Pressemeldung oder Paper — abgerechnet wird zum Schluss

30. September 2010 von Laborjournal

In den Kommentaren zu unserem Post “Ein neuer Tag, ein neues Genom” berichteten wir, dass zwei Gruppen die Entschlüsselung der Genomsequenzen von Kakaopflanze und Tasmanischem Teufel verkündet haben.

Jetzt beschwert sich Stephan Schuster von der Penn State University in Philadelphia in Science, dass beide Genome von den jeweiligen Gruppen lediglich per Pressemitteilung hinausposaunt wurden — vor ordentlicher Publikation und jeglicher Begutachtung der Daten. Und — oh weia! — er jammert weiter, dass er ja gerade selbst mit zwei anderen Gruppen eben jene Genome sequenziert und analysiert habe.

Beide eigenen Projekte, so Schuster, seien erheblich weiter als die der Konkurrenten. Allerdings — ganz der Ehrenmann — wollte er mit jeglichem Tamtam warten, bis beide Stories abgerundet und publiziert seien. Jetzt aber würden die anderen Gruppen den ganzen Ruhm abbekommen. Schuster pathetisch:

„With what happened yesterday, I don’t believe in scientific publication anymore. […] We tried to be a good citizen, … and we lost.“

“Lost”? Was denn “verloren”? Sorry, aber mein Mitleid hält sich in Grenzen. Ob da einer vielleicht die ganze Geschichte zu wichtig nimmt? Hey, es ist “nur” Wissenschaft! Und noch ziemlich dröge dazu – Genome analysieren ist nun wirklich nicht mehr die Büchse der Pandora. Was meint Schuster denn, wer die Meldungen überhaupt wahrnimmt? Der Blumenverkäufer auf dem Markt? Der Bürgermeister in der Ratsstube? Der Oberstufen-Gymnasiast mit technischem Profil? Wohl kaum. Fußball-Bundesliga ja, jeder von ihnen — aber Genome?

Schuster kann sich darauf verlassen, dass die Pressemitteilungen nur eingefleischte Spezialisten interessieren. Und die können sehr wohl differenzieren, was das Pressegedöns tatsächlich wert war, wenn die ersten begutachteten Publikationen mit sauberen und abgerundeten Analysen erschienen sind. Und wem am Ende der “Credit” tatsächlich gebührt.

Der Autor des lesenswerten Blogs Prof-like Substance sieht es in seinem Beitrag When did announcing science become the same as publishing science? ganz genauso:

Okay, okay, I can see how the initial big publicity would have been cool and all, but aside from a very small circle of people, who is going to remember which group made the announcement? No one. Most people will remember hearing that an announcement was made and then see the paper in a month or two and say “Hey, that chocolate genome is out. Cool.” Schuster’s group will get the citations and the other groups will be forced to publish their results in a less GlamorEleventy!!! journal and run all the comparative analysis. I guess I’m missing where Schuster “loses” here, unless this has more to do with the initial round of applause than anything else.

Und genau wie ich, fragt er sich, warum überhaupt beide Genome für teures Geld doppelt sequenziert werden:

What also seems ridiculous to me is that there are TWO groups sequencing either of these genomes. I can understand the race for the human genome and maybe even things like fruit fly and Arabidopsis, but since when did the Tasmanian devil fan club go all cut throat? And I like chocolate as much as the next person, but two genome sequences? It’s hard to tell whether this is competition or lack of communication, but either way it seems like a giant FAIL to commit the duplicated resources. If it’s the former it’s just stupid and if the latter maybe it’s time to think about a mechanism by which people could list what genomes are being sequenced.

Recht hat er! Also Ball flachhalten und nicht gleich weinen, wenn die bösen Konkurrenten die Pressetrommel rühren — vermutlich gerade weil sie merken, dass sie abgehängt sind. Immerhin weiß Schuster dadurch jetzt definitiv, dass er vorne liegt und die Genome sicher als Erster publizieren wird. Ein mildes Lächeln wäre da wohl die souveränere Reaktion.

