Wie man den eigenen Körper überlistet

7. Februar 2024 von Laborjournal

Ihr nächster Vortrag kommt bestimmt – sei es auf einer Konferenz, vor einem DFG-Panel oder vor einem Bewerbungskomitee. Inhaltlich sind Sie natürlich exzellent vorbereitet. Jetzt fehlt nur noch das richtige Mindset – selbstbewusst, überzeugend und zuversichtlich.

Unsere Empfehlung: Ab mit Ihnen aufs nächstbeste WC, Beine schulterbreit stellen, Arme in die Hüfte stützen – und genau so für zwei Minuten verharren. Denn diese Wonder-Woman-Pose bewirkt Magisches. Ihr Hypothalamus stimuliert Ihre Hypophyse, die wiederum Ihren Hoden oder Eierstockfollikeln – je nachdem, was Sie persönlich präferieren – signalisiert, das Dominanz-Hormon Testosteron ins Blut auszuschütten. Gleichzeitig inhibiert Ihre Hypophyse Ihre Nebennierenrinden und die Konzentration des Stresshormons Cortisol in Ihrem Blut sinkt. Das Resultat: Dank des hormonellen Jungbrunnens fühlen Sie sich nicht nur relaxt, sondern überlegen. Das DFG-Komitee soll Ihre Arbeit ruhig kritisieren. Ihrer Ausstrahlung wird es nicht lange widerstehen können.

Psychofirlefanz erwidern Sie? Tatsächlich hat Power Posing kleine, aber statistisch signifikante Konsequenzen: Es beeinflusst die Herzfrequenz (Acta Psychol. doi.org/ggrjq5), kann Angstzustände verringern (PLoS One. doi.org/f46p) und die Erfolgschancen in Jobinterviews erhöhen (J. Appl. Psychol. doi.org/f7j7xs).

Übrigens können Sie Power Posing auch an jeglichem Ort in der Öffentlichkeit betreiben. Wir empfehlen dennoch einen gewissen Sichtschutz. Verstörte Blicke aus Ihrer Umgebung könnten die Botenstoffmagie Ihres Blutes drosseln.

Das ist jedoch nur ein Beispiel, wie leicht sich unser Körper überlisten lässt.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Postersession: Ritual im Großformat

30. August 2023 von Laborjournal

– EHER EINE GLOSSE –

 

„Poster? Nie mehr. Da bleib‘ ich lieber im Labor.“ So das Fazit eines Konferenzbesuchers nach einer enttäuschenden Poster-Session (siehe „Inkubiert“ in LJ 5/2015, S. 8). „Aalglatte Stories mit den Daten von vorgestern“, so der im Heft zitierte Informant.

Der Grund für die offenbar um sich greifende Zurückhaltung: Paranoia vor der Konkurrenz. Da könnte ja jemand die unveröffentlichten Experimente nachkochen. Kann man die Papierschlacht mit den Postern also gleich ganz bleiben lassen?

Andererseits: Was wäre eine Konferenz ohne eine zünftige Poster-Rallye? Denn Rituale wollen gepflegt werden und geben Halt im Jahreslauf des Forscherlebens.

Das Drama beginnt schon zu Hause im Labor.

Der Kampf mit dem Chef. Der hat nämlich in der Regel seine eigenen Vorstellungen davon, was man auf dem großen Blatt Papier zeigen soll – oder eben nicht zeigen darf, um die Konkurrenz im Dunkeln zu lassen.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Talent? Oder Glück gehabt?

19. Juli 2023 von Laborjournal

Ihnen wurde nichts auf dem Silbertablett serviert? Sie haben Blut, Schweiß und Tränen literweise in Ihren Werdegang investiert und die Konkurrenz wohlverdient auf hintere Plätze verwiesen?

 

Jetzt, in diesem Moment, in dem Sie ganz allein vorm Bildschirm sitzen – Hand aufs Herz: Halten Sie sich auf die eine oder andere Weise nicht auch für cleverer, fähiger oder kompetenter als so manch ein Nebenmann und so manch eine Nebenfrau? Also, der Schreiber dieses Newsletters tut es. Schließlich beruht sowohl Ihr als auch mein Erfolg hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich – auf unseren persönlichen Eigenschaften: Wir sind talentiert, smart, fleißig, willensstark, leidensfähig und risikobereit! Und hatten – der Wahrheit halber – gelegentlich ab und zu vielleicht auch ein Fünkchen Glück.

