Vorteil Videospieler

12. Dezember 2014 von Laborjournal

Es war wie eigentlich immer. Der LJ-Redakteur ging abends hinauf in das Zimmer seines Sohnes, um mit ihm nochmal die Grammatik für die anstehende Englisch-Arbeit durchzugehen. „Moment noch“, sagte dieser ohne vom Monitor wegzuschauen. „Muss das Spiel noch fertig machen, meine Verbündeten killen mich sonst.“

„Das Spiel“ war eines dieser wild flimmernden Fantasy-Schlachten-Getümmel, mit „den Verbündeten“ war er über Headset online vernetzt. Der LJ-Redakteur setzte sich also seufzend auf’s Sofa — und dachte natürlich zum x-ten Mal, dass er die „Flimmer-Spielzeit“ seines Sohnes womöglich doch mal einschränken sollte. Auch wenn dessen Spiel keineswegs brutal, aggressiv oder irgendwie moralisch bedenklich war — in dem Ausmaß kann diese Art von Spielerei doch nicht gesund sein.

Am nächsten Tag lernte der LJ-Redakteur jedoch, dass man das nicht so pauschal sagen sollte. Denn beim Screenen der neusten Neuigkeiten aus der deutschen Life-Science-Forschung sprang ihn folgende Meldung des Tübinger Hertie-Instituts für Hirnforschung förmlich an: „Mehr als schnelle Reflexe: Videospieler punkten mit Effizienz und Selbstkontrolle“.

Interessant, dachte der LJ-Redakteur. Lange hatten doch vor allem psychologisch-pädagogische Studien das Thema dominiert — und nahezu durchweg vermeintlich bedenkliche Resultate für die soziale und emotionale Persönlichkeitsentwicklung heranwachsender „Gamer“ verkündet. (Allerdings scheint sich auch hier der Wind zuletzt ein wenig gedreht zu haben, wie der LJ-Redakteur nach kurzer Recherche bemerkte — siehe etwa hier oder hier).

Also begann er die Tübinger Meldung zu lesen (das Original-Paper erschien übrigens in Vision Research 102: 26-32). Und stieß im ersten Absatz sofort auf Positives:

„Viele Actionspiele für Computer oder Konsole stellen hohe Anforderungen an Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsbereitschaft, die auf Dauer bestimmte Fähigkeiten des Gehirns trainieren“, sagt der Erstautor der Studie, David Mack vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Universität Tübingen. Frühere Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich das Arbeitsgedächtnis, die Wahrnehmung von Kontrasten und die Verarbeitung sensorischer Informationen durch regelmäßiges Videospielen verbessern können.

Dann beschrieben die Autoren im Folgenden ihren Versuchsaufbau, um die Auswirkungen von Computer-Videospielen auf das Zusammenspiel von Gehirn und Augenbewegungen — insbesondere der ruckartigen sogenannten Sakkaden — zu untersuchen. Am Ende schlossen sie dann:

Die Auswertung der Ergebnisse zeigte, dass Spieler in beiden Tests schneller reagierten als die Kontrollgruppe mit weniger oder keiner Spielerfahrung an Rechner oder Konsole. David Mack: „Die Videospieler benötigten weniger Zeit bis zum Beginn der Sakkaden und auch die Geschwindigkeit ihrer Augenbewegungen war eindeutig höher, als bei den weniger erfahrenen Spielern. Auch mit dem anspruchsvolleren Test der Anti-Sakkaden kamen sie besser zurecht.“

Videospieler besäßen ein besseres visuell-motorisches System, schließt Mack aus den Ergebnissen. „Sie sind zumindest in unserer Versuchsanordnung aufmerksamer, wacher und deshalb reaktionsschneller“, meint der Experte, dessen Experimente mit einem Vorurteil aufräumen. „Viele Menschen denken, dass Videospiele Kinder hektisch und zappelig machen und eine verminderte Impulskontrolle eher zu fehlerhaften Handlungen verleitet“, so der Neurowissenschaftler weiter. „Unsere Ergebnisse zeigen das Gegenteil. Obwohl Videospieler deutlich schneller reagierten, machten sie nicht mehr Fehler als Nicht-Spieler“, sagt Mack. Der Konsum von Videospielen scheint mit einer Effizienzsteigerung des visuell-motorischen Systems einherzugehen, ohne dabei negativ auf die Selbstkontrolle einzuwirken.

„Wow“, dachte der LJ-Redakteur. „Na, hoffentlich trifft das auch auf meinen Sohnemann zu.“ Das mit dem Englisch-Lernen hatte am Vortag jedenfalls zumindest in punkto Selbstkontrolle, Aufmerksamkeit und Auffassungsgabe gut geklappt.

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