„Falsch“ ist normal

1. Oktober 2013 von Laborjournal

Wenn man Forscher fragt, was zu den schlimmsten Dingen gehört, die ihnen widerfahren können, gehört eines sicherlich zum engeren Kreis: Etwas publizieren, was sich später als falsch herausstellt.

Warum das? Wohl vor allem, weil Fehler und Falsches einen heutzutage ganz schnell von der Karriereleiter stoßen können. Denn was sind die Konsequenzen? Umorientierung und -organisation von Projekten, durchbrochener Paperfluss, Probleme mit Folgeanträgen, schlechtere Karten bei Berufungsverfahren,…

Solch geringe „Fehlertoleranz“ ist jedoch nicht wirklich fair. Denn seit jeher ist es in der hypothesenbasierte Forschung das Normalste von der Welt, dass sich die meisten Hypothesen in der ursprünglichen Form mit mehr und mehr Daten über die Zeit als „falsch“ herausstellen. Die Oxforder Biophysikerin Sylvia McLain schrieb etwa jüngst dazu im Guardian-Blog Occam’s Corner:

That most scientific studies are ultimately wrong is normal for science. There are more theories in the graveyard of science than theories that stand the test of time. Why? Because new data is always emerging and theories have to be adjusted. Theories are only as good as theories are, until new data comes along and ruins them. Theories give a best guess at what is going on based on things we observe (data), but they are not immutable. If you only have a few data points, then your working theory is more likely to turn out to be wrong. This is not news to science, this is science.

Und warnt einige Sätze später gar:

In science if you can’t adjust your theories to new data, the body of science will just, eventually, leave you behind.

Und tatsächlich ist die wissenschaftliche Literatur voll von solchen „falschen“ Hypothesen, Modellen, Theorien und Schlussfolgerungen. Eines der berühmtesten Beispiele bietet etwa der Weg zu DNA-Doppelhelix. Linus Pauling veröffentlichte 1952 ein grottenfalsches Triplehelix-Modell, und auch Watson & Crick selbst befanden sich mehr als einmal auf der falschen Fährte. Nur konnten sie seinerzeit mehrfach gerade noch zurückgehalten werden, ebenso falsche Modelle zu veröffentlichen, von denen sie bis dahin komplett überzeugt waren. (Siehe etwa hier.)

Dennoch wird man kaum behaupten können, dass die Drei schlechte Wissenschaftler waren. Und ebenso steht außer Zweifel, dass all diese „falschen“ Modelle auf dem Weg zum schließlich „richtigen“ essentiell waren.

Man sollte Forschern also nicht gleich einen (Karriere-)Strick daraus drehen, wenn sich ihre anfängliche Hypothese als doch nicht haltbar herausstellt. Was man womöglich erreicht ist, dass viele sich am Ende gar nicht mehr trauen, riskante Hypothesen aufzustellen — und stattdessen nur noch rein datenbasierte „Just around the corner“-Forschung machen.

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