Willkommen in der Welt psychologischer Kontexteffekte! Denn objektiv betrachtet sind weder Sie noch ich besonders begabt: Persönliche Eigenschaften wie Talent und Intelligenz sind Gauß-verteilt. Das heißt, zwei Drittel der Bevölkerung liegen innerhalb einer Standardabweichung um den jeweiligen Mittelwert, 95 Prozent innerhalb von zwei Standardabweichungen.  … Hier geht’s weiter >>

Betrugsware Co-Autorschaft

28. Juni 2023 von Laborjournal

Mehrfach haben wir schon darüber berichtet, auf welch dreiste Weise das System wissenschaftlichen Publizierens für betrügerische Aktivitäten missbraucht wird – zuletzt etwa hier, hier und hier. Und anscheinend lassen windige Witzfiguren tatsächlich rein gar nichts unversucht, um gerade den besonders Bedürftigen und/oder Leichtgläubigen aus der Forscherzunft ordentlich Geld für Nix aus der Tasche zu ziehen.

Waren es vor etwa einem Jahr noch Zitierungen, die eine Agentur systematisch an Forscher verkaufte (siehe hier), so werden inzwischen auch Co-Autorschaften auf angeblich bereits akzeptierten Papern gegen Geld feilgeboten. Am 19. Juli twitterte jedenfalls die allseits bekannte Fälschungs- und Missbrauchs-Detektivin Elisabeth Bik (sinngemäß übersetzt):

Wow, das ist ziemlich krass. Der Verfasser präsentiert hier einen Acceptance Letter für sein Manuskript von der Zeitschrift „Molecular Biology and Evolution“ – und verkauft jetzt auf Facebook Autorpositionen darauf für 5.000 oder mehr.

… Und zeigte einen Screenshot des betreffenden Facebook-Posts:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Keine Sorge, Junge!

19. April 2023 von Laborjournal

Die vorläufigen Pläne zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes bringen auch unseren Forscher Ernst in ziemliche Erklärungsnot …

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Ein weiterer Sargnagel für den Journal-Impact-Faktor?

30. November 2022 von Laborjournal

Braucht es eigentlich immer noch mehr Indizien, dass der Journal-Impact-Faktor nicht zur Evaluation der Qualität wissenschaftlicher Journals taugt? Schließlich gab sich erst im Oktober unser „Wissenschaftsnarr“ alle erdenkliche Mühe, mit massenweise Evidenz „den Tag, an dem der Journal-Impact-Faktor starb“, auszurufen.

Falls trotzdem noch mehr Sargnägel eingeschlagen werden müssen, liefert jetzt ein japanisch-guayanisches Autoren-Duo einen weiteren – wenn auch womöglich nur einen kleinen. Und der verbirgt sich in deren Paper „When a journal is both at the ‘top’ and the ‘bottom’: the illogicality of conflating citation-based metrics with quality“ (Scientometrics 127: 3683–94).

Darin formulieren sie zunächst eine ganz einfache Frage:

Forschende auf der ganzen Welt stehen unter dem Druck, in den „Top“-Zeitschriften zu veröffentlichen. Was aber, wenn eine Zeitschrift gleichzeitig als „Top“-Zeitschrift und als „Bottom“-Zeitschrift angesehen wird?

Was meinen sie damit? Schauen wir uns an, was die beiden gemacht haben – dann wird’s klarer: Diesen Beitrag weiterlesen »

Nur nicht zu viel spekulieren!

28. September 2022 von Laborjournal

Seien wir mal ehrlich: Funktionierten nicht viele wichtige Arbeiten in der Geschichte der Biologie im Wesentlichen nach dem folgendem Muster:

„Leute, wir haben da ein paar ziemlich coole Beobachtungen gemacht. Wir verstehen zwar noch nicht wirklich, was da ganz genau dahinter steckt – aber lasst uns doch schon mal spekulieren, was sie bedeuten könnten.“

… Und am Ende kam wirklich Großes dabei heraus.