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5 Gedanken zu „Pressemeldung oder Paper — abgerechnet wird zum Schluss“

  1. Marc sagt:

    „Schuster kann sich darauf verlassen, dass die Pressemitteilungen nur eingefleischte Spezialisten interessieren.“

    Und ebenso die Namen der beteiligten Wissenschaftler. Craig Venter kenne ich nur, weil ich damals in der Branche (natürlich an komplett anderen Themen) war – und in Venter was von „inventer“ steckt. Für den Normalo bleibt übrig, dass da noch zwei Genome sequenziert wurden. Und den Tasmanischem Teufel kennt man eh nur wegen der Zeichentrickfigur Taz

  2. BadBoyBoogie sagt:

    „Jetzt beschwert sich Stephan Schuster […] dass beide Genome von den jeweiligen Gruppen lediglich per Pressemitteilung hinausposaunt wurden — vor ordentlicher Publikation und jeglicher Begutachtung der Daten.“

    Schusters Beweggründe (verletzte Eitelkeit & verlorene Publicity) mal dahingestellt – versaut sind die Sitten in der „Community“ mittlerweile schon, da hat Schuster schon recht.

    Die mittlerweile enorme Bedeutung des Boulevard für die LifeSciences ist nicht gut. Gar nicht gut.

  3. Ralf Neumann sagt:

    Sicher, was die Unsitte mit den Pressemitteilungen betrifft. Aber wenn Schuster deswegen folgert, „with what happened yesterday, I don’t believe in scientific publication anymore”, dann schießt er weit übers Ziel hinaus. Schließlich wird er genau darüber („scientific publication“) am Ende exakt den Credit bekommen, den er haben will — und zwar genau von denen, auf die es ihm ankommt (Kollegen, Förderfunktionäre, Wissenschaftspolitiker,…). Trotz Vorab-Pressegedöns der anderen.

    So kommt er einem eher vor wie einer, der Unkraut vernichten will und dazu gleich das ganze Blumenbeet plattmacht.

  4. BadBoyBoogie sagt:

    D’accord!

  5. Ralf Neumann sagt:

    Zu dem Thema passt eigentlich auch ein „Inkubiert“-Text aus dem letzten Jahr (Laborjournal 3/2009):

    Tagungen sind nicht mehr, was sie mal waren. Präsentiert wird fast nur noch kalter bis lauwarmer Kaffee. Keine Daten, die nicht länger als ein Jahr publiziert sind. Und Professor Emeritus erzählt von seiner 71er-Entdeckung des Soundso-Virus, als ob es letzte Woche gewesen wäre. „Work in Progress“ diskutiert so gut wie keiner mit seinen Zuhörern. Es ist ja auch so eine Sache, in diesen kompetitiven Zeiten Dinge zu erzählen, bevor sie veröffentlicht sind. Oder gar öffentlich zu diskutieren, wie die Lösung seines Problems aussehen könnte. Wer weiß schon, auf welch böse Ideen man die lieben Kollegen damit bringt? Wie etwa seinerzeit bei der Entdeckung von Stickstoffmonoxid (NO) als Botenstoff: 1986 spekulierten Louis Ignarro und Robert Furchgott auf einer Tagung anhand von unpublizierten Daten, dass der lang gesuchte Blutgefäß-erweiternde Faktor womöglich NO sein könnte. Salvador Moncada, der bis dahin einen anderen Verdacht hatte, hörte dies, „programmierte“ sofort seine gesamte Gruppe um und publizierte dann tatsächlich zuerst NO als körpereigenen „endothelium-derived relaxing factor“. Dennoch bekamen Ignarro und Furchgott 1998 den Nobelpreis (mit Ferid Murad). Oft genug aber geht als Sieger durchs Ziel, wer erst spät auf den Zug aufgesprungen ist – und bekommt den ganzen Credit. Während diejenigen, die ihn überhaupt in Fahrt brachten, leer ausgehen. Diese Angst jedoch scheinen neuerdings einige überhaupt nicht mehr zu haben: Bereits vorab verkünden sie via Pressemeldung, dass sie demnächst „neueste“ Ergebnisse auf einer Tagung vorstellen würden. Siehe etwa den „vorläufigen Entwurf“ des Neanderthaler-Genoms, welches man unbedingt zu Darwins Geburtstag präsentieren wollte. Oder, noch krasser, die Ankündigung der Präsentation von zwei Neurospora-Genomen auf einer baldigen Tagung per Blog-Eintrag (!) – wobei der Blogger, einer der Projekt-Forscher, sogar schon mal erste Daten ausplaudert. Nee – auf diese Art unpublizierte Ergebnisse anzukündigen und vorzustellen, ist dann doch eher bedenklich. Und auch wenn bei Genomdaten wohl kaum möglich, ist ein Schelm, der nun denkt: „Wie die wohl gucken, wenn das jetzt doch völlig unverhofft andere zuerst veröffentlichen würden.“

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