Ungeliebte Widerlegungen

3. Dezember 2010 von Laborjournal

Aus der Reihe „Spontane Interviews, die es nie gab — die aber genau so hätten stattfinden können”. Heute: Professor G.U.T. Glaub, Veritologisches Institut Universität Wahrenstadt.

LJ: Hallo, Herr Glaub. Gerade kam eine Ihrer Mitarbeiterinnen heulend aus Ihrem Büro gestürzt. Was ist passiert?

Glaub: Eine Katatrophe ist passiert. Sie kann mit ihrer Doktorarbeit komplett neu anfangen. Die bisherigen eineinhalb Jahre völlig für die Katz — auch wenn sie nur schwer vorangekommen ist. Wenigstens wissen wir jetzt warum.

LJ: Äh… ja,… und warum?

Glaub: Kurz gesagt: Wir hatten für ihre Arbeit eine wirklich nette Hypothese aufgestellt, die auf Ergebnissen und Schlussfolgerungen eines ganz bestimmten Papers zur Chromatinstruktur beruhte. Und jetzt hat sich herausgestellt, dass dessen Folgerungen falsch sind und die betreffenden Strukturen in der Form  offenbar nicht vorkommen. Und damit ist auch unsere Hypothese futsch.

LJ: Ja, aber Ihre Doktorandin hat doch neue Daten gemacht, oder?

Glaub: Ja sicher. Die haben aber nie genau gepasst. Andererseits waren sie aber auch nicht so daneben, dass wir gleich die ganze Hypothese hätten kippen müssen. „In between“ — wie das so oft in der Forschung vorkommt. Jedenfalls waren wir immer noch optimistisch und motiviert. Und dann das…

LJ: Dann kam das entscheidende Experiment, dass alles falsifizierte?

Glaub: Nein, gar nicht. Ich war vielmehr letzte Woche auf einer Konferenz, und da hielt Kollege Verdos aus Madrid einen Vortrag über ein verwandtes Thema. Abends saß ich dann mit ihm zusammen und wir diskutierten ein wenig. Als ich ihm irgendwann unsere Hypothese vorstellte, weil ich seine Meinung hören wollte, schaute er mich plötzlich mit großen Augen an. Und dann erzählte er mir haarklein, was an dem besagten Paper falsch war.

LJ: Einfach so? Da könnte ja jeder kommen…

Glaub: Nein nein, ganz anders. Verdos erzählte, dass seine Gruppe einige Ergebnisse hatte, die überhaupt nicht mit der vorgeschlagenen Struktur in Einklang zu bringen waren. Irgendwann beschlossen sie dann, der Sache auf den Grund zu gehen und die publizierte Struktur gezielt mit eigenen Experimenten zu überprüfen. Dabei kam dann heraus, dass die Autoren wohl einen entscheidenden, aber nicht offensichtlichen Fehler gemacht hatten. Jedenfalls hatten Verdos et al. am Ende eine ganze Handvoll Ergebnisse, die klar zeigten, dass deren Struktur falsch ist.

LJ: Toll. Aber das hätten sie doch mitteilen müssen. Warum haben sie das nicht publiziert? Dann wäre Ihre Doktorandin sicher nicht derart reingefallen.

Glaub: Natürlich wollte Verdos die Sache sofort publizieren. Allerdings hatten sie ja keine Daten, wie die Struktur stattdessen aussieht. Sie hatten „nur“ negative Ergebnisse. Und die haben sie bis heute nicht publiziert bekommen. Solche Widerlegungs-Papers mögen die Editoren nicht — vor allem diejenigen nicht, in deren Journal das beanstandete Paper erschienen ist.

LJ: War es ein prominentes Journal?

Glaub: Ja, Science war’s. Knapp ein Jahr lang hat Verdos E-Mails mit Editoren und Chief Editor ausgetauscht — sein Manuskript wurde noch nicht einmal begutachtet. Bei PNAS haben sie es nach einiger Zeit wenigstens zwei Gutachtern vorgelegt; die wollten dann aber einen Rattenschwanz an zusätzlichen Experimenten, die wenigstens potentiell noch ein paar „positive“ Ergebnisse hätten liefern können.

LJ: Und die macht Verdos jetzt?

Glaub: Nein, der hat auch seinen Stolz. Demnächst kommt es in einem Lower Impact-Journal raus.

LJ: Zu spät für Ihre Doktorandin.

Glaub: Klar. Und ich muss jetzt dafür sorgen, dass sie schnellstens ein Projekt mit „Ergebnisgarantie“ auf die Beine stellt. Reine „Just around the Corner“-Forschung also, nur kein Risiko mehr. Genau das, was ich nie machen wollte.

LJ: Immerhin hat sie dafür noch etwas Zeit. Es hätte noch schlimmer kommen können.

Glaub: Ja, stimmt schon. Sicher ist sie kein Einzelfall. Wahrscheinlich passiert so etwas sogar häufiger, als man wahrhaben will — dass Doktoranden durch falsche Papers in eine schlimme Sackgasse geschickt werden.

LJ: Irgendeine „Moral von der Geschicht“?

Glaub: Na ja, in unserem Fall haben die Autoren ja nicht absichtlich falsche Folgerungen publiziert. Sowas kommt immer mal vor. Geradezu dämlich ist aber die große Abneigung vieler Journals vor solchen „Negative Papers“ à la Verdos. Könnte man die geschmeidiger publizieren, würde einiges Unheil sicher noch rechtzeitig abgewendet.

(Siehe hierzu auch unser LJ online-Editorial „Von lästigen Artikeln und penetranten Autoren“, wie auch unseren LJ-Artikel „Periodische Paralyse von Journal-Editoren“)

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