Keinen Impact, aber Einfluss!

2. Mai 2019 von Laborjournal

(Eine fiktive Geschichte zur Entmystifizierung einiger beliebter Floskeln des modernen Wissen­schafts­betriebs:…)

Professor Suck war Mikrobiologe, seine Leidenschaft waren Zucker. Zeit seines Forscherlebens war er immer wieder auf’s Neue fasziniert davon, was Bakterien mit Zuckern alles anstellen. Und tatsächlich konnte er mit seinen Mitarbeitern auch einiges zum Verständnis davon beisteuern.

Zitiert wurden seine Arbeiten jedoch eher so la la. Suck selbst juckte das allerdings nicht. Er war lange genug Forscher, dass er diese Dinge mit gesundem Selbstbewusstsein einschätzen konnte. Zudem stand er mittlerweile im Spätherbst seiner Forscherkarriere — und musste keinem mehr etwas beweisen.

So dachte Suck jedenfalls. Eines Tages jedoch las er in einem Brief von der Univerwaltung, dass diese nacheinander alle Fakultäten evaluieren wolle und dafür extra ein ständiges Büro mit vier „Evaluationsexperten“ eingerichtet habe. Und kurze Zeit später saß tatsächlich einer dieser jungen und dynamischen „Evaluationsexperten“ bei Suck im Büro…    

„Lieber Herr Professor Suck“, kam dieser gleich zur Sache, „ich habe mir mal in den gängigen Datenbanken angeschaut, wie oft ihre Arbeiten in den letzten fünf Jahren zitiert wurden. Um es gleich zu sagen: Es war unterdurchschnittlich, gemessen an der Zahl der Zitate, die mikro­bio­lo­gi­sche Publikationen im weltweiten Mittel auf sich ziehen.“

„Die Arbeit hätten Sie sich sparen können“, entgegnete Suck amüsiert. „Das hätte ich Ihnen auch sagen können.“

„Und wie erklären Sie das?“, fragte der „Evaluator“.

„Nun, Sie wissen vielleicht, dass die Zahl der Zitierungen kein direktes Maß für wissenschaftliche Originalität und Qualität ist, oder?“, antwortete Suck. „Ich für meinen Teil werde jedenfalls vor allem deswegen nicht so oft zitiert, da mittlerweile nur noch wenige Forscher auf meinem Gebiet arbeiten.“

„Das heißt im Klartext, Ihre Arbeit hat kaum Einfluss, kaum Impact“, erwiderte der junge Mann.

Jetzt wurde es Suck ob der flachen Floskeln doch etwas bunt. „Essen Sie Joghurt?“ ging er jetzt plötzlich in die Offensive.

„Ja, warum?“, kam die erstaunte Antwort.

„Wissen Sie, was da drin ist?“

„Na, vor allem Milch, oder?“, war der Evaluator nun doch etwas verunsichert.

„Gut. Und wovon wird die Milch fest?“, setzte Suck die „Prüfung“ unbeirrt fort.

„Äääähhh,…“

„Ich sag´s Ihnen: Durch spezielle Polysaccharide, Zuckerketten also, die bakterielle Starter­kul­tu­ren während des Fermentationsprozesses in der Milch bilden.“

„Herr Suck, das ist doch…“

„…Nicht relevant? Einen Moment. In den früher Neunzigern des letzten Jahrhunderts beschrieb ich einen Streptococcus thermophilus-Stamm, der in der Lage ist, ganz bestimmte Zuckerketten zu knüpfen. In der akademischen Welt hat die Arbeit wenig Aufsehen erregt — und zitiert wurde sie auch eher schwach. Passt also in Ihr Schema. Zufällig aber erwiesen sich genau diese Zucker­ketten als besonders geeignet, dem Joghurt die gewünschte Konsistenz und Textur zu ver­leihen. Nachdem die Industrie das spitz bekommen hatte, begann sie, diesen Stamm aufwendig für die Joghurt-Fermentation und Massenproduktion zu optimieren. Mit der Konsequenz, dass Sie heute in über der Hälfte des weltweit produzierten Joghurts genau diese Zuckerketten finden. Das Dumme ist nur, dass die Industrie ihre Ergebnisse nicht publiziert — und deswegen natürlich auch keine Vorarbeiten zitiert.“

Der junge Mann schaute Suck nur an.

„Aber Impact hatte die Arbeit trotzdem,“ lächelte Suck. „Oder etwa nicht?“

Ralf Neumann

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