Vom noblen Meeting in Lindau

6. Juli 2010 von Karin Hollricher

... sagte Nobelpreisträger Martin Chalfie in Lindau

59 Nobelpreisträger sind abgefahren, über 650 Nachwuchsforscher haben sich in alle Winde zerstreut, die Organisatoren haben die Reste zusammengepackt und ein Trupp eifrige Blogger lehnt sich erschöpft zurück.

Ich war auch drei Tage in Lindau und habe zugehört …

… den Laureaten, den Bloggern, leider weniger dem Nachwuchs. Denn die Diskussionen, die die jungen Forscher mit den Laureaten hatten, fanden fast ausschließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. „So wollen es die Teilnehmer“, berichtet Wolfgang Schürer, der Vorstandschef der Stiftung Lindauer Nobelpreisträgertreffen. Man habe in den vergangenen Jahren mehrere Umfragen gemacht und zwischen 80 und 95 Prozent der Teilnehmer hätten sich für diese Privatissime-Diskussionen ausgesprochen. Schade.

Unter den Nobelpreisträgern waren geniale Erzähler. Beispielsweise Oliver Smithies, Jahrgang 1925 (Foto links). Smithies war vor drei Jahren dafür geehrt worden, dass er 1989 mit homologer Rekombination in embryonalen Stammzellen diese gezielt verändert und daraus transgene Mäuse gemacht hatte. Und weil sich in diesem langen Forscherleben so viele Laboraufzeichnungen angesammelt haben, nahm Smithies die Zuhörer damit auf eine Reise durch 56 Jahre Forschung.

Und noch heute ist er aktiv — wie ein Eintrag vom vorletzten Samstag im Buch Z’3 beweist (Foto rechts).

Sehr unterhaltsam war auch Martin Chalfie (Foto links), der erzählte, dass seine Publikation „Green Fluorescent Protein: A New Marker for Gene Expression“ von Science 1994 zunächst abgelehnt worden sei — mit der Begründung, was in Science publiziert werde, sei „immer neu“. Daraufhin kreierte Chalfie den Titel „The Aequorea victoria Green Fluorescent Protein Needs No Exogenously-Added Components to Produce a Fluorescent Product inProkaroytic and Eukaryotic Cells“. Diese Monstrum wollten die Reviewer nicht, so dass schließlich „Green Fluorescent Protein as a Marker for Gene Expression“ dabei herauskam

Anscheinend waren die Laureaten aufgefordert, ihren Zuhörern, jungen Wissenschaftlern aus aller Herren Länder, Tipps und Ratschläge für ihre berufliche Laufbahn mitzugeben. So hörte man etwa von Chalfie eplizit:

„Students and postdocs are the lab innovators !!“

Auf die Frage, mit welchem Problem man sich denn auseinandersetzen solle, hatte Robert Horvitz folgenden Tipp parat, frei zitiert nach Altmeister James Watson:

„First: the problem should be important; second: the problem must be tractable.“

Wie man dann schließlich Noblepreisträger wird, beantwortete Ivar Giaever folgendermaßen:

„You must …
…be curious
…be competitive
…be creative
…be stubborn
…be self confident
…be skeptical
…be patient
And all about: you must be lucky!“

Wer nicht in Lindau war, etwa weil er zu alt ist, keine Zeit hatte oder die dreistufige Qualifikationsprüfung für die Teilnahme nicht überstanden hatte, kann in der Mediathek der Stiftung die Vorträge dieses Jahres samt vieler aus den vergangenen Jahren anschauen.

Durchaus lohnend sind auch die Interviews und Gedanken, die eine Horde von Bloggern im Auftrag von Nature unter der Leitung von Beatrice Lugger über das Meeting zusammengetragen hat. Lesenswert, auch wenn es nicht im LJ-Blog steht ;-).

Viele Laureaten betonten übrigens die Notwendigkeit von Grundlagenforschung. Nicht, dass sie der angewandten Forschung oder der biomedizinichen „Translational Research“ die Existenzberechtigung absprechen wollten. Diese Diskussion flammt ja immer wieder auf. Erst kürzlich veröffentlichte etwa der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) sein neues Mehrjahresprogramm, worin er sich dafür ausspricht, mehr Geld in die Anwendung von Forschung fließen zu lassen. In Lindau indes präsentierten mehrere Laureaten, dass und wie die zunächst völlig zweckfreie, von der reinen Neugier getriebene Wissenschaft zu vorher komplett unverhersehbaren Anwendungen und Nutzen führen kann. Gerade oder auch in der Biomedizin wird diese Forderung immer wieder laut. Harald zur Hausen meinte dazu lakonisch:

„Wenn man die Daten der Grundlagenforschung nicht hat, dann hat man auch nichts zu translatieren.“

Und so illustrierte schließlich Robert Horvitz die Dichotomie „Grundlagenforschung — angewandte Forschung“.

Die Botschaft aus Lindau lautete also: Lasst uns an großen, fundamentalen Fragestellungen arbeiten. Oder mit den Worten von Ivar Gieaver:

„Let imaginative people work, let imagination flow — that’s the best way.“

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Fotos: Karin Hollricher
Illustrationen: Oliver Smithies, Robert Horvitz

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2 Gedanken zu „Vom noblen Meeting in Lindau“

  1. Marc sagt:

    „Students and postdocs are the lab innovators !!“ – Guter Ansatz. Hoffentlich vergessen das die Jungforscher nicht, wenn sie ihre eigenen AGs haben.

  2. …. 650 Nachwuchsforscher …

    Wenn „Students and postdocs are the lab innovators“ gilt,
    dann sollten wir diesen Forschen doch den Respekt erweisen und sie
    als Jungforscher, Junior-Forscher, am besten aber als Forscher oder
    Wissenschaftler bezeichnen.

    Den Nachwuchs sehe morgens, wenn ich meinen Sohn in den Kindergarten bringe! Der Systemfehler im deutschen Karrieremodell für Wissenschaftler ist schon in diesem Begriff „Nachwuchswissenschaftler“ sichtbar. Nicht zuletzt hat Siegfried Bär diesen Systemfehler immer wieder offen gelegt.

    Etwas fundierter habe ich den Begriff „Nachwuchswissenschaftler“ in meinem Blog analysiert.

    „Werd‘ erst mal flügge – Karrieremodelle in der Wissenschaft“

    http://www.brainlogs.de/blogs/blog/graue-substanz/2010-06-24/karrieremodelle-in-der-wissenschaft

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