HannoverGEN – der Fall eines Schülerlabors

1. März 2013 von Laborjournal

Niedersachsens neue rot-grüne Regierung plant, das gentechnische Schülerlabor HannoverGEN zu schließen. Eine Online-Petition will es retten.

Die neue rot-grüne niedersächsische Landesregierung um Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist voll auf den Anti-Gentechnik-Zug aufgesprungen. Auf Seite 74 des frisch verhandelten Koalitionsvertrages heißt es unter dem Stichpunkt „Gentechnikfreies Niedersachsen“ unter anderem:

„Im Verbund mit der Landwirtschaft wird die rot-grüne Koalition alle Möglichkeiten ausschöpfen, Niedersachsen gentechnikfrei zu halten und dafür keine Fördermittel bereitstellen. Im Bundesrat wird sich die Landesregierung dafür einsetzen, dass es keine weiteren Lockerungen am derzeitigen Gentechnikgesetz geben wird und die Verursacher entsprechender Kontaminationen zum Schadenersatz herangezogen werden. […] Das Projekt HannoverGEN wird beendet.“

Warum das beliebte und erfolgreiche Schülerlabor HannoverGEN völlig zusammenhangslos in diesem Absatz erscheint, wirft Fragen auf. „Es gab nie eine Diskussion darüber, ob die Förderung verlängert werden soll oder nicht. Ich kann es mir nicht anders erklären, als dass diese Entscheidung rein ideologisch gefällt wurde“, äußert etwa Wolfgang Nellen seinen Unmut über die Entscheidung. Der Professor an der Uni Kassel, „Doppel-Präsident“ des Verbands Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO) wie auch der Gesellschaft für Genetik, leitet selbst das ganz ähnliche Schülerlabor Science Bridge. „Fortbildungsangebote streichen und gleichzeitig Entscheidungskompetenz der Bürger erwarten — das passt nicht zusammen.“

Das Projekt HannoverGEN, vor nicht einmal zwei Jahren zum „Ausgewählten Ort 2011“ in der Initiative „Land der Ideen“ der Bundesregierung gekürt, stellt Schülern und Schülerinnen speziell ausgestattete Schullabore zur Verfügung, in denen sie unter professioneller Anleitung selbstständig biotechnologische Experimente durchführen können, die sich auf reguläre Unterrichtsinhalte beziehen. Neben der Wissenschaft steht dabei aber auch explizit das kritische Auseinandersetzen mit der Thematik Gentechnologie im Vordergrund. „Die meisten der Schüler werden später nicht Biologie studieren. Genau deshalb sind Schülerlabore wie etwa HannoverGEN so wichtig, weil sie den Schülern die Möglichkeit geben, ein differenziertes Bild zu entwickeln. Es ist quasi deren letzte Chance, sich intensiv mit der Thematik zu beschäftigen“, gibt Nellen zu bedenken. „Und es heißt doch immer: Nur ein informierter Bürger ist auch ein mündiger Bürger. Wenn jetzt solche Projekte beendet werden, verhindert man aber, dass sich die Schüler überhaupt kritisch mit dem Thema auseinandersetzen können“, warnt er.

Eine Anfrage von Laborjournal zu den Gründen der Entscheidung wurde vom niedersächsischen Umweltministerium nicht beantwortet. Auch sonst geben sich die Koalitionäre mundfaul bei der Begründung dieser Entscheidung. Gebetsmühlenartig wird lediglich auf eine „Hintergrundstudie“ des Umweltchemikers und Wissenschaftsjournalisten Heribert Wefers verwiesen, die maßgeblich den Stopp von HannoverGEN angestoßen haben soll. Hauptergebnis und zentraler Vorwurf der Studie: HannoverGEN würde die Inhalte einseitig im Interesse der Agro-Lobby darstellen — und damit die Schüler manipulieren und instrumentalisieren.

Der Biologe Martin Ballaschk vom Berliner Leibniz-Institut für molekulare Pharmakologie sieht die ganze Sache jedoch genau anders herum — und schreibt dazu in seinem scilogs.de-Blog DETRITUS unter der Überschrift„Schülerlabor HannoverGEN soll sterben, für ein gentechnikfreies Niedersachsen“ unter anderem:

„Pikant dabei ist, dass man den Vorwurf des Lobbyismus auf die Initiatoren der Studie umkehren kann. Diese wurde nämlich von den Firmen DemeterNaturland und Naturkost Nord mitfinanziert (Link zum PDF), und damit ergibt sich ein handfester Interessenskonflikt. Dazu kommt, dass die Projektleitung von HannoverGEN schwere handwerkliche und sachliche Fehler in der Studie ausgemacht haben will. So würden bei den Zitaten aus vermeintlichen Unterrichtsmaterialien ganze Sätze ausgelassen, ohne dies überhaupt kenntlich zu machen, und es werden Contra-Argumente zur Gentechnik unterschlagen. Damit sollte auf Biegen und Brechen eine Einseitigkeit bewiesen werden, die so gar nicht vorhanden sei. Außerdem zitiert Wefers völlig falsches Material, hatte gar keinen Einblick in die wirklich verwendeten Unterrichtsunterlagen, hielt es nicht für nötig, Projektbeteiligte zu kontaktieren und somit letztlich wohl kaum die Fähigkeit, das Projekt überhaupt zu beurteilen.

