Geschätzter Mittelbau

21. Mai 2012 von Laborjournal

Aus der Reihe „Spontane Interviews, die es nie gab — die aber genau so hätten stattfinden können”. Heute: Prof. B.I. Gschott, Promilogisches Institut Universität Besserstadt.

LJ: Hallo, Herr Gschott — oh, ein Glas Sekt in der Hand. Offenbar feiert das ganze Institut. Was ist der Anlass?

Gschott: Das EMBO Journal hat ein Paper akzeptiert.

LJ: Äh, sorry — aber das ist für Sie doch nichts Besonderes. Bei Ihnen landet doch fast alles in „NatureScienceCell“.

Gschott: Im Gegenteil, das Paper ist was ganz Besonderes. Abgesehen davon, stehe ich gar nicht drauf.

LJ: Das müssen Sie mir jetzt erklären.

Gschott: Ganz nüchtern gesagt, beschreibt das Paper eine ganz neue Technik, die das gezielte Ausschalten von Genen deutlich einfacher, billiger und zuverlässiger macht.

LJ: Also ein rein methodisches Paper…

Gschott: Wie geringschätzig Sie das sagen. Wie so viele. Offenbar wissen die wenigsten, dass die meisten Durchbrüche erst vollzogen werden konnten, nachdem die Methodik entsprechend ausgereift war. Und dazu gehörte oftmals harte Arbeit. Ehrlich gesagt, ärgert mich daher diese Geringschätzung rein Methoden-orientierter Forschung gewaltig. Probieren Sie mal bei der DFG ein Projekt bewilligt zu bekommen, in dem Sie „lediglich“ eine Methode neu oder weiter entwickeln wollen.

LJ: Gut, ich glaube ich habe verstanden. Aber wer wird denn jetzt tatsächlich gefeiert.

Gschott: B.E. Scheiden, der Service-Mann unseres Instituts für alles, was mit DNA zu tun hat — Sequenzieren, Synthese usw. Mehr können wir auch nicht feiern, er ist der einzige Autor.

LJ: Also, Ihr Service-Mann bringt ein methodisches Paper im EMBO Journal unter — und sofort kommt das ganze Institut zusammen um ihn zu feiern?

Gschott: Genau. Und zwar, weil wir alle es ihm von Herzen gönnen. Nicht, weil er guten Service macht — das tut er sowieso. Nein, vielmehr weil er einer dieser typischen, bescheidenen und unauffälligen Vertreter des mittleren Forscherlevels ist, ohne die die Wissenschaft schnell aufgeschmissen wäre. All die gut ausgebildeten, erfahrenen Arbeitspferde, die man auf angelsächsisch „Staff Scientists“ nennt. Letztlich sind sie es, die den ganzen Karren beharrlich vorwärts ziehen — ernten dafür aber kaum Ruhm und werden viel zu niedrig bezahlt.

LJ: Wenn Ihr Herr Scheiden so gut ist, warum ist er denn die Karriereleiter nicht weiter hoch geklettert?

Gschott: Ach, Sie wissen doch, da kann es viele Gründe geben. Krankheit oder andere Sorgen zur falschen Zeit, ein Artefakt nicht erkannt, schlechte Kollegen oder Betreuer — all diese Dinge, weswegen man nicht genug Publikationen zusammen bekommt. Und schon zieht die Karawane ohne einen weiter.

LJ: Verstehe.

Gschott: Nicht ganz, glaube ich. Denn bei Scheiden kam noch etwas Anderes hinzu. Er wollte ganz einfach nicht weiter aufsteigen. All der Stress, die Verantwortung, die viele Verwaltungsarbeit als Leiter einer größeren Gruppe — diese Perspektive war ein Horror für ihn.

LJ: Und dann wollte er trotz seiner Fähigkeiten lieber nur Serviceleistungen zu den Projekten anderer beisteuern?

