Ich nehm‘ das Gen, Du das Produkt

26. August 2014 von Laborjournal

Manchmal kann man nur staunen, welche Wege Gene im Laufe der Evolution gehen.

Gut geeignet dazu ist etwa das Szenario, das japanische Forscher unlängst in der unscheinbaren Erbsenlaus Acyrthosiphon pisum vorfanden.

Bereits zuvor war bekannt, dass die Läuse in speziellen Zellen, sogenannten Bakteriozyten, Bakterien der Art Buchnera aphidicola beherbergen. Dort verstoffwechseln diese, quasi als „Verdauungshelfer“, so einige Nahrungsbestandteile für ihren Wirt.

Diese Endosymbiose funktioniert schon seit 100 Millionen Jahren — und das offenbar so gut, dass die Bakterien außerhalb ihres Wirtes gar nicht mehr leben können. Was nicht verwundert, denn wie es bei parasitischen und endosymbiotischen Lebensweisen die Regel ist, hat auch Buchnera sein Genom inzwischen von einer ganzen Reihe ungebrauchter Gene bereinigt.

Die Japaner selbst hatten bereits in einer früheren Studie gezeigt, dass die Erbsenlaus-Vorfahren mindestens zwölf Gene bakteriellen Ursprungs durch horizontalen Gentransfer in ihr Genom integrierten. Sieben davon exprimieren sie spezifisch in ihren Bakteriozyten — was darauf hindeutet, dass sie für ihre Buchnera-„Dauergäste“ essentiell sind.

Im Buchnera-Genom selbst fehlen jedwede Analoga zu diesen sieben Genen. Womit sich spontan natürlich das Szenario aufdrängt, dass diese Gene einst aus dem Genom der Buchnera-Vorfahren in dasjenige ihrer Wirtsvorfahren eingewandert sind — und seitdem von dort aus ihren Dienst tun.

Eines dieser Gene, RipA4, haben sich die Japaner daraufhin genauer angeschaut — und siehe da: Es entstammt ziemlich sicher nicht der Buchnera-Linie. Vielmehr deutet die Sequenz-Signatur auf einen völlig unabhängigen bakteriellen Ursprung. Der Witz jedoch ist, dass das RipA4-Genprodukt sich wiederum ausschließlich in den Buchnera-Zellen wiederfindet.

Das Szenario, das sich davon ableitet, ist also das folgende: Irgendwann holten sich die Erbsenlaus-Vorfahren das RipA4-Gen per lateralem Gentransfer aus einem Bakterium und integrierten es in ihr eigenes Genom. Parallel dazu, oder auch später, etablierten und optimierten sie die innige Beziehung zu den Buchnera-Vorfahren in ihren Bakteriozyten. Im Zuge dieser „Optimierung“ schmiss Buchnera ein Gen nach dem anderen aus dem Genom — und die Erbsenlaus merkte ihrerseits, dass das gerade erworbene RipA4-Gen am meisten bringt, wenn sie es in den Bakteriozyten exprimiert und das RipA4-Protein den Buchnera-Partnern überlässt. Wobei noch nicht klar ist, welche Verwendung genau Buchnera für RipA4 hat.

Also nochmal kurz: Die Erbsenlaus holt sich ein Gen aus einem Bakterium ins eigene Genom und exprimiert es spezifisch, um das Produkt wiederum einem ganz anderen endosymbiontischen Bakterium zur Nutzung zu überlassen.

Und solch eine doppelte Gen-Umwidmung scheint keineswegs ein abgedrehter Einzelfall. Auch bei der Etablierung der Plastiden aus ihren cyanobakteriellen Vorläufern scheinen Gene entscheidend mitgespielt zu haben, die bereits zuvor aus ganz anderen bakteriellen Linien horizontal ins Wirtsgenom aufgenommen worden waren.

Nur ein Beispiel, warum man, was die Wege der Gene im Laufe der Evolution angeht, immer wieder an das Toyota-Prinzip erinnert wird: Nichts ist unmöglich.

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