Nehmen wir als ein Beispiel von vielen den englischen Chemiker Peter Mitchell. Seine Veröffentlichung in Nature, in der er vor über sechzig Jahren erstmals die chemiosmotische Theorie als potenziellen Kernmechanismus der zellulären Energiegewinnung vorstellte, hätte damals genauso gut unter dem Titel „Wie ich denke, dass die ATPase arbeitet“ erscheinen können – so sehr spekulierte er aus einer Handvoll Beobachtungen einen potenziellen Mechanismus zusammen. Und wie das oft passiert, wenn jemand derart ausführlich spekuliert, erntete auch Mitchell sofort heftigen Gegenwind unter den Fachkollegen.

Dennoch gilt seine Arbeit von 1961 als Klassiker. Als der chemiosmotische Mechanismus der ATP-Synthese später endgültig geklärt war, stellte sich zwar heraus, dass Mitchell in einigen Aspekten falsch gelegen hatte – viel entscheidender aber war, dass er mit seinem spekulativen Modell der weiteren Forschung grundsätzlich die richtige Richtung vorgegeben hatte. Und das sah letztlich auch das Nobelpreis-Komitee so: 1978 durfte sich Mitchell den Preis für Chemie abholen.

Die Gretchenfrage stellt sich nun von allein: Wie groß wären die Chancen, dass Mitchell ein derart spekulatives Paper im Jahr 2022 veröffentlichen könnte? Oder dass er damit Forschungsmittel einwerben könnte? In einer Zeit also, in der die Geldgeber Projekte vor allem dann fördern, wenn die Entschlüsselung von Mechanismen im Rahmen klarer Zwischenziele und strikter Zeitpläne winkt? Und in der die Journals Manuskripte mit abgeschlossenen und vollständigen „Stories“ klar favorisieren?

Die Chancen von Mitchell und Co. stünden heute wohl eher schlecht. Zu stark ist der Druck von Journals und Fördergebern, finale Erklärungen für die beobachteten Phänomene zu liefern. So stark, dass sich womöglich bald nur noch wenige trauen, „den Mitchell zu machen“ – und wie dieser die eigenen „coolen Beobachtungen“ einfach mal via „educated guess“ weiterzuspinnen.

Schade eigentlich!

Ralf Neumann

(Illustr.: Freepik)

 

Der vergiftete Salat

1. September 2022 von Laborjournal

( … Ein Märchen aus unserem Archiv zum Thema Abhängigkeit von Nachwuchsforschern.)

Es war einmal ein Jungforscher in einem fernen Land, der sich in der Fremde zumindest schon einen kleinen Namen in der Erdbeerforschung [Forschungsthema geändert] gemacht hatte. Dafür wurden ihm ein schicker achteckiger Hut und ein schwarzer Samtkragen, fein verziert mit blau-goldener Seide, übergestreift. Just in dieser Zeit erreichte ihn aus heiterem Himmel das Angebot, selbstständiger Arbeitsgruppenleiter in seiner Heimat zu werden. Da erfasste ihn eine große Sehnsucht, und er flog voller Freude über ein großes Wasser in sein heimatliches Germanien zurück.

Kurz nach der Landung stand er vor seinem neuen Ordinarius, der ihm freudestrahlend einen bewilligten Drittmittel-Antrag entgegenhielt: „Hier habe ich für dich eine ordentliche Menge Sachmittel und Personalstellen. Du kannst gleich loslegen.“ Der Jungforscher konnte es nicht fassen. Er hatte doch noch gar keinen Drittmittel-Antrag eingereicht! Was war geschehen?