Gschott: Hat er ja nicht nur. Sonst hätte er ja jetzt kein Single-Author-EMBO-Journal-Paper. Nein, nebenbei hat er immer noch ein, zwei eigene Projekte laufen. Schließlich hat er dafür überhaupt keinen Karrieredruck und kann sie in aller Ruhe sorgfältig und wasserdicht zu Ende führen. Schauen Sie sich das neue Werk mal an, Sie werden nur selten ein so robustes Paper finden. Ich glaube, am Ende hat er sechs Jahre dafür gebraucht. Ein Postdoc oder Doktorand hätte niemals mit so etwas Vagem und Unsicherem angefangen, das so lange braucht, bis etwas Publizierbares herauskommt. Tja, und jetzt stehen wir hier und es ist schon klar, dass Scheidens neue Methode unendlich vielen Labors helfen wird.

LJ: Also ist das Fest heute so was wie die ganz spezielle Anerkennung des Instituts für die besonderen Leistungen eines genügsamen, aber hochgeschätzten Mittelbau-lers.

Gschott: Ja, so kann man es sehen. Aber noch mal, wir haben hier sehr viel Respekt vor unseren „Staff Scientists“. Und wir versuchen ganz bewusst, ihnen unsere Wertschätzung auch immer wieder zu zeigen.

LJ: Wie zum Beispiel?

Gschott: Letztes Jahr, kurz vor Weihnachten, bin ich beispielsweise rüber zu Scheidens Minizimmer und fragte ihn, wie ich ihm denn meine Anerkennung für seine Arbeit ausdrücken könnte. Ob ich etwa versuchen sollte, dass er ein größeres Büro bekommt, einen nicht ganz so weit entfernten Parkplatz oder irgendwas in der Art. Und wissen Sie was er antwortete?

LJ: Natürlich nicht.

Gschott: Er fragte lediglich, ob er mal ein Seminar oder ein paar Vorlesungen übernehmen durfte. Er würde so unglaublich gerne „lehren“. Irgendwie passte die Antwort komplett zu ihm — aber ich kann Ihnen sagen, als großer und wohl auch etwas berühmter Institutsboss fühlte ich mich in diesem Moment doch ziemlich beschämt.

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5 Gedanken zu „Geschätzter Mittelbau“

  1. Julia Wolf sagt:

    Unbefristet beschäftigter Mittelbau im Service, wo gibt es das denn noch?
    Schade, ich dachte Ihr seid mutiger und die Feier ist gleichzeitig für das Paper und die Entlassung des Kollegen in die freie Wildbahn nach fristgemäßem Auslaufen seines Vertrages. Da kriegt der Nachname doch erst Bedeutung…

  2. Michael sagt:

    Tja, wenns denn den geschätzten Mittelbau denn noch gäbe…

  3. Ralf Neumann sagt:

    Ich denke, im Artikel ist klar gesagt, wer gemeint ist: diejenigen, die die Angelsachsen als „staff scientists“ bezeichnen – und von vielen hierzulande ebenfalls mit „Mittelbau“ bezeichnet werden. Die Amerikaner sprechen z.B. alternativ von „Midlevel Scientists“.

    Abgesehen davon stimmt natürlich, dass der klassische deutsche Mittelbau (Hochschulassistenten et al.) inzwischen ziemlich tot ist.

  4. Ralf Neumann sagt:

    @ Julia:

    Also, da kenne ich einige — an nicht-universitären Forschungsinstituten wie MPIs oder denjenigen der Helmholtz-Gemeinschaft, an forschenden Unikliniken (Mouse Facility-Leute u.ä.), und sogar an meinem alten Bio-Institut an der Uni gibt’s noch welche…

    Wobei das Abschiedsszenario natürlich auch nicht schlecht ist. Machen wir vielleicht mal richtig recherchiert — und nicht fiktiv, wie hier — im Heft.

  5. mps sagt:

    …zur Zeit gibt es beim SPIEGEL eine nette Reihe über das Arbeiten in der Forschung: http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/wie-junge-wissenschaftler-an-den-unis-geknechtet-werden-a-835467.html

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