Stellen-Schnappen mit Mauschel-Publikationen

23. Juni 2017 von Laborjournal

Anfang der Woche schrieben wir auf Laborjournal online über Datenmanipulationen in acht Veröffentlichungen von Karl Lenhard Rudolph, dem wissenschaftlichen Direktor des Leibniz-Instituts für Alternsforschung — Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Später am gleichen Tag berichtete auch Retraction Watch unter dem Titel „German institute sanctions director after finding him guilty of misconduct“ darüber.

Interessant ist hier der Kommentar No. 2 unter dem Artikel. Dieser macht aufmerksam auf Jianwei Wang, der als Ko-Autor auf vier der acht inkriminierten Veröffentlichungen der Gruppe von Rudolph erscheint — davon dreimal als Erstautor. Nicht ohne säuerlichen Beigeschmack schreibt der Kommentator, dass Wang sich in der Zwischenzeit einen guten Job an der Tsinghua University gesichert habe. Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen, dass die vier Mauschel-Publikationen aus seiner FLI-Zeit sicher eine entscheidende Rolle beim Zuschlag für die PI-Stelle gespielt hatten.

Dieses Muster des Stellen-Schnappens mit mehr als zweifelhaften Publikationen hatten wir erst in unserem Maiheft am Fall der Ex-Kölner Mitochondrien-Forscherin Tina Wenz thematisiert. Damals schrieben wir:

[…] kurz vor Bekanntwerden der Fälschungsvorwürfe auf PubPeer war sie von der Universität zu Köln als Wissenschaftlerin zu Boehringer Ingelheim gewechselt.

Interessant indes, wie man dort auf die Enthüllungen reagierte. Auf Anfrage des Blogs Retraction Watch antwortete ein Unternehmenssprecher Ende letzten Jahres, dass Tina Wenz die volle Verantwortung für jegliches Fehlverhalten in ihrem Kölner Labor übernommen habe. Ferner jedoch habe Boehringer Ingelheim volles Vertrauen in die Qualität der Forschungsarbeiten seiner Mitarbeiter — auch vor dem Hintergrund, dass die Integrität und Validität von Forschungsdaten in der Firma höchste Priorität genießen.

Natürlich kann eine Firma beschäftigen, wen immer sie will. Das Zeichen jedoch, das Boehringer Ingelheim damit vor allem an Nachwuchsforscher aussendet, ist fatal. Denn verallgemeinert heißt das: „Daten zurechtbiegen ist nicht schlimm. Und wenn es dann noch ein klein wenig dauert, bis sie dir auf die Schliche kommen, hast du womöglich sogar schon deine Karriere gesichert.“

Wer weiß, wie viele noch auf guten Stellen sitzen, die sie einst nach diesem faulen Muster ergattert haben?

Ralf Neumann

(Illustr.: freshidea / Fotolia)

Von Interdisziplinarität und Pionieren

20. Juni 2017 von Laborjournal

Man könnte die Entschlüsselung der DNA-Struktur durch Watson und Crick durchaus als eine der ersten interdisziplinären Meisterleistungen der Wissenschaftsgeschichte werten: Ein Ornithologe und ein Physiker werteten Bilder von Kristallographen aus — und begründeten die Molekularbiologie.

Freilich hat das seinerzeit niemand so gesehen. Und gerade im Rückblick auf die damaligen Pioniertage würde heute wohl jeder Watson und Crick als Molekularbiologen bezeichnen.

Interessanterweise drängten gerade in dieser Zeit des molekularbiologischen Aufbruchs generell viele „Fachfremde“ in die Biologie — Physiker, Chemiker, Mathematiker,… Dennoch nahm damals kaum jemand das Wort „Interdisziplinarität“ in den Mund. Offenbar war nicht so wichtig, wo einen die jeweilige Ausbildung abgesetzt hatte — vielmehr zählte, wo einen die konkreten Fragen hintragen würden.

Und so erschlossen damals nicht nur Watson und Crick neue Felder. Vor allem auch deshalb, weil sie gerade als interdisziplinäre Köpfe in der Lage waren, ihre alten Disziplinen hinter sich zu lassen, um sich neuen Wegen zu öffnen — und sie auch tatsächlich zu gehen.

Nur logisch daher, dass man deren neue Erkenntnisse samt der damit eröffneten Felder dann auch ganz für sich selbst bewertete — und nicht nach der disziplinären Herkunft derer, denen man sie verdankte. Wie gesagt, ist die DNA-Struktur doch vor allem eine molekularbiologische Entdeckung, und nicht zwingend-logisches Resultat einer interdisziplinären Kooperation aus Physik, Ornithologie und Kristallographie.

Nicht zuletzt wegen solcher Beispiele schrieb der US-Biologe Sean Eddy vor einiger Zeit, dass neue Felder weniger durch interdisziplinäre Teambildung entstünden als vielmehr durch das Wirken „antedisziplinärer“ Pioniere. Siehe Watson und Crick.

Sicher, interdisziplinäre Team-Projekte sind wichtig — dies allerdings vor allem da, wo Antworten auf bisher unlösbare Fragen durch die Anwendung neu etablierter Techniken aus anderen Disziplinen realisierbar werden. Interdisziplinäre Projekte deshalb aber gleich zum Forschungsmodus Nummer eins zu erklären, wie dies Wissenschaftspolitiker heute allzu gerne tun, hieße jedoch, Vergangenes über die Zukunft zu stellen — und die Herkunft der Leute höher zu bewerten als ihre ganz konkrete Arbeit.

Klingt nicht wirklich nach einem Rezept für Pioniertaten.

Ralf Neumann

(Illustration: Flickr/Dullhunk)