das zurückgezogene Paper schielen, weil sie ja nirgendwo sonst aufgeschrieben stehen.

Eigentlich müsste jemand die Methode nochmals „neu“ mit allen Details veröffentlichen — vielleicht ja sogar noch mit einigen neuen. Das wäre dann zwar ordnungsgemäß zitierbar, aber wie oben schon gesagt: Ordnungsgemäß verdiente Zitierungen wären das nicht.

Hmm — hat vielleicht jemand einen anderen Vorschlag?

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