Der Ordinarius, ein langjähriger Spinatforscher [Forschungsthema geändert], hatte sich zuvor einen äußerst talentierten Junior-Salatforscher [Forschungsthema geändert]  geangelt – aus einem tollen Labor, wo die allerfeinsten Salate direkt für die Festtafel des Königs von Schweden samt dessen Freunde vom Karolinksa-Institut bereitet werden. Dieser junge Salatin hatte ein erstklassiges Salatrezept entworfen und war entsprechend von der Deutschen Förderstelle für Grünzeugforschung reich mit den notwendigen Zutaten bedacht worden. Diesen Beitrag weiterlesen »

„Die Einstellung zur Arbeit ist eine andere“

27. April 2022 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“ zum Thema „Arbeitseinstellung in der hiesigen und der US-Wissenschaft“:

 

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[…] Die Leute dort sind wirklich an Wissenschaft interessiert, die sind interessiert an dem, was sie und auch was die anderen machen, und man redet darüber. Das ergibt ein unglaublich lebendiges Klima. Das Maß an Engagement, das die Leute da beruflich haben – und das gilt nicht nur für die Wissenschaftler – das ist wirklich großartig. […]  Die Tradition ist hier schon ganz anders. Die ganze Philosophie, dass das Leben zerfällt in das berufliche Leben und das sogenannte Privatleben, das sieht man in Amerika nicht so. Das ist nicht so eine Urlaubsgesellschaft. Die Einstellung zur Arbeit ist eine andere. Weil die Leute alle meinen, sie müssten es irgendwie selbst schaffen. Das hat natürlich auch Kehrseiten, man verliert leicht seinen Job, und die Leute können sich Urlaub oft gar nicht leisten. Aber man klagt dort nicht, was ja in Europa Teil der Kultur ist. In Amerika schaut man eher, wie man es irgendwie besser machen kann. […]

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… Sagte der 2001 emeritierte Kölner Genetik-Professor Klaus Rajewsky in Laborjournal 3/2012  („Verhandlungssache: Emeriti – Forschen oder Ruhestand?“, S. 23-25). Damals war er gerade wieder nach Deutschland zurückgekehrt, nachdem er als Emeritus weitere zehn Jahre an der US-amerikanischen Harvard University geforscht hatte.

Zitatesammeln per Lieferfahrzeug

20. April 2022 von Laborjournal

Raub-Verlage (Predatory Publishers), Entführte Journale (Hijacked Journals), Papiermühlen (Paper Mills), … – schon öfter berichteten wir, mit welch windigen Manövern einige, meist asiatische „Unternehmer“ Profit aus den Zwängen und Nöten des wissenschaftlichen Publikationssystems schlagen. Siehe etwa hier, hier, hier oder hier. Die Ideen, das System zum eigenen Profit zu hintergehen, scheinen damit jedoch immer noch nicht erschöpft. Auf der Paper-Diskussionsplattform PubPeer wurde jedenfalls gerade eine weitere schräge „Geschäftsidee“ enthüllt: Zitate-Lieferfahrzeuge (Citation Delivery Vehicles).

Anfang des Jahres illustrierte dort ein User mit Pseudonym „Hoya camphorifolia“ anhand eines Papers chinesischer Autoren eine weit verbreitete Strategie des unlauteren Zitatevermehrens (J. Mater. Sci.: Mater. Electron., doi: 10.1007/s10854-021-05437-0):

Die Autoren dieser Gruppe haben die merkwürdige Neigung, ihre Arbeiten mit einem Schlusssatz abzuschließen, der als reines „Citation Delivery Vehicle“ fungiert – siehe https://pubpeer.com/search?q=“Jun+Zhao „+OR+“Zhiqin+Zheng“. In mindestens einem dieser Fälle stand der folgende, stark aufgeblasene Schlusssatz nachweisbar nicht in der Version, die die Peer-Reviewer sahen, sondern wurde erst in der Korrekturphase hinzugefügt:

„Diese Arbeit erweitert den Anwendungsbereich der persistenten Materialien auf das Feld der Photokatalyse und bietet überdies neue Einblicke in andere Bereiche, wie etwa die Abwasserbehandlung [46-48], die Elektrokatalyse [49-51] und die Photokatalyse [52-55].“

Anschließend folgen die entsprechenden Referenzen 46 bis 55, allesamt wiederum Veröffentlichungen chinesischer Gruppen. Diese jedoch haben – man ahnt es schon – mit dem Inhalt des Papers rein gar nichts zu tun. Diesen Beitrag weiterlesen »