Hirne arbeiten sich schwer

21. Januar 2014 von Laborjournal

Wenn das Hirn ordentlich zu arbeiten hat, schießt einem das Blut hinein — und zwar bevorzugt direkt in die Areale, die für die aktuelle Aufgabe besonders zu schuften haben.

Dies ist — salopp gesagt — das Konzept hinter den nicht-invasiven Techniken des Neuroimaging. Und dieses hat sich seitdem mannigfach bewährt: Jede Menge Hirnforscher machen heutzutage mit Positronenemissionstomographie (PET) und funktionellem Magnetresonanz-Imaging (fMRI) genau diejenigen Hirnstrukturen sichtbar, die auf bestimmte Herausforderungen besonders aktiv werden. Denn dort brauchen die ackernden Neuronen dann besonders viel und schnellen Nachschub an Sauerstoff — und genau das bilden PET und fMRI ab.

Gegenüber dem Ruhezustand steigt der zerebrale Blutfluss während kognitiver Aktivität um 20 bis 30 Prozent, hielten Forscher aus Leipzig und Münster vor knapp zehn Jahren fest (Neuroimage 27: 919–26). Was aber weiterhin unklar blieb: Wird das Gehirn durch den Bluteinschuss auch schwerer?

Vor zwei Jahren gruben Stefano Sandrone und seine italienischen Kollegen dann in Turin alte Unterlagen aus — und mussten feststellen: Ihr Landsmann Angelo Mosso hatte bereits vor mehr als 120 Jahren versucht, diese Frage zu klären. Dessen methodischer Ansatz jedoch wirkt im Rückblick so simpel wie skurril. Er schnallte seine Versuchspersonen auf diese Wippenwaage (Originalzeichnung Mosso):

…, pendelte sie im Ruhezustand gleichgewichtig aus — und beobachtete, wohin sich die Waage neigte, wenn die Probanden bestimmte Aufgaben lösten. Nach Mossos eigenen Angaben sah er mit diesem Aufbau tatsächlich, wie der Kopf bisweilen schwerer wurde und die Waage sich mit der Kopfseite nach unten neigte. Sandrone et al. beschreiben es folgendermaßen:

In subsequent experiments (reported by Mosso’s daughter in 1935), Mosso continued to investigate the effect of cognitive tasks on blood flow alterations with ‘escalating’ experimental paradigms that ranged from a ‘resting’ state to an ‘active’ cognitive state (Mosso, 1935). After the resting period, Mosso sequentially exposed the subjects to a wide range of stimuli of increasing cognitive complexity, such as a page from a newspaper, from a novel, from a manual of mathematics or philosophy, or a page written in abstruse language (Mosso, 1935). He reported that the increasing complexity of the stimulus modulated cerebral blood activity: the balance tilted faster towards the head side when the subject was reading a page written in abstruse language or belonging to a manual than it did when the subject was reading a newspaper or a novel (Mosso, 1935). Mosso stated that the increase in cerebral blood flow was thus proportional to the complexity of the cognitive task (Mosso, 1935), and he further measured the cerebral response to emotional stimuli, both in isolation and in interaction with cognition. In two other experiments, when Mosso’s brother read a letter written by his spouse and when the student read a letter from an upset creditor, ‘the balance fell all at once’ (Mosso, 1935). To his surprise, Mosso noticed that subjects did not react equally to the same stimulus, and that this variability might have been due to differences in ‘age … and education’ (Mosso, 1935).

Leider hat Mosso ausgerechnet diese Ergebnisse nicht selbst im Detail aufgezeichnet. Wir kennen sie lediglich aus den oben erwähnten Erinnerungen seiner Tochter Mimi.

Allerdings haben die Neuroforscher David Field und Laura Inman aus Reading/UK jetzt eine Art Mosso’sche Wippenwaage nachgebaut, moderne Messinstrumente drangehängt und dessen Experimente damit prinzipiell wiederholt. Und tatsächlich: Hörten deren 14 Probanden Musik, schauten ein Video oder taten sie beides — so maßen die Waagensensoren in der Tat eine Gewichtszunahme am Kopfende (Brain; publ. online January 9, 2014

„Ein bisschen war es eine verrückte Idee“, gab Field gegenüber ScienceNews zu. Aber letztlich bestätigten die neuen Resultate Mosso zumindest hinsichtlich seines experimentellen Konzepts. Weswegen Sandrone ihn jetzt auch als Pionier der nicht-invasiven, funktionellen Hirnforschung feiert.

Na ja, wie auch immer…. Aber eine schöne Geschichte allemal!

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2 Gedanken zu „Hirne arbeiten sich schwer“

  1. Hmm, diese Daten scheinen Marcus Raichle’s Daten zu widersprechen, der spricht von einer Erhöhung des Energieverbrauchs von um die 1%

    http://www.sciencemag.org/content/314/5803/1249.full

    „The additional energy burden associated with momentary demands of the environment may be as little as 0.5 to 1.0% of the total energy budget“
    M. E. Raichle,M. Mintun, Annu. Rev. Neurosci. 29, 449 (2006).

    Oder brauchen wir eine Erhöhung im Blutfluss von 20-30% um lediglich 1% mehr Energie ins Gehirn zu transportieren? Ist der Transport so ineffizient?

  2. Christian sagt:

    Das ist aber schon erstaunlich, dass Mosso vor über 120 Jahren ein solches Wiegesystem entwickelt hat. Beeindruckend wozu brillante Köpfe damals fähig waren, obwohl sie unsere Technik nicht hatten. Da fragt man sich, zu welchen Resultaten diese Menschen gekommen wären, wenn sie ein oder zwei Jahrhunderte später geboren wären.
    Gruß Christian

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