Der Wissenschaftler: Poet und Buchhalter?

26. Juni 2013 von Laborjournal

Edward O. Wilson, nicht ganz unbekannter Harvard-Zoologe und Altmeister der Soziobiologie, erklärte unlängst in einem NPR-Interview den „idealen Wissenschaftler“ folgendermaßen:

[…] the ideal scientist thinks like a poet and works like a bookkeeper.

It’s the poet, the poetic aspects of science, that seldom get talked about. But I’ve always felt that scientists fantasize and dream and bring up metaphor and fantastic images as much as any poet, as anyone in the creative sciences — art, the creative arts.

And the difference is that at some point, the scientist has to relate the dreams to the real world, and that’s when you enter the bookkeeper’s period. Unfortunately, it’s the bookkeeper period which leads sometimes to months or years of hard work that too many prospective scientists and students interested in science see, rather than the creative period.

In meiner Doktorarbeit ließ sich die „poetische Phase“ auf ein paar wenige Tage runterbrechen. Die Alge konnte zum Licht schwimmen, musste also einen Photorezeptor haben — und der saß in einer ganz bestimmten Membran. Ein Assay für den Photorezeptor war schnell etabliert, also stand damals logischerweise die Anreicherung und Reinigung des Photorezeptor-Proteins an.

Da jedoch in den frühen Neunzigern vieles noch nicht ging, was heute geht, folgten drei Jahre reinen „bookkeepings“: Optimieren der Aufzucht, Optimieren von Ernte und Präparation, Optimieren der Solubilisierungs-Bedingungen, Optimieren des Stabilisierungspuffers, Optimieren von Anreicherungssäule Nummer eins, Optimieren der Affinitätssäule,… Ohne auf die vielen Details einzugehen: Das war damals alles nicht trivial und dauerte eben die drei Jahre, bis endlich eine ausreichend fette Bande des Membranproteins in einer ausreichend sauberen Gelspur zu sehen war.

Von „Poesie“ hatte ich in dieser Zeit wenig gespürt, und das „Bookkeeping“ wurde schnell frustrierend langweilig. Also wechselte ich für den Postdok das Projekt: Ich entwickelte einen Assay, um unter mutagenisierten Reis-Linien welche herauszufischen, die Defekte in einer bestimmten physiologischen Reaktion zeigten (poetische Phase?) — und dann folgten Aussähen, Screenen, Aussähen, Screenen, Aussähen,… Monatelang.

Ganz am Ende hatte ich drei offensichtlich interessante Mutanten gefunden. Doch mit denen mussten andere weiterarbeiten. Ich hatte keinen Folgeantrag mehr gestellt — und wandte mich einer anderen, tatsächlich „poetischeren“ Form der Beschäftigung mit Wissenschaft zu. Der Alltag der praktischen Laborforschung war mir viel zu sehr „boring bookkeeping“.

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Ein Gedanke zu „Der Wissenschaftler: Poet und Buchhalter?“

  1. Skadi sagt:

    Ja, daß kann ich gut verstehen. Mir geht es genauso! Ich bin jetzt im 4. Jahr der bookkeeping Phase und nur wenn ich Glück habe, kommt beim Schreiben doch noch ein Moment der Poesie. Ich bin mir ehrlich nicht sicher ob es das wert war.

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