Letzteres bestätigt auch HannoverGEN-Projektkoordinatorin Wiebke Rathje: „Der Autor hat zu keinem Zeitpunkt das Gespräch mit Akteuren und Projektbeteiligten von HannoverGEN gesucht: Er hat weder Unterrichtsmaterialien angefordert, noch eine Einladung zu einem Besuch von HannoverGEN-Labortagen angefragt oder Interviews mit Projektbeteiligten, Lehrern und Schülern durchgeführt. Bei Sichtung seiner Ausführungen wird schnell deutlich, dass er als Grundlage für seine Recherchen nur einige wenige Klicks aus dem Internetportal von HannoverGEN herangezogen hat.“

Beim Blick in die Studie selbst kann einem tatsächlich schon mal angst und bange werden, auf welchen Grundlagen in unserem Lande teilweise politische Entscheidungen getroffen werden.

Kein Wunder daher auch, dass es in der Zwischenzeit jede Menge Stellungnahmen zu der geplanten Schließung von HannoverGEN gibt. Martin Ballaschk hat in seinem oben erwähnten Blog-Beitrag einige gesammelt (und er sammelt weiter) — worauf wir an dieser Stelle dankend verweisen wollen. Darunter befinden sich unter anderem auch einige Kommentare von den direkt Betroffenen — Niedersachsens Schülerinnen und Schüler –, die diese auf den Facebook-Seiten der niedersächsischen SPD sowie der Grünen abgegeben haben. Absolut eindringlich, auf wie wenig Gegenliebe die geplante Schließung des Schülerlabors bei ihnen trifft – und zwar ausnahmslos. Hier nur ein Beispiel von Schülerin Saskia O. (wie in Ballaschks Beitrag zitiert):

„Ich als Schülerin finde es unmöglich, uns Wissen über etwas vorzuenthalten, was in unserer Wirtschaft so von Bedeutung ist und mit dem wir täglich in Kontakt kommen. […] Greenpeace und die schnell aufgesprungenen Unterstützer haben sich offensichtlich nicht richtig über die Unterrichtseinheiten der Genlabore informiert, denn dort wird neben den Experimenten auch gelehrt, wie man kritisch bewertet und auf ethischer Grundlage diskutiert. Womöglich liegt es ja auch nur am Namen, der falsch verstanden wird. Erscheint es Politikern deshalb unnötig, sich genauer mit der Materie auseinander zu setzen? […] In der Unterrichtseinheit werden wir keine Schafe klonen oder für die Umwelt schädlichen Substanzen verursachen. Zu verhindern, sich weiterzubilden finde ich dagegen stark zurechtweisend und nehme es als eine gezielte Vermeidung der Konfrontation war.“

Bei alledem bleibt schließlich die Frage: Kann man noch was tun, kann man die Schließung von HannoverGENnoch verhindern? Zumindest ist inzwischen eine Online-Petition gegen die Entscheidung auf dem Weg — mit dem Titel „Lernen Sie das Schulprojekt HannoverGen kennen, bevor Sie es beenden, Herr Weil!“Momentan steht sie bereits bei über 1.500 Unterzeichnern. Um tatsächlich Eindruck zu machen, braucht es sicherlich noch einige mehr.

Wobei es inzwischen um mehr geht als nur um HannoverGEN alleine. Es geht vielmehr um das generelle Signal, ob in Deutschland überhaupt echte und vorurteilsfreie wissensbasierte Bildung ermöglicht werden soll.

(Der Beitrag steht parallel auf Laborjournal online. In der nächsten Laborjournal-Printausgabe erscheint zudem ein ausführlicher Artikel von Stephan Rinke. Teile daraus sind bereits in diesen Beitrag mit eingeflossen.)

Schlagworte: , , , , , , ,

Ein Gedanke zu „HannoverGEN – der Fall eines Schülerlabors“

  1. Wolfgang Nellen sagt:

    Wichtig: wer meint, dass Wissen und Information Voraussetzung für eine Meinungsbildung sind, wer meint das Bildungsdefizite nicht durch Bildungseinschränkung behoben werden können, wer meint, dass Gentechnik eine wissensbasierte Diskussion braucht, der kann unter https://www.openpetition.de/petition/online/lernen-sie-das-schulprojekt-hannovergen-kennen-bevor-sie-es-beenden-herr-weil
    sein Signal dafür setzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Captcha loading...